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Fakten zur Aufführung 

NORMA
(Vincenzo Bellini)
20. Mai 2015
(Premiere)

Teatro La Fenice


Points of Honor                      

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Kolonialer Stellungskrieg mit musikalischer Befeuerung

Viel Aufgebot gibt es erwartungsgemäß bei der Opernpremiere der diesjährigen Zusammenarbeit des Teatro la Fenice mit der Kunstbiennale in Venedig. Die Afroamerikanerin Kara Walker wurde vor zwei Jahren unter den ausstellenden Künstlern der 55. Biennale ausgewählt, Vincenzo Bellinis große, tragische Oper Norma in Szene zu setzen. Die in Kalifornien geborene und in Atlanta aufgewachsene Kara Walker beschäftigt sich mit der Unterdrückung und Sklaverei der Schwarzen in Amerika. Um ihren Werken stärkere Aussagekraft zu vermitteln, arbeitet sie mit Scherenschnitten und Skulpturen. Beides erprobte und geeignete Medien für die Bühne. „Man sieht nie das Ganze, sondern nur eine Seite, also bestenfalls die halbe Wahrheit. Die Silhouette sagt sehr viel mit sehr wenig Information“, so ein Zitat der Künstlerin, das das Publikum gespannt den Abend erwarten lässt. Beherzt geht die talentierte, junge Künstlerin ohne Opernerfahrung mit den ihr bekannten Stilmitteln an die Umsetzung. Ein gemalter, maskenhafter, afrikanischer Männerkopf als Vorhang beobachtet das Premierenpublikum während der Ouvertüre mit großen offenen Augen. Schließlich hebt sich der Vorhang und die Umrisse einer typisch afrikanischen, weiblichen Gesichtsmaske mit vollen Lippen und großer Nase in tiefschwarzer Farbe füllt die gesamte Breite der Bühne aus. Den Hintergrund gestaltet Kara Walker mit Scherenschnitten unterschiedlich ausgeleuchtet, sodass verschieden anmutende Naturstimmungen wirkungsvoll entstehen. Die markanten Konturen wirken wie eine Hügellandschaft, in der sich die Gallier bewegen. Die Gallier mutieren zum afrikanischen Volksstamm, zumindest als solcher überzeugt ihr Führer Oroveso in seinem Leopardenkostüm und kunstvoller Frisur. Weniger anmutend kleidet Kara Walker  seine Stammesgenossen. Wilde Kämpfer erwartet man nicht im langen, knallroten Abendkleid, mit Träger und Ausschnitt. Dazu tragen sie verfremdend einfache, langhaarige Perücken. Angesichts der unterschiedlichen Größen und Körperfüllen der Chormitglieder bekommt der Abend einen kabarettistischen Touch.

Die Kostüme der Titelheldin und ihrer Vertrauten Adalgisa sind elegant westlich gehalten, ohne Exotik. Die Römer steckt Kara Walker in koloniale Safarianzüge mit Tropenhelm. In der Personenregie passiert wenig, meist steht der von Claudio Marino Moretti gut vorbereitete und klangvoll singende Chor bewegungslos aufgereiht herum, und an Gesten wird gespart. So dominieren an dem Abend ästhetische Bilder, die sich aneinanderreihen. Bei den Sängern erkennt man die Routiniers, die ihre eingespielten Bewegungsabläufe zeigen. So bewegt sich Gregory Kunde als Pollione selbstsicher, wobei seine Höhen gepresst und angestrengt wirken, aber die Töne sitzen. Carmela Remigio startet als Norma vorsichtig verhalten. Ihre große Arie Casta Diva bleibt gegenüber der Leistung des weiteren Abends zurück. Ihre Koloraturen geraten rund und sicher, die Registerwechsel weich und flüssig. Veronica Simeoni gestaltet ihre Adalgisa souverän, und ihr voller Mezzosopran gleitet förmlich durch die Partie. Im spannungsgeladenen Duett der beiden lässt sich das Wechselbad der Gefühle zwischen Liebe, Eifersucht, Enttäuschung und demutvoller Vergebung bis in die letzten Reihen spüren. Dmitry Beloselsky strahlt in seinem Häuptlingskostüm furchterregende Macht aus, die sein Bass fein timbriert gesanglich untermauert, aber ihn auch als vergebenden Vater mitleidsvoll erscheinen lässt. 

Gaetano d'Espinosa hat das Dirigat dieser Neuinszenierung übernommen. Er strahlt viel Dynamik aus, agiert gestenreich tänzerisch am Pult, kann aber das Orchester nicht wirklich in Spannung versetzen. Immer wieder zerfällt das Orchester in ein konturloses Musizieren. Die für Bellini und Belcanto notwendige Dramatik und durchaus romantische Klangfülle bleibt an diesem Abend spielerisch klassisch.

Nach drei Stunden leistet das elegante Premierenpublikum, gemischt aus Politikern, Künstlern und Größen der italienischen Mode und des Designs respektvoll Applaus für einen gewagten und modernen Handlungsansatz des klassischen Opernstoffes, der bildnerisch sehr reif und  professionell auf der Bühne von der jungen Künstlerin umgesetzt wurde. Das bestätigt die Idee dieses gemeinsamen Projektes von Biennale und Teatro La Fenice und lässt schon erwartungsvoll auf das nächste Projekt blicken.

Helmut Pitsch

 



Fotos: Michele Crosera