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Fakten zur Aufführung 

UR_
(Anna Thorvalsdóttir)
11. September 2015
(Premiere)

Theater Trier


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Eine Oper wie eine Operation

Am Anfang war das Licht. Drei Lichter um genau zu sein, die aus völliger Dunkelheit den Zuschauer in den Augen blenden. Untermalt wird die Schwärze auf der Bühne von einem Hissen und Fauchen und dem Geräusch, das eine Klavierseite von sich gibt, wenn man sie zwischen den Fingern entlangzieht. Fast klingt es wie Meeresrauschen. Hinter den drei Lichtern verbergen sich drei Menschen, die grunzen, kreischen und die Stimmbänder überspringen lassen. Sie gurgeln und husten, anstatt zu sprechen, sie machen Töne, anstatt zu singen. Immer begleitet von der Pianistin Tinna Thorsteinsdóttir, die nicht in die Tasten haut, sondern dem Piano die Töne direkt aus seinem Innersten entlockt. Dazu gesellen sich ein Begleiter, der im Programm schlicht Örnólfur genannt wird, was nebenbei sein richtiger Name ist, Örnólfur Thor Eldon, und der Schauspieler Miké Thomsen.

Das Programm zu UR_ beschreibt die Situation der drei nur bruchstückhaft: Sie scheinen zu wissen, wo sie sind, sie verstehen einander nicht, sie verstehen sich selbst nicht, sie kennen einander, aber das gefällt ihnen vielleicht nicht. Es fallen Wendungen wie „durcheinander verbunden“, „Sehnsucht nach einem zentralen Wesen“, „sie suchen nach dem Weg, wieder als EIN Wesen zu existieren“, sie unternehmen einen Akt der Huldigung, „ohne zu wissen, wem man diese Huldigung entgegenbringen soll“. Am Ende weiß der Zuschauer nicht, ob sie gefunden haben, wonach sie suchten, und sie wissen es auch nicht. „Sie sind einfach da, gegenwärtig, ohne aufeinander einzuwirken“, lautet der letzte Satz der Beschreibung, die an die Notizen der Komponistin in ihrer Partitur angelehnt ist. Wer die Erläuterung im Programm durchliest, ist auch nicht weiter als derjenige, der sich das erspart. Man bekommt vielleicht eine Ahnung von dem, was da passieren könnte, aber mehr bekommt der Zuschauer nicht an die Hand.

Er soll sich einfach einlassen auf die Klangwelt, die die isländische Komponistin Anna Thorvaldsdóttir ihm eröffnen will. Und der Zuschauer merkt schnell, dass ein Klang zwar beeindruckend sein kann, wie die dämonenhaften Schreie, die Vokalistin Sofia Jernberg von sich gibt, aber nicht nur wohltuend sein muss. Thorvaldsdóttirs Oper gleicht einer Operation, sie zerlegt menschliche und instrumentale Laute, Worte und Sätze genauso wie Sprachen und setzt sie wieder aneinander, so wie der Operateur es gerade für sinnvoll erachtet. Ob es sinnvoll ist, bleibt eine Frage, ob es dem Patienten gut tut auch.

Behandelnder Arzt bei dieser Operation ist Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson, der die Inszenierung über weite Teile in Dunkelheit legt und mit fluoreszierenden Farben auf Ganzkörperanzügen oder gleißendem Licht Akzente in seiner Inszenierung setzt. Diese wirken teilweise jedoch inkonsistent, beispielsweise wenn am Ende eine aufblasbare Swimming-Pool-Insel auf der Bühne drapiert wird. Oder sie erscheinen effekthascherisch und lediglich um ihrer selbst willen ins Spiel gebracht, man erwähne hier nur den Auftritt eines oberkörperfreien Mannes im Pelzmantel, dessen Kopf in einer Gorillamaske versteckt ist.

Arnarssons Bestreben, die teils sphärische, teils mystische Stimmung von Thorvaldsdóttirs Komposition aufzugreifen und den Gedanken des Werks, von Einsamkeit und dem genauso immerwährenden, wie hoffnungslosen Streben des Menschen nach einer Einheit, in seine Inszenierung zu verweben, geht an manchen Stellen einfach nicht auf. Was den dreien auf der Bühne fehlt, fehlt auch der Inszenierung: ein verbindendes Glied. Die beiden Figuren, die das leisten könnten, nämlich der Schauspieler und Örnólfur, gehen in der Inszenierung oft vollkommen unter. Örnólfur schlurft wie ein desinteressierter Praktikant übers Parkett, und der Schauspieler erweckt mehr als einmal den Eindruck, er wäre lieber Teil einer eigenen Show. Gerade weil der Inszenierung die verbindende Masse fehlt, wirken diejenigen Momente am besten, in denen alles in Dunkelheit verschwindet oder im gleißenden Licht von Scheinwerfern auf der Hinterbühne verschluckt wird. Dann kommt durch, was Komponistin und Regisseur erzeugen wollen: Starke, grenznahe Bilder und ein verwobenes Ganzes aus Stimme und Musik, das man kaum noch aufdröseln kann.

Die Ausstattung von Anna Rún Tryggvadóttir räumt dem viel Platz ein. Lichtelemente wie Lichterketten und Scheinwerfer, für jeden einen Stuhl und ein Klavier, mehr braucht sie auf der Bühne nicht. Auch die Hinterbühne wird einbezogen, dort steht, was eben auf so einer Hinterbühne steht. Eine ähnliche Spur fährt sie bei den Kostümen: schwarze Anzüge, weiße Hemden, einheitliche Ganzkörperanzüge, Akzente bilden ein weißer Pelzmantel und ein Gorillakopf.

Die stimmliche Leistung der Sänger ist genauso schwierig wie leicht zu beurteilen. Was die Mezzosopranistin Melis Jaatinen, Bariton Joa Rasmus Helgesson und die Vokalistin Sofia Jernberg da, im wahrsten Sinne des Wortes, von sich geben, klingt teilweise un- und übermenschlich. Von Kreischen über Grunzen artikulieren sie auf Englisch, Isländisch oder produzieren wortähnliche Buchstabengebilde. Nur Arien im herkömmlichen Sinne findet man darunter keine. Man kann erahnen, dass Helgessons Bariton stark in den Tiefen ist und man kann mutmaßen, dass Jaatinens Mezzosopran in mittleren Lagen besonders vielseitig und schillernd ist, aber gerade, wenn sie lange genug singen, dass man es belegen könnte, bricht der Gesang ab und ein Huster oder Hissen kommt dazwischen. Die Stimmakrobatiken von Vokalistin Jarnberg sind nicht nur beeindruckend, ihre Stimme ist ganz nebenbei schön, hell, strahlend. Auch hier kommt man zu selten in den Genuss.

Das Orchester unter der Leitung von Baldur Brönnimann liefert das Operationsbesteck. Während die Stimmen verfremden, trägt das Orchester den Duktus der Oper. Zerlegt in Einzelteile und flickt schnell zusammen, gerade da, wo es nötig erscheint.

Das Publikum reagiert zwiegespalten. Im Applaus gibt es zwar vereinzelte lautstarke Bravorufe, der Grundtenor blieb jedoch ein mechanisches Klatschen, das mit dem Fallen des ersten Vorhangs sofort verstummt.

Der Patient weiß nach dieser Opern-Aktion nicht, wie es ihm gehen soll. Fühlt er sich besser, fühlt er sich schlechter? Zumindest fühlt er sich. Thorvaldsdóttirs Oper zerlegt sich soweit, dass sie in dem Sinne gar keine Oper mehr ist. Es ist eher ein Experiment mit Klängen, Stimmen, Licht, Farben und Sprache. Es soll ein Eingriff in herkömmliche Hörmuster sein und wird unter der Inszenierung von Arnarsson zu einer Operation mit ungewissem Ausgang und vielen offenen Wunden. Ob der Zuschauer sich diesem Eingriff noch einmal unterziehen will, bleibt fraglich. Aber das ist bei Operationen ja immer der Fall.

Seit Eröffnung der neuen Spielzeit sollten Damen auf hohe Absätze im Theater Trier lieber verzichten. Intendant Karl Sibelius hat nach dem Umbau der Eingangshalle Rasen im Foyer verlegen lassen und den Eingang zum hinten liegenden Park geöffnet. Draußen im neuen Theaterpark finden in einem Iglu Werkeinführungen statt. Am Eingang des Foyers werden aufgeschnittene Tennisbälle an die Damen mit High Heels verteilt. Der Rasen soll ja noch geschont werden.

Stefanie Braun

 

Fotos: Vincenzo Laera