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Fakten zur Aufführung 

ORPHEUS IN DER UNTERWELT
(Jacques Offenbach)
8. November 2014
(Premiere)

Theater Trier


Points of Honor                      

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Hoffnung auf die Hölle

Eurydike hat genug von ihrem Mann, der ist nämlich nur eine Schmalspurvariante von Künstler, ein Schlagerstar, während sie sich nach der großen Kunst sehnt. Und nach deren Vorzügen: viele neue Gesichter, neue Erfahrungen und Partys. Weit weg von ihrem Hausfrauendasein in Kittelschürze und Putzhandschuhen. Und während Eurydike noch träumt, vergnügt ihr Mann Orpheus sich mit Groupies und sie sich mit ihrem feschen Nachbarn Aristeus. In der Vorlage ein Schäfersjüngling, in der Inszenierung von Alexander Kerbst im Theater Trier ein Dreadlock-tragender alternativer Lebenskünstler, der mit Vorliebe phallische Gemüsesorten in Biofachgeschäften einkauft. Ein Blumenbeet trennt ihn von seiner Geliebten Eurydike, ein Hopser über das Grün genügt um sie zu erreichen. Dumm nur, dass der gehörnte Ehemann seinen Nebenbuhler mit einem vergifteten Kaktus, den er im Beet versteckt hat, aus dem Weg räumen will. Noch dümmer ist allerdings, dass es nicht Aristeus erwischt, sondern Eurydike, als sie rittlings über den Kaktus steigen will. Das wiederum spielt nicht nur Orpheus in die Hände, der sich nun als Witwer in der Schlagerwelt gerettet sieht, sondern auch Aristeus, der sich als Unterweltgott Pluto entpuppt und Eurydike in sein Reich mitnehmen kann. Doch weder die Götter, Orpheus, noch Eurydike haben Orpheus‘ Agentin, die öffentliche Meinung, mit bedacht, die sieht nämlich die Zukunft ihres Goldesels Orpheus gefährdet und zerrt ihn vor Jupiters Thron, damit er um seine Gattin bitten kann.

Jaques Offenbach Opéra bouffe ist naturgemäß im Komödiantischen verwurzelt. Alexander Kerbst versucht dieses Komödiantische in seine Inszenierung zu integrieren. Heraus kommt ein holpriger erster Akt, nach dessen Vorhang zur Pause man nur noch auf die Hölle im zweiten Akt hoffen kann. Eingeführt werden Orpheus und Eurydike als durch das deutsche Schlagergenre in ihrer Ehe gefangene Komödienstandards: sie eine sexuell – und geistig – frustrierte Hausfrau in Kittelschürze und er ein Pastellfarben tragender, langhaariger Schlagergeiger.

Im Olymp ist es nicht viel anders. Auch Jupiter ist seiner Gattin nicht gerade treu, dafür verwandelt er die Flammen seiner Tochter Diana, der Göttin der Keuschheit, schnell mal in Hirsche, mit einem Sechsender können die weniger gefährlich werden als mit einem Einender. Doch auch hier wäre eine Scheidung fatal, immerhin ist der Einfluss der Götter seit der Erfindung der Dampfmaschine ziemlich eingeknickt. In der Hölle geht es dafür schon um einiges lustiger zu. Eurydike ist zwar nicht im Kerker angekettet, dafür im hölleneigenen Sado-Maso-Studio, gesucht wird sie in den Reihen des Publikums von Lakaien in Lack und Leder, auf der Höllenparty tanzt Jupiter an der Stange.

Kerbsts Inszenierung krankt an mehreren Punkten: dem mehr als holprigen Sprechtext und der, selbst für die Vorlage, platten Fixierung aufs Sexuelle. Daraus entstehen gerade am Ende, wenn Eurydike, da sie sich mit Gott und Teufel eingelassen hat und somit nichts mehr mit der normalen Welt am Hut haben kann, ans Theater übergeben wird, karnevaleske Momente. Diese waren zwar spürbar anvisiert, schüren aber den Eindruck, dass die Inszenierung weder sich selbst noch die Vorlage genügend ernst nimmt.

Leider setzt sich dieser Eindruck in den Kostümen von Carola Vollath fort, die Götter glitzern in Silber und Gold, wirken darin unbeweglich wie ihre eigenen Götterbildnisse, dick eingepackt wie in Bonbonpapier. Das macht gerade die Choreographien der Solisten und des Chores etwas ungalant anzuschauen. Karel Spanhaks Bühnenbild verteilt die Welten in Treppenhäuser, verbindend ist dabei der Zugang zur Hölle unter der Treppe. Hier setzt sich eine stringente Linie in der Inszenierung gekonnt durch.

Die Solisten holen einiges aus sich und der Inszenierung heraus, auch wenn man hier durchaus spürt, dass sie sich sehr bemühen müssen, sich selbst dabei ernst zu nehmen. Leider setzt sich auch hier eine stringente Linie durch, viele Premierenbesucher beklagten sich über eine schlechte Verständlichkeit sowohl in den gesungenen als auch gesprochenen Passagen. Man bekommt schnell einen gewissen verhaltenen Eindruck, der sich zumindest auf stimmlicher Ebene nicht bestätigt. Evelyn Czesla als Eurydike überzeugt mit einem reifen, warmen Sopran, Joana Caspar brilliert als Tochter Diana sicher und schillernd in den Höhen. Besonders lebendig, mit enormer Verve singt und spielt Luis Lay als Pluto und auch Norbert Schmittberg als Jupiter überzeugt mit Bühnenpräsenz. Schauspielerin Barbara Ullmann als öffentliche Meinung und ihr Schauspielkollege Christian Miedreich als Hans Styx wiegen an Schauspiel auf, was sie an stimmlichem Können hinter den Kollegen zurückstecken müssen. Miedreich gibt dabei einen Hausmeisterhaften Styx in dreckigem Unterhemd und Morgenmantel, Ullmann die eiskalte Agentin. Svetislav Stojanovic als Orpheus reizt seinen wohl kraftvollen und sicheren Tenor selten aus, Hiltrud Kuhlmann als Venus singt als eine der wenigen stets deutlich mit einem klaren, freundlichen Sopran.

Der Chor unter der Leitung von Angela Händel gibt sein Bestes, um sowohl in Silber und Gold als auch in Lack und Leder eine gelungene Basis zu bilden. Joongbae Jee führt das Orchester sicher und präzise, oftmals verschwimmen jedoch die Solisten und das Orchester. Ein Höhepunkt, sowohl für Orchester, Sänger und Tänzer, als auch das Publikum ist der Auftritt der Can-Can-Mädchen in der Hölle. Die Tänzer werden dafür beim Applaus besonders bedacht ebenso wie Evelyn Czesla und Luis Lay. Das Publikum reagiert mit einem freundlichen, langanhaltenden Applaus, der die Leistungen aller Beteiligter würdigt. Die Reaktionen nach dem ersten Akt bleiben verhalten, nach dem zweiten Akt in der Hölle ist man wieder etwas versöhnlicher, die Leistungen der Schauspieler, Sänger und Tänzer sind nicht unerkannt geblieben.

Leider bleibt die Inszenierung zu plakativ, es fehlt an Raffinesse und den leisen Zwischentönen, eine starke sexuelle Ausrichtung und der umständliche Sprechtext ziehen die Inszenierung gewollt ohne Augenzwinkern in den Kölner Karneval. Die Sänger singen verhalten, wenn auch erkennbar sicher und vielversprechend. Optisch ist einiges los und viele der gezeichneten Bilder, wie etwa das Götterbildnis im Himmel, sind stimmig und schön, im zweiten Teil profitiert die Inszenierung von der optischen Vielfalt und den komödiantischen Ereignissen. Im SM-Studio der Hölle greifen der Witz und die vielen Ideen der Inszenierung am besten, die Inszenierung bekommt die Leichtigkeit eines Narrenspiels, die ihr nochmal sehr gut tut.

Stefanie Braun

 

Fotos: Friedemann Vetter