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Fakten zur Aufführung 

ORFEO ED EURIDICE
(Christoph Willibald Gluck)
31. Mai 2014
(Premiere am 24. Mai 2014)

Theater Trier


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Gegen die Götter

Orfeo ist gerade aufgestanden, kämmt die langen blonden Haare zurück zu einem festen Dutt, setzt sich im Morgenmantel an den Frühstückstisch und erstarrt beim Anblick des zweiten Frühstückseis. Wieder eines zuviel gekocht. Für die geliebte Euridice. Doch die ist schon lange nicht mehr da. Von Trauer gebeutelt singt Orfeo, erst in Selbstmitleid badend, dann wieder in Erinnerungen schwelgend, schließlich trotzig gegen die Götter. Stets zur Seite ein Begleiter: Der weiße Schatten Hoffnung, den Orfeo immer aufs Neue niederkämpft. Nein, ohne Euridice kann es in diesem Leben keine Hoffnung mehr geben. Schließlich erhören die Götter das Flehen und schicken Amor, denn es gibt einen Weg, Euridice aus der Unterwelt zu befreien. Keinen Blick darf Orfeo ihr schenken, kein Wort der Erklärung. Sie muss ihr einfach vertrauen und bis zum Ende folgen.

Tatsächlich belässt Regisseurin Birgit Scherzer es in ihrer Inszenierung bei dem Offensichtlichen: Ihre Hauptdarstellerin Kristina Stanek muss keine Perücke tragen, ihr Make-Up ist das einer jungen Frau, und ihre weibliche Figur wird nicht in weiten Männerhosen versteckt, sondern in einem bequemen Schlafanzug gehüllt. Warum aus Stanek künstlich einen Mann machen, wenn Liebe doch universell ist? Und warum Trauer und Zorn an ein Geschlecht binden? In Scherzers Inszenierung ist Orfeo eine dickköpfige, junge Frau, die sich mit dem Tod ihrer Geliebten einfach nicht abfinden will. Da muss es einen Weg geben, sie zurück zu bekommen. Amor unterstützt die junge Sängerin in ihrem Vorhaben gegen die Götter und gegen die Natur. Eine Reise beginnt, ein Abstieg in eine (Alp-)Traumwelt, in der Orfeo im Schlafanzug nach ihrer Geliebten sucht. Sie findet sie, nur um sie wieder zu verlieren, denn der Pakt mit den Göttern war gleichzeitig einer mit dem Teufel. Christoph Willibald Gluck inszenierte seine Oper so, dass Amor letzten Endes doch noch Mitleid mit dem armen Tropf hat, er kriegt seine Euridice doch. Die Oper endet in einem Lobgesang auf Amor. Scherzers Inszenierung endet in einem verängstigten Erwachen aus einem Alptraum. Die Euridice, die Orfeo letzten Endes "bekommt", ist alles andere als lebendig, eine gefühllose, umherwandelnde Untote, die ebenfalls wieder verschwindet. Orfeo erwacht aus seinem Traum an einem Küchentisch, auf dem zwei gekochte Eier darauf warten, verspeist zu werden.

Die Rechnung, die Scherzer gemacht hat, geht voll auf; ihre Inszenierung ist ein Gedankenspiel, das Gedankenspiel eines Trauernden, der Hoffnung nicht zulässt, sich mit seiner Trauer nicht abfinden kann, mit den Göttern hadert.

Unterstützt wird Scherzer, die eigentlich von der Choreographie kommt, von einem engagierten Team, bestehend aus den drei Grundpfeilern der Inszenierung: den Solisten, dem Chor und dem Trierer Tanzensemble. Das Bühnenbild von Manfred Gruber, mit seinen beweglichen Wandteilen und dem Spiel mit verschiedenen Lichtfarben, ist aufgeräumt und aufdringlich zugleich. Im wahrsten Sinne des Wortes kommen hier die Wände näher. Alexandra Benteles Kostüme bleiben Andeutungen eines Traums, schemenhafte Geister neben Erinnerungen an ein Sommerkleid Euridices. Visionen, seelische Vorgänge, Geister und Dämonen, aber auch die Hoffnung werden durch die Tänzer dargestellt. Allen voran ein starker René Klötzer, der den weißen Schatten vertanzt.

Evelyn Czesla verleiht ihrer Euridice den Hauch einer verletzten Frau, die mit den Verletzungen der Liebe eben nicht mehr zurecht kommt. Ihr Sopran nutzt die Höhen spielerisch aus, bleibt dabei warm und angenehm. Vergreift sich nicht in der schwierigen Partitur Glucks.

Kristina Stanek, trotz gebrochenen Zehs und Angina, spielt ausdrucksstark und körperlich präsent. Ihr Mezzosopran ist krankheitsbedingt oft leise, um Kraft zu sparen für die anspruchsvollen Höhen, die sie voll aussingen kann. Dabei zeigt sich, wie ausgereift, voll und variabel ihre Stimme eigentlich ist. Eine reife Leistung für die noch nicht mal 30-Jährige.

Joana Caspar als Amor hat zwar nur kurze Auftritte, kann in diesen aber ihren kühlen, kräftigen Sopran unter Beweis stellen.
Der Chor hat, wie alle anderen Parts in Scherzers Inszenierung, eine starke körperliche Präsenz, er ist durchchoreographiert bis zum letzten Punkt, was ihm die Einsätze in der Musik etwas erschwert. Als organisches Element der Oper unverzichtbar, leistet er solide Arbeit.

Das Orchester unter der Leitung von GMD Victor Puhl baut auf der Partitur der Wiener Fassung der Oper auf, um Teile aus der Pariser Fassung erweitert: Das Furien-Ballett bildet den Abschluss des ersten Teils, das Flötensolo im Elysium, sowie die Arie der Euridice wurden ebenfalls hinzu gefügt, genauso wie der gemeinsame Auftritt aller Solisten am Ende. Puhl schafft mit seinem Orchester einen Ton, der sich dem historischen annähert, dabei aber den entschlackten Kern Glucks beibehält.

Das Publikum honoriert den Abend mit lang anhaltendem Applaus.

Stefanie Braun

 

Fotos: Marco Piecuch