Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

FIDELIO
(Ludwig van Beethoven)
19. September 2015
(Premiere)

Theater Trier


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Welle von Buh-Rufen

Als Tilman Knabe, der Regisseur von Beethovens Fidelio am Theater Trier, zusammen mit seinem Team zum Applaus die Bühne betritt, schlägt ihm eine Welle von Buh-Rufen entgegen. Nur vereinzelt sind Bravos aus dem lang gehaltenen Applaus zu hören. Immer und immer wieder kommt das neue Musik-Ensemble wie zum Trotz nach vorne und forciert den Applaus des Publikums. Der Vorhang ist noch nicht unten, da sind die Ovationen schon verstummt und die ersten Gäste bereits aufgestanden.

Knabes Inszenierung hat, wie eigentlich alle bisherigen Premieren der neuen Intendanz am Theater Trier, das Publikum gespalten. Wer Beethoven erwartet oder eine Oper im herkömmlichen Sinne, der wird bereits in den ersten 20 Minuten bitter enttäuscht. Statt einer Ouvertüre oder Arien sieht man zwei Schauspieler – Claudio Gatzke und Christian Beppo Peters – die in einem gläsernen Bürokasten das Stück Big Shoot uraufführten. Zwischendrin tanzt Marzelline alias Frauke Burg als jugendliche Putzkraft mit Hot Pants und löchriger Strumpfhose auf die Bühne, mit Kopfhörern auf den Ohren tänzelt sie schrubbend herum, ihre Arie singt sie scheinbar zur Musik aus dem MP3-Player. Danach folgt wieder Schauspiel und aus den Reihen der Zuschauer kommen die ersten Rufe, ob heute Abend überhaupt Beethoven gespielt werde. Nachdem Bonko Karadjov als Jacquino seinen Attrappen-Penis aus der Hose zückt und Marzelline und Bea Robein als Leonore zusammen nackt unter der Dusche verschwinden, verlassen die ersten ihre Sitze. Das Publikum fragt nach Beethoven und bekommt die Schauspiel-Uraufführung von Big Shoot, die Serenade Elegy von Benjamin Britten, die Hartmann-Sonate 27. April 1945, den Monolog Pas Moi von Samuel Beckett, Hanns Eislers Lied Über den Selbstmord und das Sopranstück Djamilia Boupachá von Luigi Nono gleich mit dazu. Knabes Idee dahinter: Aus Beethovens Fidelio ein Symbolstück über die Schrecken von Krieg, Folter und organisiertem Morden zu machen. Er verlegt die Oper in eine unbestimmte Moderne, macht aus Florestan, dargestellt von Marlin Miller, einen politischen Kriegsgefangenen, aus Rocco alias Lukas Schmid einen politisch inkorrekten, grobschlächtigen Folterer und aus Christian Sist als Don Pizarro einen schmierigen, aufstrebenden, kaltschnäuzigen Anzugträger. Beethoven komponierte ein Happy End: Don Fernando sollte auftreten, Florestan unter Chorgesang freikommen und Leonore gefeiert werden. In Trier tritt Don Fernando nicht auf, vielmehr wird sein Kopf hereingetragen und seine leicht verzerrte Stimme ertönt über der Szenerie, während die anderen im Kriegsgewimmel hingerichtet oder vertrieben werden. Einzig Marzellina kann entkommen und das Sopranstück von Nono ohne Begleitung auf einem Laufsteg, der mitten durchs Publikum führt, singen. Knabes Inszenierung ist bis ins Kleinste durchdacht, soll aufwühlen und, ja, auch provozieren.

Das Publikum fragte sich an manchen Stellen, ob Provokation nicht aber auch sinnvoller geht. Wenn die blutüberströmte Schauspielerin Juliane Lange mitten im Publikum auf dem Laufsteg steht, in einer Tour wilde Parolen brüllt und gleich dreimal erschossen wird, frisst ein Effekt den anderen. Keines der gebrüllten Worte bleibt hängen, die Schüsse erschrecken, die Botschaft verfliegt wie der Schall. Beeindruckender ist es, wenn Frauke Burg zum Klavierstück 27. April 1945 minutenlang im Büroglaskasten steht, wo ein Schauspieler gerade den anderen mit einem Kopfschuss hingerichtet hat, und das Blut von den Fenstern putzt. Nackte Haut und Sexszenen zwischen zwei Frauen sorgen nicht so für Gänsehautmomente wie der Gefangenenchor aus dem Orchestergraben, während Leonore vergilbte Fotos von den Opfern Stalins auf der Leinwand durchsucht.

Jede Menge Blutpatronen, Gebrüll und nackte Haut mögen ihre Schockmomente haben, rufen ein, in diesem Fall durchaus sinniges Unwohlsein hervor, aber wahrhaft tiefgehend, aufwühlend und wachrüttelnd sind wie so oft die stillen Bilder voller tiefer Sinnhaftigkeit. Unterstützt wird Knabe von den Kostümen von Gisa Kuhn, die die Welt aufteilen in Uniformträger und Revolutionäre mit karierten Schals, und dem Bühnenbild von Wilfried Buchholz, das karg und trist, aber voller Zugkraft ist. Besonders der Büroglaskasten, der immer wieder zum Schaukasten für die einsitzenden Schauspieler wird, oder die einsame Straßenlaterne im zweiten Akt spiegeln ohne großen Aufwande eine trostlose Welt wider.

Bei der Fülle an Angebot ist es schwierig, jedem Beteiligten gerecht zu werden. Claudio Gatzke und Christian Beppo Peters wühlen in Big Shoot die Gemüter gekonnt auf. Gina Haller mit Pas Moi in französischer Sprache geht in der Pause draußen im Wohnwagen des Intendanten nahezu unter. Juliane Langs Auftritt ist ein Spiegel der schwächeren Regiemomente: laut, plakativ, blutig. Man hört sie vergleichsweise selten, umso schöner wenn: die Sänger. Bea Robein als Leonore überzeugt mit einem in den Mitten kräftigen Mezzosopran, der zwar in den Tiefen etwas an Stärke verliert, umso müheloser aber in die Höhen kommt. Ihr Spiel ist ausdrucksstark. Frauke Burg zeigt bei ihrem Solostück ohne Orchesterbegleitung Treffsicherheit auch in den besonders hohen Momenten des für die Ohren eher gewöhnungsbedürftigen Stücks. Bonko Karadjov spielt als Jacquino den Verschmähten, ewig Betrunkenen für das Publikum manchmal zu direkt, um noch charmant zu sein. Sein Part in Brittens Elegy macht dafür Gänsehaut. Marlin Millers Auftritt als Florestan ist zwar nur kurz, dafür besonders eindrucksvoll. Als Folteropfer wird er auf der Ladefläche eines Transporters auf die Bühne gefahren, sein Tenor ist formvollendet.

Der Chor bekommt intensiven Applaus, was zweifelsohne auf den Gänsehautmoment beim Gefangenenchor zurückzuführen ist. Angela Händel hat besonders sauber mit den Mitgliedern des Chores an seinen wenigen, aber beeindruckenden Auftritten gefeilt. Das Orchester unter der Leitung des Generalmusikdirektors Victor Puhl, ebenso wie die Kammermusiker, die die ersten Musikstücke begleiten, spielt die sehr unterschiedlichen Stücke präzise und ohne Mühen.

Knabes Inszenierung will zwar schockieren und gleichzeitig aufwühlen, aber in allererster Linie eben schockieren. Dass er aber auch leise und beeindruckend kann, beweist Knabe im selben Atemzug. Warum dann literweise Kunstblut und mehrere Platzpatronen bemühen, wenn es doch auch anders geht? Knabe möchte unangenehm sein, was dem Stück und der Inszenierung mehr als angemessen ist, greift aber zu oft auf plakative Mittel zurück, um das zu erreichen. Aufs Publikum stürzen sich die Darsteller mit Gebrüll, nackte Haut und einen Attrappen-Penis gab es auch vor 20 Jahren schon, und solche Effekte sorgen oft nicht für aufwühlende, sondern für Schamgefühle. Wenn die junge Putzfrau mit Musik auf den Ohren nach der Exekution in feinster Kleinarbeit das Blut von den Fenstern wischt, dann platzt einem die Haut auf vor lauter Beklemmung. Wenn Brittens Musik die Seele aufreißt und ein Verschmähter und Beschämter auf der Bühne dazu den Selbstmord verpatzt, dann brennt sich die Botschaft ein. Bitte mehr davon, Effekte gezielt setzen, dann dürfen sie auch knallen.

Stefanie Braun

Fotos: Vincenzo Laera