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Fakten zur Aufführung 

KAZABLAN
(Dov Zeltzer)
23. Oktober 2014
(Uraufführung 1966)

The Cameri Theatre of Tel Aviv

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Sehnsüchte in Tel Aviv

Die Taschenkontrolle am Eingang zum Cameri Theater im modernen Kulturzentrum von Tel Aviv ist symbolischer Natur. Und doch wissen alle Besucher, wissen die Künstler und das geschulte Theaterpersonal, dass das Aufheulen einer Sirene jede Vorstellung abrupt beenden kann und eine Durchsage sie auffordert, sich ruhig und kontrolliert in einen der auch im Theater vorhandenen Schutzräume zu begeben. Wenn es gut geht, kann die Aufführung nach einer solchen Unterbrechung einfach fortgesetzt werden – niemanden wundert das. Und das ist in den letzten Monaten mehrfach passiert.

Die heutigen Besucher des israelischen Musicals Kazablan haben Glück. Im bunt gemischten Publikum, dem jede „Theaterkleidung“ fremd ist, überrascht die große Anzahl von Jugendlichen, die den Geräuschpegel deutlich anhebt. Die Vorstellung findet in Hebräisch statt, Übertitel in Französisch helfen weiter. Die Zuschauer blicken auf einen Vorhang, der die Projektion vergilbter Zeitungsausschnitte zeigt, die über die Flucht der Juden aus verschiedenen Ländern berichten. In einem offenen Bühnenhalbrund markieren sechs große Stahlgerüste die in mehreren Etagen liegenden, einfachen Wohnungen jüdischer Familien im alten Jaffa südlich von Tel Aviv. Dieser Stadtteil mit einer sehr gemischten Nachbarschaft hat seine besten Jahre hinter sich: Geflüchtete Juden aus Russland, Rumänien, Bulgarien, aber auch Zugezogene aus Nordafrika versuchen hier miteinander auszukommen. Unter ihnen taucht Kazablan auf, ein schneidiger junger Mann marokkanischer Herkunft, genannt Yossef, Boss einer Marokko-Straßengang mit dem bezeichnenden Spitznamen Maroccan Knife – nomen est omen. Yossef verliebt sich natürlich ausgerechnet in Rachel, die Tochter des ashkenasischen Juden Feldmann, dem Sprecher der jüdischen Nachbarschaft. Der versucht zurückhaltend und schüchtern, aber vergeblich einen Wohnungshai von seinem Plan abzubringen, den herunter gekommenen Stadtteil abreißen und neu aufbauen zu lassen, um ihn dann zu viel höheren Mieten zu vermieten. Das ist die Stunde von Yossef, der plötzlich die Sache der jüdischen Nachbarschaft zu seiner macht und mit seinen Jungs dem Vermieter zeigt, was eine marokkanische Harke ist. Die Konflikte spitzen sich zu, zwischen den aus Russland geflohenen Juden und den geduldeten Flüchtlingen aus Bulgarien und Rumänien, nachbarschaftlich-ethnische Probleme häufen sich. Yossef, ein marokkanisch-sephardischer Jude ist seinem Nebenbuhler, dem konservativen Juden und Schumacher des Ortes, keineswegs grün. Und als dieser mit dem Hammer und seinem Schustermesser auf ihn los geht, muss die Polizei ordnend eingreifen. Als Yossef und der Offizier sich als ehemalige Militärkameraden der gleichen Einheit wieder erkennen, ist auch dieser Bedrohung die Spitze genommen. Auf diese Weise wird ein Konfliktherd nach dem anderen weich gespült, so dass am Schluss Mr Feldmann und Yossef sich die Hand geben müssen und Rachel nicht nur ihrem marokkanischen Geliebten in die Arme fällt, sondern Yossef schließlich auch in der Synagoge seinem Schwiegervater den erwünschten Stammhalter reichen kann… Tränenreiches Happy-End, soweit die Bühne reicht.

Kazablan , der Titel bezieht sich auf den Geburtsort von Yossef, kommt 1954 zunächst als Theaterstück, dann 1966 als musical comedy auf die Bühne, wird 1974 verfilmt und gilt in Israel als so etwas wie ein „nationales Musical“. Es bringt die zahlreichen Probleme politischer, religiöser und ethnischer Art des israelischen Volkes in verdichteter und unterhaltsamer Weise auf die Bühne und scheut sich nicht vor einfachen Bildern, Charakteren und einer sehr eingängigen, schlagernahen Musik. Es wirkt mit seinen Personen, der Konzentration der Plots und der Musik wie eine mäßig gelungene Mischung aus Romeo und Julia, der West Side Story und Anatevka.

Dov Zeltzer lässt sich bei seiner Musik von der israelisch-jüdischen Volksmusik inspirieren und greift bei den Klängen wie der Instrumentierung häufig auf jüdische Traditionen zurück. So erklingen immer wieder tanzähnliche, in schnellen Vierteln gespielte Rhythmen, bei denen eine dunkle Trommel Flöte, Klarinette und Saxophon begleitet. Die Songs haben eine durchweg sentimental-romantische Färbung und bedienen sich manchen Schlagermerkmals. Das wie die optimistisch-einfachen Texte mögen Gründe dafür sein, dass es einige Songs bis in die israelischen Charts geschafft und zur großen Popularität des ersten Yossef-Darstellers Yehoram Gaon beigetragen haben. Doch auch die heutige Hauptfigur Amos Tamam, ein schwarzhaariger, attraktiver Marokkaner-Typ, kann sich über die besondere Zuneigung der jungen, weiblichen Besucher freuen und erhält manchen Szenenapplaus. Seine weiche, baritonale Stimme passt bestens zur Melancholie des Stückes. Die beiden Songs Kol HaKavod und Democratia sind bis heute bekannt, das Publikum singt und klatscht begeistert mit. Tamar Shen Or als Rachel, die Feldmann-Tochter ist mehr als naiv-verträumte Darstellerin denn als Sängerin gefragt. Einen musikalischen Akzent setzt noch Itzik Cohen als der Erzähler Moshiko. Seine Mischung aus Hausmeister, jovialem Großvater, lebenserfahren tolerantem Juden und witzigem Weisen ergänzt die Palette der Charaktere, die mehr Stereotype als wirkliche Personen zeichnen. Der Chor, der auch als Nachbarschaft oder „Menge“ auftritt, glänzt mit seiner lebendigen Musik ebenso wie mit durchchoreografierten Tanzeinlagen.

Des Hebräischen unkundige Besucher müssen auf manchen hebräisch-jüdischen Witz, manches Wortspiel verzichten, bei denen auch die französische Übertitelung an ihre sprachlichen Grenzen stößt. Den Plots zu folgen, dazu reicht ein wenig Theatererfahrung, der Musik kann man sich einfach hingeben. Die überwiegend israelischen Besucher sind mit diesem Abend der Harmonie sehr zufrieden und bedanken sich mit heftigem, aber kurzem Beifall. B ei seinen weiblichen Fans kann sich Amos Tamam alias Yossef noch einen Extra-Kreisch- und Johlbeifall abholen. Dass es buchstäblich keine Situation gibt, in der Israelis auf ihr mobile phone verzichten und es auch nutzen, ist für den ausländischen Besucher eine Spezialerfahrung dieses Abends, auf die er lieber verzichtet hätte.

Horst Dichanz

 



Fotos: Cameri Theatre