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Fakten zur Aufführung 

ADAM'S PASSION
(Arvo Pärt)
12. Mai 2015
(Uraufführung)

Eesti Kontsert, Change performing Arts, Noblesser Valukoda


Points of Honor                      

Musik

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Intensive Meditation

Es mag die wichtigste Veranstaltung zu Arvo Pärts‘ 80. Geburtstag sein. Ohne Frage einmalig. Nur selten fragwürdig. In Adam‘s Passion inszeniert Regisseur Robert Wilson vier aneinandergereihte Kompositionen Pärts, eine davon neu komponiert. Die Produktion, am 12. Mai in einer ehemaligen Gießerei für Unterseeboote an der Küste Tallinns uraufgeführt, wird ab August auf DVD zu erleben sein.

Für Wilson war die große Herausforderung, einen Raum zu schaffen, der den Zuschauer nicht von der Musik ablenkt. In dieser Hinsicht ist der Regisseur erfolgreich. Das neue, Wilson gewidmete Werk Sequentia für Streichquintett und läutende Perkussion erklingt erst im Dunkel. Eine leuchtende horizontale Linie erscheint, dann eine vertikale. Eine passende Abbildung nicht nur von Raum und Zeit, sondern auch von Pärts tintinnabuli-Technik, bei der eine Stimme den Dreiklang bildet, eine zweite die naheliegendsten Töne.

Die schwebenden Texturen des etwa fünfminutigen Stücks bilden eine organische Einleitung in das zentrale Werk Adam‘s Passion für gemischten Chor und Streichorchester. Die Besetzung aus dem Tallinner Kammerorchester und dem Estnischen Philharmonischen Kammerchor unter Tõnu Kaljuste gewann mit demselben Werk im vergangenen Jahr einen Grammy. Äußerst homogen ist der Gesang, und intensiv sind die Einsätze der Musiker.

Michael Theophanous erscheint als unschuldiger Adam auf einem Nebelbeet. Er dreht sich langsam auf dem Laufsteg, balanciert einen Ast auf seinem Kopf. Sein nackter Körper wird in himmelblaue, dann silberne Töne eingetaucht. Eine göttliche Figur – vermutlich Eva – tritt anschließend in Gestalt von Lucinda Childs mit dem Doppelkonzert Tabula Rasa für zwei Geigen und präpariertes Klavier ein. Aber sie bleibt in einer anderen Welt gefangen.

Zum stillen, aber auch tragischen zweiten Teil des Doppelkonzerts geht das Paradies verloren. Ein umgedrehter Baum steigt herab. Eva gleitet mit zwei Doppelgängern hinweg. Statt Adam mit dem Ast steht auf dem Laufsteg ein Schuljunge mit einem Buch auf dem Kopf. Ein starkes Symbol für die Zivilisation, oder bloß ein netter Regie-Einfall?

Der Einsatz von Kinderdarstellern, um die Korruption der Gesellschaft widerzuspiegeln, zieht sich auf alle Fälle ins letzte Werk Miserere für gemischten Chor, Kammerorchester und Orgel hinein. Ein Junge und ein Mädchen im Skelett eines Hauses; ein anderes Paar, das Gewehre trägt. Auch wenn die Bilder kitschig werden, kann man dem Effekt nicht entkommen, als der Chor heruntertost: Dies irae, dies illa.

Eine Masse von schwarzbekleideten Menschen füllt die Bühne. Die Äste in ihren Händen deuten auf eine neue Weltordnung. Vielleicht eine gottlose, die nicht mehr von Adam, dem Vater der Menschheit, geprägt ist. Auch wenn Wilsons Bilder in den Kitsch geraten, bilden sie eine Narrative, die Pärts geistiger Musik machtvoll entspricht.

Der Komponist wird seit vier Jahrzehnten direkt von seinem orthodoxen Glauben geprägt; eine gewisse Verzweiflung mit der menschlichen Gesellschaft ist nie weit. In einem Interview aus den 90-er Jahren verrät Pärt, dass selbst die tintinnabuli-Technik eine Spannung zwischen Körper und Geist, Erde und Himmel verkörpert. Die Musik spricht für sich selbst. Aber in Adam‘s Passion bietet Robert Wilson ein meditatives Erlebnis dar, das in dieser Intensität kaum ein anderer Regisseur unserer Zeit erschaffen könnte.

Rebecca Schmid

 

Fotos: Kristian Kruuser, Kaupo Kikkas