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Fakten zur Aufführung 

FIDELIO
(Ludwig van Beethoven)
22. Juli 2015
(Premiere)

Chiang-Kai-Shek-Konzertsaal,
Taipeh

Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Nummernrevue statt Freiheitsdrama

Anlässlich der jährlichen szenischen Opernaufführung führte das National Symphonieorchester Taiwan Beethovens Fidelio zum ersten Mal vollständig auf. Dennoch fällt es schwer, Andreas Homokis Inszenierung für die Zürcher Oper aus 2013 als vollständig zu bezeichnen. Haargenau wird das viereckige, grau eingemauerte Bühnenbild von Henrik Ahr für nur drei Vorstellungen in Taipehs prachtvollem Chiang-Kai-Shek-Konzertsaal wiederhergestellt.

Als eine Art Sandwich erklärt Homoki seine Vision von Beethovens einzigem Bühnenwerk im Podiumsgespräch: nicht eine Erzählung sei es, sondern ein „Schrei nach Freiheit“. Auf dieser Basis geht der Regisseur frei mit der Reihenfolge um. Statt der Ouvertüre eröffnet das Quartett Er sterbe! die Oper. Statt „ihm“ wird die Freiheitskämpferin – Leonore, deren Name zum Titel der ersten zwei Versionen des Werks wurde – im Machtgerangel zwischen Don Pizarro, Florestan und Rocco erschossen.

Sie kleidet sich in ein weißes Unterhemd, wird von Schulmädchen in einem Anti-Himmel aufgenommen, bevor die Hinterwand sie wieder auf die Bühne drängt. Wieder im Kerker gefangen, der den Abend umrahmt, blickt Leonore von oben auf die Videoprojektion „Ludwig van“, als das Orchester wieder einsetzt. Marzelline, die normalerweise von Leonores Verkleidung als männlicher Fidelio so getäuscht wird, dass sie sich verliebt, überreicht ihr die Hosen, und die Oper kann beginnen.

Trotz oder wegen des Versuchs, die Oper als eine Gratwanderung zwischen Traum und Realität zu dekonstruieren, deren Entwicklung sowohl die Darsteller als auch die Zuschauer von außen beobachten können, tritt man so gut wie nie in eine Fantasiewelt ein. Eine Nummer folgt der anderen ohne emotionalen Zusammenhang. Und die Figuren erscheinen als leere Karikaturen.

Aus dem Nichts singt der Gefängniswärter Rocco seine Arie Hat man nicht Gold beineben, dann folgt in Homokis Version nicht das nostalgische Quartett Mir ist so wunderbar, sondern Leonores an Pizarro gerichtete Arie Abscheulicher! Wo eilst du hin? Nicht nur der Bearbeitung, sondern auch der schwarzweiß-grauen Ästhetik mangelt es an Spannung. Die Beleuchtung von Franck Evin und Rosalia Amato erzeugt großformatige Schatten der Figuren, schildert aber kaum die Gegenüberstellung der Dunkelheit des Gefängnisses mit dem Licht der äußeren Welt.

Hingegen wird mit der Reprise vom Quartett Er sterbe! im zweiten Akt ein dramatischer Moment im Orchester durch die Beleuchtung gesteigert. Aber der Effekt hält nicht lang: Während des Duetts O namenlose Freude, das Leonore mit ihrem lang gefangenen Florestan wiedervereinigen soll, rennt der Geliebte, immer noch mit verbundenen Augen, gegen die Wand, anstatt in die Umarmung zu finden.

Die musikalische Leistung ist aber hoch genug, um solche Absurditäten zu überwinden. Kor-Jan Dusseljee vereint als Florestan die Kraft des Heldentenors mit einem zeitweise irritierend nasalen, aber durchaus lyrischen Ton. Ann Petersen begeistert unermüdlich in der von Beethoven mörderisch schwierig geschriebenen Partie der Leonore. Mit samtigem, rundem Ton und einer makellosen Aussprache ist der Bass Wen-Hao Tsai ein erstklassiger Rocco. Grace Lin verkörpert seine Tochter Marzelline mit einer hübschen Sopranstimme, die ihre etwas matronenhafte Präsenz übersehen lässt. Die Besetzung wird von den Bässen Miklós Sebestyén in der Rolle des Don Pizarro, Wu Bai-Yu-Hsi als Don Fernando und dem Tenor Yi-Te Hung, der den Jaquino gibt, zufriedenstellend vervollständigt.

Flexibel und der deutschen Sprache mühelos angepasst ist die Phrasierung unter dem in Wien ausgebildeten Musikdirektor Shao-Chia Lü, nur fehlt es zeitweise an dynamischen Schwellungen. Stattdessen kommen etwas glatte, technisch orientierte Übergänge vor. Die dunklen Streicher und fein intonierten Holzbläser des 1986 gegründeten Nationalen Symphonieorchesters zeigen eine sorgfältig gepflegte Klangkultur, die Beethovens Partitur eindrucksvoll entspricht. Der Taipei Philharmonische Chor verfügt über eine beeindruckende Aussprache und einen vollen Ton. Auch wenn es an Legato fehlt, kann man dem Enthusiasmus auf der Bühne nicht entkommen.

Das Publikum ist bis ins anschließende Podiumsgespräch mit Homoki begeistert. Die langwierige Diskussion verrät eine Mischung aus Skepsis und Faszination gegenüber einer Regiearbeit, mit der man sich jenseits des Pazifiks kaum auseinandersetzt.

Rebecca Schmid

 





Fotos: Yungnien Wang