Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

TRISTAN UND ISOLDE
(Richard Wagner)
20. Juli 2014
(Premiere)

Staatsoper Stuttgart


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Schwäbisches Kasperletheater

Schockstarre“ heißt der Feind, den Jossi Wieler und Sergio Morabito mit ihrer Neuinszenierung des Tristan an der Stuttgarter Oper aus der Bühnenlandschaft vertreiben wollen. Wagners handlungsarme „Handlung in drei Aufzügen“ als Hohelied der Liebe zu zeigen, in der szenisch wenig passiert und die emotional aufgepeitschten Wogen der Musik Text und Szene rücksichtslos überwuchern? Nicht in Stuttgart. Die Dominanz der Musik widerspreche Wagners Ideal vom „Gesamtkunstwerk“, meint Morabito, und für eine Idealisierung der Liebe eigne sich ein so fieser Typ wie Tristan ohnehin nicht. Wagner habe Gottfried von Straßburgs Vorlage „aller gelebten Lust beraubt“, so dass das Werk auch nicht als Plädoyer für eine von gesellschaftlichen Zwängen befreite Liebe gelten könne.

Legt man die Messlatte gesunder Logik an den Tristan, stößt man in der Tat auf Widersprüche in Hülle und Fülle. Welchen Platz darf die Logik jedoch in einem Ausnahmewerk wie dem Tristan einnehmen, in dem sich Wagner von persönlichen und geradezu wahnwitzigen Erfahrungen und Gefühlen leiten ließ und nicht von irgendwelchen Dramentheorien?

Der Versuch, den Tristan zu einem normengerechten „Gesamtkunstwerk“ zurechtzubiegen und die Widersprüche der Handlung ins Bewusstsein der Akteure und Zuschauer zu rücken, geht in Stuttgart gründlich daneben. Nichts wird unversucht gelassen, die ekstatische Übermacht der Musik zu brechen. Das geht nicht ohne alberne szenische Mätzchen ab. Der erste Akt spielt auf einem putzig auf und ab wippenden Schiffchen wie aus der – verdienstvollen – Bayreuther Kinderoper. Isolde bekommt die Seefahrt nicht sonderlich gut, und so übergibt sie sich zu Tristans Gesängen. Der Liebestrank versetzt die beiden in einen feucht-fröhlich beschwipsten Zustand wie aus einer der vielen zu Wagners Zeit kursierenden Parodien. Schnell verziehen sie sich unter Deck. Im zweiten Akt sitzt Isolde als Ehefrau zunächst brav am Spinnrocken, bevor sich die Szene in eine lamettaverhangene Waldlandschaft verwandelt. Hier zappeln Tristan und Isolde auf der Bühne von Bert Neumann wie Marionetten an dicken Seilen. Spätestens hier wird klar, dass die gesamte Handlung von Tristan gesteuert wird. Auch der Mummenschanz mit dem Liebestrank, auch seine große Sterbeszene im dritten Akt. Die singt er in scheinbar gealtertem, aber sonst recht rüstigem Zustand am Stock, den er rasch wegwirft und sich zu Isoldes Schlussgesang dezent von der Bühne verabschiedet. Und zwar putzmunter, der Schelm. Was bleibt, ist eine Tristan-Story, die hart die Grenze zum Kasperletheater schrammt. Ein schlagendes Beispiel dafür, wie Dramaturgen-Logik ein Werk ruinieren kann.

Besonders ärgerlich, dass damit immer wieder von der Musik abgelenkt wird, die in einem so emotionsgeladenen Werk wie dem Tristan dominieren darf, ja, dominieren muss. Sylvain Cambreling gelingt es mit dem gut disponierten Stuttgarter Staatsorchester, die Stürme intensiv und lautstark zum Klingen zu bringen. Nicht immer zum Besten der Sänger, aber angemessener als der szenische Firlefanz.

Leicht hat es Christiane Iven in ihrem Rollendebüt als Isolde in diesem Umfeld nicht. Selbst in den Höhenflügen des großen Duetts muss sie sich wie ein fremdgesteuertes Püppchen benehmen. Den Schluss darf sie wenigstens in oratorienhafter Ruhe präsentieren. Stimmlich klingt ihre Darstellung schon in gemäßigten Höhen problematisch. Ihr Sopran wirkt in diesen Regionen nur noch schrill und überanstrengt. Auch wenn sie klug phrasiert und genau erkennen lässt, dass sie auch versteht, was sie da singt: Eine Glanzpartie wird die Isolde für die verdiente Sängerin wohl nie. Die Buh-Rufe schon nach dem ersten Akt verbieten sich dennoch aus Respekt vor der seriösen Gesamtleistung.

Erin Caves' Debüt als Tristan verläuft geradliniger. Er dosierte seine Kondition sehr geschickt und lässt in der Mammutszene des dritten Akts keinerlei Ermüdungserscheinungen erkennen. An tenoraler Strahlkraft mangelt es seiner Stimme zwar nicht, doch lässt er sie nur selten aufblitzen. Und an den exponierten Stellen droht ihn dann noch das Orchester zu übertönen.

Hervorragend Katarina Karnéus als Brangäne mit samtenem Mezzo-Glanz, die lyrische Wärme und dramatische Schlagkraft ohne Substanzverluste mühelos vereinigen kann. Die psychologisch einfacher gestrickte Figur des Kurwenal erfüllt Shigeo Ishino mit seinem kerngesunden Bariton ohne Fehl und Tadel. Mit König Marke weiß das Regie-Team gar nichts anzufangen. Im zweiten Akt bleibt er angesichts einer bewusst überblendenden Lichtregie geradezu unsichtbar, im dritten Akt macht er im proletenhaften Muskelshirt auch nicht viel her. Der szenischen Farblosigkeit kann Attila Jun auch stimmlich nicht genug entgegensetzen. Dass der böse Melot an das rote Kapuzenmännchen aus den „trauernden Gondeln“ eines Filmklassikers erinnert, gehört zu den komödiantischen Aufwertungen der Handlung, wie Wieler und Morabito sie verstehen. André Morsch muss sich mit diesem Rumpelstilzchen-Verschnitt abgeben.

Am Ende hagelt es Buhs für das szenische Team, das sich offenbar nicht damit abfinden will, dass sich ein vernunftbetonter Zugang zu einem rational nicht erfassbaren Stück wie dem Tristan extrem kontraproduktiv auswirken kann. Die Buh-Rufe für Christiane Iven können nur als „ungezogen“ bezeichnet werden. Ansonsten freundlicher bis begeisterter Beifall für die Sänger.

Pedro Obiera



Fotos: A. T. Schaefer