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Fakten zur Aufführung 

CHOWANSCHTSCHINA
(Modest Mussorgskij)
23. November 2014
(Premiere)

Staatsoper Stuttgart


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Ein Fest der Stimmen

Ein musikalisches  Volksdrama benannte Modest Mussorgskij sein nicht vollendetes Werk. Intensiv studierte er historische Dokumente, um die Geschichte seiner Heimat aufzuarbeiten. Dabei geht er auf die Zeit der Machtergreifung Zar Peter des Grossen und des Volksaustandes der Strelitzen zurück. Er fügt verschiedene Handlungen zusammen, die sich ursprünglich über einen Zeitraum von 20 Jahren erstreckten. Seine Klavierfassung des Werkes wurde von Dimitri Schostakovich instrumentalisiert und von Strawinsky vollendet.

„Die Gegenwart im Vergangenen entdecken“ wollte der Komponist, so auch Andrea Moses, die Regisseurin dieser Neuinszenierung in der Oper Stuttgart. Blutrot ist die Bühne getaucht, rot  glänzt die Basiliuskathedrale am Roten Platz, westliche Reklame dominiert das Bild, die russische Gesellschaft erlebt eine Transformation in den Kapitalismus der Jetztzeit. Leichen werden weggeschafft. Fürst Iwan Chowanskij, der Führer der Strelitzen, majestätisch und stimmlich gehaltvoll Askar Abdrazakov, Mitglied des Majinsky-Theaters, fühlt sich als Herrscher und stolziert über den Platz. Er gerät in Streit mit seinem Sohn  Andrej, dargestellt vom Letten Mati Turi mit seinem warmen, klaren Tenor. Da tritt erhaben der altgläubige Priester Dossifej hinzu, mahnt zur Besinnung mit seinem  Ruf nach einem neuen Reich. In seiner schmalen Gestalt herrscht eine gewaltige Bassstimme, mit der der Russe Mikhail Kazakov alle an diesem Abend überragt. Mit Leichtigkeit erzeugt er eine Klangfülle, die sich schier immer wieder steigern lässt. Verfremdet der Auftritt des Gegenspielers, dem karrierebewussten General Golizyn, dessen Machtzentrale auf einem Eisbären thront, der ungeschickt auf die Bühne gerollt wird. Liiert mit der Zarenmutter Sophia sucht er machthungrig auch andere Verbündete in Iwan Chowanskij und Dossifej. Das Ensemblemitglied Matthias Klink fügt sich gut in die fein ausgewählte Sängerriege.  Die allgegenwärtige altgläubige Mafra, sicher mit gekonnt slawischer Färbung von der  Holländerin Christianne Stotijn dargestellt, prophezeit ihm den Untergang. Der Komplott fliegt, wie vorhergesagt, auf und der General nimmt sich später selbst das Leben.

Effektvoll gestaltet und vom Staatsopernchor Stuttgart mit Zusatzchor bestens gemeistert sind die zahlreichen Chorszenen dieses Werkes. In verschiedenen Massenszenen tritt der Chor als revoltierendes oder gemartertes  Volk auf, bis es in der groß angelegten Schlussszene zum inszenierten Massenselbstmord schreitet und sich selbst vergast. Lange hängt der Nebel auf der grell ausgeleuchteten leeren Bühne über den Leichen, bis die huldvollen letzten Klänge im Haus verhallen. Am Ende ein stimmungsvolles, monochromes Bild in dieser sehr bunt aufgemischten und durchmischten Inszenierung.

Der musikalische Leiter dieser Neuinszenierung und Stuttgarter Erstaufführung, Simon Hewett, hat alle Hände voll zu tun. Es gelingt ihm, den Bogen und das Geschehen zusammenzuhalten. Er greift nicht auf schwere russische Klangvolumen und Färbungen zurück, sondern bleibt klar, frisch und lebendig. Orchester und Chor sind bestens eingespielt und abgestimmt. Modulationen und Steigerungen gelingen wirkungsvoll ohne Überfrachtung. 

Das Publikum zeigt sich beeindruckt und begeistert von diesem großen russischen Werk. Viel und langanhaltender Applaus für die Sänger, Dirigat und Orchester. Manche Buhs für das Regieteam werden bald von den Befürwortern verdrängt.

Helmut Pitsch



Fotos: A. T. Schaefer