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Fakten zur Aufführung 

MAHALIA
(Joan Orleans)
21. Dezember 2014
(Einmaliges Gastspiel)

Theater- und Konzerthaus Solingen


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Aktuell wie nie

Irgendwas ist da wohl gründlich schief gelaufen. Da kommt das Musical Mahalia mit brandaktuellen Inhalten als Gastspiel in das Theater- und Konzerthaus nach Solingen und spielt vor nicht einmal zur Hälfte gefülltem Saal auf. An der Bestuhlung wird es nicht liegen. Die Solinger kennen, so möchte man annehmen, die hautengen Schalensitze im Pina-Bausch-Saal, die wohl auch bei gesunden Menschen nach spätestens einer Stunde für Rückenbeschwerden sorgen und bei voller Besetzung klaustrophobische Zustände hervorrufen. Da hat vermutlich eher die Lokalpresse gepennt. Denn zunächst einmal klingt das Thema, nämlich die Biographie einer gottverliebten Gospelsängerin, die immerhin weltweit Berühmtheit erlangte, eher so, als träumten die Verfasser des Stücks, Joan Orleans und Emanuel Clark Porter, einer längst vergangenen Zeit hinterher oder erfüllten eher Pflichten von Geschichtsschreibern – also stinklangweilig. Aber dann ist doch alles ganz anders.

Mahalia Jackson wurde 1911 „zwischen Bahngleisen und dem Mississippi“ in New Orleans geboren, einer Zeit also, in der sich Amerika so rassistisch gebärdete, wie man es in der Geschichte weder vorher noch – tatsächlich – bis heute kaum erlebt hat. „Ich habe einfach laut los gesungen, und mit Hilfe des Herrn haben es auch die Menschen in der letzten Reihe gehört. Das habe ich aus der Bibel von David. Wissen Sie, was er sagte? ‚Singt freudig dem Herrn mit lauter Stimme‘. Diesen Ratschlag habe ich beherzigt“, wird Jackson zitiert. Trotz einer begnadeten Stimme verweigert die Sängerin sich konsequent dem Blues wie anderen Musikrichtungen und wird so zur „Queen of Gospel“. Als sie sich in den 1960-er Jahren der schwarzen Bürgerrechtsbewegung anschloss, begann damit auch ihre Freundschaft mit Martin Luther King. 1972 verstarb Mahalia Jackson im Alter von 60 Jahren in Amerika, nachdem sie ihr letztes Konzert in München gegeben hatte und dort auf der Bühne zusammengebrochen war.

Joan Orleans, die auch die Hauptrolle übernimmt, hat das Buch zum Musical geschrieben. In 21 Bildern werden wichtige Szenen aus dem Leben einer Sängerin gezeigt, die den Gospel zur Lobpreisung Gottes singt. Es wird auch in dem Stück nicht ganz klar, inwieweit das Marketing oder naive Überzeugung war, allerdings nerven die ständig zum Himmel geworfenen Hände und Augenaufschläge über die Länge des Stücks. Im Mittelpunkt einiger Szenen aber steht auch Martin Luther King. Unter anderem nimmt Orleans auch die Rede Kings I have a dream sowie einige Ausschnitte seiner Reden auf. Die Worte, die da in Solingen auf der Bühne laut werden, gehören jedem Antirassisten und Fremdenfeind, jedem, der nicht versteht, was es bedeutet, aus der Heimat fliehen zu müssen und in der Fremde auf verschlossene Herzen zu stoßen, ins Stammbuch geschrieben und täglich abgefragt. King hat nicht irgendetwas über Schwarze und Weiße in Amerika gebrabbelt, was uns Europäer nichts angeht. Sondern er hat konkrete Visionen über das menschliche Miteinander geäußert, was in unserer Ökonomie-überfrachteten Gegenwart so gerne vergessen wird. Nicht das Kapital und nicht die Überbewertung eines Zahlungshilfsmittels werden dafür sorgen, dass wir unsere Überlebensfähigkeit sichern. Alles nachzulesen auch bei Martin Luther King. Das hat so viel Brisanz, wühlt so auf, dass der Rest des Stücks unwichtig wird. Offenbar jeden, bis auf die Lokalreporter in Solingen, die ihr Publikum darauf anscheinend nicht aufmerksam machten.

Michael Wedekind hat das Musical leider arg konventionell als Nummernstück inszeniert. Auch sind die Auftritte und Abgänge von einer seltsamen Betulichkeit, für die keinerlei Notwendigkeit besteht. Mit seinem Bühnenbild hat sich Wolfgang von Gehlen ganz auf die Machbarkeit von Gastspielen konzentriert. Kleiner Bühnenraum mit vier Abgängen, dazu wenige, aussagekräftige Requisiten und einige mehr oder minder charakterisierende Stellelemente. Das ist schnell auf- und abgebaut, trägt aber auch nicht sonderlich zu einer besonderen Atmosphäre auf der Bühne bei. Nervig ist das ständige Ratschen des zusätzlichen blauen Samtvorhangs, wenn er auf- und zugezogen wird. Der Hintergrund ist mit einer weißen Leinwand abgegrenzt, der bestens die dezenten, aber wirkungsvollen Lichtwechsel von Rolf Spann unterstützt. Leider müssen die Musiker im Off verschwinden. In diesem Umfeld bewegen sich die Akteure in den der damaligen Zeit angepassten Kostümen von Maria Lucas. Da ist nichts Aufregendes dabei; vielmehr werden die bekannten Klischees bedient. Für die Choreografie sorgt Robert Coverton. Die beschränkt sich allerdings meist auf ihn selbst und die für den Gospel-Gesang so typischen Bewegungsmuster. Den Rest besorgt Wedekind mit einer ausgewogenen Personenführung. Dazu gehört auch, dass er die Darsteller so einsetzt, dass alle ihre Rollen – bis auf Orleans hat jeder Darsteller mehrere Rollen zu bewältigen – klar abgegrenzt werden. Das ist wirklich gut gelöst.

Und die Darsteller haben wirklich alle Hände voll zu tun, um ihren zahlreichen Rollen gerecht zu werden. Da ist der häufige Kostümwechsel noch die geringste Herausforderung. Joan Orleans spielt und singt eine wunderbar authentische Mahalia Jackson. So überzeugend, dass man zum Ende des Stücks wirklich froh ist, ihre zu Gott gerichteten, weltentrückten Blicke nicht mehr ertragen zu müssen. Ob es an der Rolle oder am Schauspieler liegt, wird nicht klar: Kermit Gray spielt unter anderem einen eher steifen Martin Luther King, der in ungewöhnlichem Gegensatz zur geschmeidigen Stimme steht. Ehe es zu getragen wird, sorgt Robert Coverton vor allem als Fred für flottere Rhythmen. Melvin Canady sorgt vor allem als Mr Abermathy für zunehmende Sympathie. Neben den Sängerinnen Barbara Johnson und Deidra Jones fällt besonders Andrea Barker als missachtete Pianistin Mildred und herausragende Stimme auf.

Canady ist auch für die Arrangements, die musikalische Leitung und die Einstudierung des Ensembles zuständig. Neben der handwerklich sauber ausgeführten Leistung fallen vor allem die fantasievollen Arrangements auf, die die „folkloristischen“ Gospels zu so noch nicht gehörten und künstlerisch wertvollen Songs aufpäppeln.

Das Publikum sieht die Aufführung mit gemischten Empfindungen. Während einige sich in der Pause verabschieden, beklatschen die anderen jeden Song, klatschen gerne mal mehr oder weniger rhythmisch mit und zögern zum Schluss nicht, sich von den Plätzen zu erheben, um auch bei den Zugaben stehenzubleiben und begeistert mitzufeiern. Bedauerlich ist, dass es sich um ein einmaliges Gastspiel handelt. Die Solinger hätten eine zweite Chance verdient.

Michael S. Zerban

Fotos: Bernd Böhner