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Fakten zur Aufführung 

BORIS GODUNOW
(Modest Mussorgsky)
27. Juli 2015
(Premiere am 11. Juli 2015)

Opernfestspiele Savonlinna


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Macht im goldenen Käfig

Die Finnen sind stolz auf ihre Heimat. Viele Jahrhunderte wurde dieses Volk entweder von den Schweden oder Russen unterjocht. 1836 zeichnete der Schriftsteller Elias Lönnrot die mündlich in Gesängen überlieferte Nationalsaga Kalevala auf. Diese Geschichte entstand vor 1000 Jahren in Karelien und handelt von ritterlichen Helden, Geistern, Prinzessinnen und Elfen. Überall im modernen Finnland trifft man auf diese Erzählung und dann steht man vor der mächtigen Burg Olavinlinna, aufgepropft auf einen abgerundeten Granitfelsen, und  fühlt sich selbst in dieser Erzählung von Mythen. Eine befestigte Insel, die den Schifffahrtsweg von Nord nach Süd in der finnischen Seenplatte lange Zeit beherrschte. Gedrungen sitzt sie da, nun kann man sie über eine Fußgängerbrücke als Tourist spielerisch erobern. Mehrmals täglich wird die Brücke gedreht, sodass auch der Schiffsverkehr, der noch heute von großer Bedeutung ist, unbehindert vorbeifahren kann. 1912 wurde in der Burg zum ersten Mal eine Oper aufgeführt, das noch unter russischer Besetzung. 1917 war vorerst Schluss mit Oper, aber auch mit der russischen Besetzung. Finnland erlangte die ersehnte Freiheit und Unabhängigkeit. Viel hat das Land in den letzten 100 Jahren erreicht.

Vom ausgebeutetem Bauernstaat zum modernen Elektronikproduzenten, vorbildlich in der Demokratie und seinem sozialen Bewusstsein. Die Pflege der Kultur und der Natur genießen einen hohen Stellenwert. Der Tourist, der heute durch diese ausgedehnte Seen und Waldlandschaft fährt, kommt nicht aus dem Staunen, welche intakten Naturschönheiten er immer wieder erblicken darf. 400 km immer gegen Osten muss er reisen, um nach Savonlinna zu kommen. Das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Kareliens ist weit über die Grenzen bekannt für eben diese Burg Olavinlinna und ihre Opernfestspiele, die nunmehr Weltgeltung erlangt haben. Einmal in der Burg, erfasst einen der mittelalterliche Zauber, die Ritterzeit wird lebendig zwischen Zinnen, Türmen, Waffengängen und Rittersälen. Im großen Innenhof ist eine Tribüne aufgebaut, die 2200 Menschen fasst, eine breite schmale Bühne und dazwischen ein Orchestergraben, der einem groß besetzten Orchester ausreichend Platz gibt. Den nördlichen Wetterverhältnissen angepasst, erstreckt sich eine große Bedachung über den Hof. Äußerst professionell sind der Ablauf und der Strom der Massen organisiert. Jährlich kommen 60000 Zuschauer und beleben Burg, Stadt und Umgebung.

Boris Godunow von Modest Mussorgsky ist die diesjährige Neuinszenierung in der Regie der jungen Nicola Raab gewidmet. Die mittelalterliche Geschichte um den grausamen Zar, der nur über Morde an die Macht kommt und von seinen Gräueltaten mit dem Wahnsinn eingeholt wird, passt in das Gemäuer. Bühnenbilder Georges Souglides setzt die Macht und die Mächtigen in einen goldenen Käfig und zentriert so geschickt das Geschehen. Mit ausgeklügelter Lichtregie werden weitere Stimmungseffekte erreicht. Zu Beginn schleicht der groß besetzte und stimmhaft mächtige Chor um den noch verhüllten Käfig wie um ein Heiligtum. Das Volk zerrt an der Hülle, und der Zuschauer darf seinen Blick in das Machtzentrum werfen, in dem sowohl die Kirche, der Zar als auch die Duma, die Adelsvertreter, das Sagen abwechselnd haben. Es sind die Einzelschicksale, die die Regisseurin feiner gestaltet, dem Chor in der Rolle des Volkes fehlt gefühlt die Regieanweisung. Statisch, meist bewegungslos verharrt er den ganzen Abend, zum Teil unter Decken, auf der Bühne. Dafür singt er umso eindrucksvoller, und die Gäste bekommen die erwarteten tiefen nördlichen Stimmen ausreichend zu hören. Aber auch die Damen lassen es kräftig klingen.

Insgesamt überzeugen die Stimmen in dieser Aufführung. Matti Salminen, gefeierter und international anerkannter Bass, gestaltet seinen Boris seinem Alter entsprechend behäbig, leise zurückgenommen und rührselig. Nur selten erahnt man seine ehemals große Stimme, aber diese subtile Interpretation bleibt nicht ohne Wirkung und Dramatik. Mika Pujohnen ist sein Gegenspieler als der falsche Dimitry und kommt ursprünglich aus der Popmusik, bevor er mit seinem vollen, aber dunkel gefärbten Tenor erfolgreich auf die Opernbühne wechselte. Besonders auffällig sind die Besetzungen des Zarewitsch Fyodor mit dem Countertenor Artem Grutko, dessen Stimme kindhaft hell und leicht klingt, sowie des schwachsinnigen Simpleton mit Dan Karlstroem.

Am Pult sitzt Leif Segerstam, eine weitere nationale Institution im finnischen Musikleben. Gezeichnet von Krankheit, setzt er seinen Einsatz immer noch frisch, lässt das Orchester zwar langsam, aber immer unter Spannung musizieren, untermalt den lyrischen Ansatz von Salminen mit einem weichen Klangteppich, fließend spielenden Streichern und vollmundigen Bläsern. Dieser Tyrannentod wird so nicht ein Befreiungsschlag, sondern ein mitleiderregender Schicksalsschlag, an dem das Volk und die Zuschauer Anteil nehmen. Der verwaiste Zarewitsch wird schon abgeführt, da steigt der sterbende Zar aus dem Machtzentrum und wird auf der russischen oder der hier finnischen Erde aufgebahrt.

Viel Beifall und große Anerkennung für die beiden gealterten Meister, aber auch allen anderen Sängern wird viel Applaus gespendet. Vor der Burg findet nach Abschluss der Oper das eigentliche Finale in der Natur statt. Die Sonne spendet ihre letzten Strahlen und färbt den nördlichen Abendhimmel in romantisches Rot. Beim Blick zurück auf die Burg, den See und die Wälder wird einem warm ums Herz und man teilt den Stolz der Finnen.

Helmut Pitsch

Fotos: Opernfestival Savonlinna