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Fakten zur Aufführung 

TAHRIR
(Hossam Mahmoud)
17. Mai 2015
(Premiere)

Landestheater Salzburg


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Beklemmende, innere Befreiung

Tahrir heißt der große, bekannte Platz in Kairo. Er war Ausgangspunkt und ist Synonym für den Volksaufstand in Ägypten, für die ägyptische Revolution im Jahre 2011. Das arabische Wort Tahrir heißt wörtlich übersetzt Befreiung. Tahrir heißt aber auch die rund 90-minütige, neue Oper von Hossam Mahmoud, die jetzt am Salzburger Landestheater uraufgeführt wurde. Dieses Auftragswerk ist nach der 2013 entstandenen Revolutionsoper 18 Tage…, das zweite Opus des ägyptischen Komponisten, das genau diese Themen wie regierungskritische Kundgebungen und Massenproteste behandelt. Der Komponist, der auch sein eigener Librettist ist, hat seinen Text aus unterschiedlichen Quellen, etwa aus einem Gedicht des Sufi aus dem frühen 10. Jahrhundert, al-Hallg, gespeist. Dabei wurde viel spirituelle Philosophie in Handlung und Text gepackt.

Mahmoud stellt vier Menschen ins Zentrum seiner Geschichte, deren Lebensläufe sich verweben: Einen Politiker, der um jeden Preis seinen Vorteil aus dem Umbruch schlagen will. Dieser duldet auch Gewalt und Folter, woran ein junger Mann im Krankenhaus stirbt. Jener erscheint auch immer wieder als anklagender, surrealer Untoter. Dann dessen Mutter, die versucht, die Wahrheit über seinen Tod herauszufinden. Und schließlich die Frau des Politikers, die sich von ihrem Mann zusehends entfremdet und die sich letztlich der Revolution anschließt. Die Befreiung aller Personen findet aber nicht nur politisch, sondern im Inneren jedes einzelnen statt. Man erlebt also eine beklemmende Reise nach Innen. Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit sind dabei die am häufigsten verwendeten Worte, die auch auf Transparenten immer wieder zu lesen sind.

Die türkische Regisseurin Yekta Kara, Chefregisseurin der Staatsoper Istanbul und Künstlerische Leiterin des Internationalen Opernfestivals in Istanbul hat all das ergreifend und berührend in Szene gesetzt. Man lässt das Geschehen auf einem tief ins Publikum ragenden Steg, das Bühnenbild stammt von Christian Floeren, beinahe ohne Kulissen mit Bild- und Videoeinblendungen von Geschehnissen vom Tahrir-Platz eindringlich und glaubhaft ablaufen. Der ungemein sicher singende Chor, der von Stefan Müller einstudiert wurde, ist teilweise im Hintergrund auf einem Gerüst im ersten Stock, teils im Zuschauerraum, meist jedoch direkt im Geschehen, teils liegend und kriechend, situiert.

Dazu hat der in Salzburg lebende und in Österreich insbesondere von Beat Furrer ausgebildete Mahmoud eine sehr feinfühlige Musik, in einem sehr spezifischen, eigenen Stil geschrieben, in der langsame Tempi vorherrschen, die von faszinierenden Klangflächen bestimmt ist, die immer große Wirkung erzielen. Neben wunderbaren, völlig tonalen Klängen kommt es zu übergreifenden Tonstrukturen, durch eine Vermischung von arabischen Skalen und europäischer Mehrstimmigkeit und der Verwendung von orientalisch anmutenden Viertel- und Dreivierteltönen oder überhaupt extreme Reibungen von Intervallen. Sie wird vom klein besetzten Mozarteum-Orchester Salzburg, deren Streicher seitlich auf der Bühne, deren Bläser in den Logen sitzen, was wiederum einen starken Raumklang bewirkt, trotz aller Schwierigkeit hochambitioniert und konzentriert umgesetzt. Für den exakten Zusammenhalt sorgt die neue Musikdirektorin des Landestheaters, die erst 28-jährige Dirigentin Mirga Grazinytè-Tyla, seitlich mit Akribie und weit ausholenden, exakten Gesten.

Die stark an Höhe und an extremen Intervallen fordernden Gesangspartien, deren Phrasen mit der Zeit etwas gleichförmig und immer recht kurz wirken,  werden bravourös bewältigt: Frances Pappas als ausdrucksstarke, leidende Mutter, Ilker Arcayürek als Sohn mit schönem Tenor, Laura Nicorescu als Sahr, die Frau des Politikers, mit glasklarem Sopran und Giulio Alvise Caselli als stimmgewaltiger Politiker. Die regierungsfreundliche Reporterin spielt die Schauspielerin Beatrix Doderer.

Das Publikum reagiert fasziniert und bejubelt alle, am meisten den anwesenden Komponisten.

Helmut Christian Mayer







Fotos: Anna-Maria Löffelberger