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Fakten zur Aufführung 

CHARLOTTE SALOMON
(Marc-André Delbavie)
14. August 2014
(Premiere am 28. Juli 2014)

Salzburger Festspiele, Felsenreitschule


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Leben? Oder Theater?

Erinnre dich an die Liebe, erkenne dich selbst. La, la, la…“ Mit einem simplen, kindlich-naiven Kanon, den Charlotte zuerst summt, dann singt und in den dann alle einstimmen, während ein großes, gemaltes Bild langsam über die weiße Kulisse fährt, beginnt und endet die Oper Charlotte Salomon von Marc-André Delbavie in der Felsenreitschule.

Wie überhaupt die Uraufführung dieses Auftragswerks der Salzburger Festspiele nach Gesualdo mit seiner Uraufführung in Zürich 2010 auf die Macht der Bilder setzt. Es ist dem verstorbenen Ex-Intendanten der Festspiele Gérard Mortier gewidmet und die zweite Oper des 1961 geborenen Franzosen Delbavie. Charlotte Salomon war eine leidenschaftliche Malerin, die die Stationen ihres Lebens autobiographisch und bunt auf die Leinwand gebannt hat. Es ist eine tragische Geschichte einer jungen Künstlerin inklusive unglücklicher Liebe, die in der Nazizeit als Jüdin vorerst in die Akademie der Wissenschaften in Berlin aufgenommen wurde. Sie musste aber vor den Nazis nach Südfrankreich flüchten, wo sie von 1940 bis 1942 nahezu 800 mit markanten Textflächen und präzisen, musikalischen Assoziationen behaftete Gouachen in einer Art künstlerischen Selbstfindung schuf, die sie zu einem Singespiel mit dem Titel Leben? Oder Theater? zusammenfasste. Letztlich wurde sie verhaftet und erst 26-jährig, frisch mit dem Österreicher Alexander Nagler verheiratet und im vierten Monat schwanger, im Lager Auschwitz ermordet. Ohne einen konsequenten Handlungsablauf hat nur auf Grund dieser Bilder und ihres Singespiels Barbara Honigmann daraus ein zweisprachiges Libretto geformt.

Denn die Rolle der Titelheldin ist geteilt und wird einerseits von einer Schauspielerin, der fabelhaften Johanna Wokalek, auf Deutsch gesprochen, die den Polt erzählt, und auch von ihrem musikalischen Zwilling Marianne Crebassa mit wunderbar klarem Mezzosopran auf Französisch gesungen. Anaik Morel ist ihre klar singende Stiefmutter und berühmte Sängerin Paulinka Bimbam, in die sie sich ebenso verliebt hat, wie in den, mit schmelzendem Tenor versehenen Gesangslehrer Frédéric Antoun, der allerdings wiederum in ihre Stiefmutter verliebt ist. Vincent Le Texier ist Herr Knarre, der Großvater von Charlotte, Cornelia Kallisch ist Frau Knarre, ihre Großmutter. Beide singen sehr markant. Sie begehen wie ihre eigentliche Mutter Franziska Kann Selbstmord, die von Géraldine Chauvet ausdrucksstark gesungen wird. Ihr eigentlicher Vater wird von Jean-Sébastian Bou ideal interpretiert.

Luc Bondy hat sehr zurückhaltend inszeniert und sich von Johannes Schütz eine endlose weiße Zimmerflucht, die sich mit variablen Wänden unterschiedlich und kaum merklich in verschiedene Schauplätze unterteilen lässt, in die Felsenreitschule bauen lassen, was auch eine Leichtigkeit der Auftritte, Abgänge und Szenenüberblendungen ermöglicht, in der er immer mehrere Handlungsstränge parallel zeigt und in der immer die zur Handlung passenden Bilder hinaufprojiziert werden können. In erster Linie hat Bondy sich auf die präzise Führung der Hauptprotagonisten konzentriert. Die selbstmörderischen Fensterstürze sind jedoch nur recht banal gelöst. Auch die derben Auftritte der Nazis wirken sehr plakativ.

Hat Delbavie bei seinem Gesualdo noch Renaissance-Madrigale einfließen lassen, so zitiert er jetzt immer wieder verfremdet Melodien und Themen, die Charlotte im Kopf und gesungen hat: Etwa die Habanera aus Bizets Carmen oder den Brautchor aus Webers Freischütz wie auch Lieder von Schubert etwa aus Der Tod und das Mädchen oder überhaupt Volks- und Nazilieder. Seine Musik ist geprägt von Liege- und Haltetönen, von sinnlichen, weit aufgefächerten Klangbildern, die schimmern und wabern und durchaus Atmosphäre erzeugen. Es ist eine Art abstrakter Neo-Impressionismus, ein orchestrales Innehalten. Letztlich wirkt sie in erster Linie untermalend, fast wie Filmmusik und ist für das düstere Thema eigentlich viel zu schön. Darüber hinaus viel zu gleichförmig und zu repetitiv, so dass manche Passagen recht lang wirken und durchaus Kürzungen vertragen hätten. Nur bei einigen Stellen kommt es zu mitreißenden Ausbrüchen, etwa beim Liebesakt, der auf dem Klavier unter einem bewegten Tuch stattfindet. Diese Musik von Marc-André Delbavie, der auch selbst am Pult steht, wird vom Mozarteum Orchester Salzburg sehr sensibel, mit feinsten Farben und Nuancen ausstaffiert.

Zweifellos ist es wichtig, diese Geschichte zu erzählen. Insgesamt erhebt sich allerdings die Frage, ob sie sich nicht besser als Sprechstück oder als Film eignen würde denn als Oper, denn in der erlebten Form berührt sie einen zu wenig.

Das Publikum im ausverkauften Saal immerhin ist von der Produktion sehr angetan, es applaudiert heftig.

Helmut Christian Mayer

Fotos: Ruth Walz