Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

DANSES NOCTURNES
(Benjamin Britten)
25. Mai 2014
(Premiere)

Ruhrfestspiele, Großes Haus


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Auf unerbittlicher Suche

Auf der abgedunkelten leeren Bühne bewegen sich nur wenige helle Flecken: die nackten Hände, Füße und das Gesicht von Charlotte Rampling in schwarzer Kleidung, und die musizierenden Hände von Sonia Wieder-Atherton auf dem hell leuchtenden Cello, ihr Gesicht bleibt im Dunklen. Bei diesen nächtlichen Tänzen treten keine Tänzer auf, kein Orchester spielt flotte Melodien, erst recht gibt es keine fröhliche Feststimmung. Hier dreht sich ein verwirrtes Hirn um und in sich selbst und sucht vergeblich, seinem konfusen Leben eine Richtung zu geben und einen Weg aus immer neuen Depressionen heraus zu finden – ohne Erfolg.

Sonia Wieder-Atherton und Charlotte Rampling greifen bei der Einrichtung dieses Stückes auf Lebensgeschichte und Werke von Sylvia Plath zurück. Plath, eine amerikanische Schriftstellerin des 20. Jahrhunderts, hat nie einen leichten, geraden Weg für ihr Leben gefunden. Ihre frühen heftigen Erfahrungen, unter anderem eine Elektroschockbehandlung und den Tod ihres Vaters, hat sie in zahlreichen, durchaus anerkannten Gedichten, Erzählungen und Kurzgeschichten zu verarbeiten versucht und setzt doch schließlich ihrem Leben selbst ein Ende. Nach der Lektüre der Korrespondenz, ihrer Tagebücher und Gedichte kennzeichnet Wieder-Atherton die Lyrik von Plath als „destruction to enable rebirth“ und sieht dennoch in ihrer Biographie den Stoff für eine spezifisch dramatische Bearbeitung.

Die Gedanken der Protagonistin Sylvia Plath changieren zwischen Träumen, Illusionen, Phantasien, einer kaum erkennbaren Wirklichkeit und gehen nahtlos über in bedrohliche Alpträume, Angstphantasien und Endzeitbilder. Sie sieht sich selbst als „The girl who wanted to be God“ – wahrhaftig nicht das Fundament für ein fröhlich gelebtes Leben. In Verbindung mit den eingeblendeten situativ wirkenden, oft undurchsichtigen Texten erzeugen Sonia Wieder-Atherton am Cello und Charlotte Rampling mit ihrer Rezitation ein grausig-hoffnungsloses Bild einer Sylvia, deren Selbstreflexionen keine Lebensfreude aufkommen lassen und sie immer wieder an den Rand ihrer Existenz führen.

Die dunklen nächtlichen Tänze um sich selbst präsentiert Charlotte Rampling mit sparsamsten Mitteln eindringlich und berührend. In ihrem schwarzen Kostüm, mit seltenen, nie hastigen Platzwechseln wirkt sie statisch, fast wie angewurzelt. Ihre leisen, zurückhaltenden Rezitationen komplexer Texte, die häufig den Charakter von Gedankenfetzen oder Aphorismen haben, zeichnen das Bild einer in sich gekehrten, mit dauernden Selbstreflexionen intensiv beschäftigten, suchenden Person ohne Orientierung. Körpersprache und Rezitation erfordern die volle Aufmerksamkeit der Zuschauer, und manch einer bedauert, immer wieder zum Subtitel-Text hinblicken zu müssen und dabei den Blickkontakt zu Rampling zu verlieren. In ihrem äußerst sparsamen Spiel entdeckt man die großen schauspielerischen Qualitäten der hoch gelobten britischen Schauspielerin.

Die Musik von Benjamin Britten, verschiedene Sätze aus seinen Suiten für Solo-Violoncello, passt zu diesem Stück perfekt. Schon der natürliche Klang dieses Instruments tendiert eher in Richtung dunkle Stimmung, Trauer und Tragik. In häufig tiefdunklen Passagen, langen Streichphrasen und gezupften oder gerissenen Forti setzt Wieder-Atherton einen kontrastierenden Klang neben die Texte. Die Suiten von Britten wirken dabei selten als „Begleitmusik“, sie stehen eher für sich und tragen eigenständig zu der Schwere und Verwirrung dieser „Geschichte“ bei, in der sich eigentlich nichts entwickelt. In einem verhaltenen Schluss geht Rampling einfach langsam aus dem verlöschenden Licht.

Nur allmählich kann sich das Publikum aus seiner Spannung lösen und bedankt sich dann für einen intensiven Theaterabend mit zunehmendem Beifall und Bravorufen, die selbst die beiden Darsteller überraschen.

Horst Dichanz

Fotos:
Damien Dufaitre, Marthe Lemelle