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Fakten zur Aufführung 

DALÍ VS. PICASSO
(Fernando Arrabal)
14. Juni 2014
(Premiere am 11. Juni 2014)

Ruhrfestspiele, Kleines Theater


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Arrabalesker Dialog über Kunst und Dialog

Auch mit 81 Jahren ist die kreative Energie des großen spanischen Surrealisten Fernando Arrabal ungebrochen. Mehr als 100 Theaterstücke hat er geschrieben, die 2009 in zwei einschüchternd voluminösen Bänden als Teatro completo publiziert wurden. Dem fügt sich nun mit Dalí vs. Picassoein weiteres typisch „arraballeskes“ Werk hinzu. Thematisch kehrt er zu seinen Kernthemen zurück, zu Spanien, zum spanischen Bürgerkrieg und zur Rolle und Funktion der Kunst in der Gesellschaft.

Arrabal, geboren 1932 auf nordafrikanischem Territorium in der spanischen Exklave Melilla, aufgewachsen in Ciudad Rodigro bei Salamanca, in Madrid ausgebildet, exiliert 1955 nach Paris, wo er auch heute noch lebt. Arrabals Vater wurde nach dem Bürgerkrieg zum Tode verurteilt und verschwindet 1941 spurlos im Gewahrsam der Diktatur: für Arrabal eine tiefgreifende biografische Erfahrung, die, wie auch sein späteres Exil, der Verlust von Heimat, Sprache und Freunden bedeutet. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die untrennbare Verbindung von Kunst und Politik in Arrabals Werk von Anfang an. Dalí vs. Picassoist ursprünglich in französischer Sprache verfasst, eine spanische Version tourt seit dem Frühjahr vergangenen Jahres durch Spanien. Es ist als dialogisches Zwei-Personenstück angelegt, wobei die beiden weiblichen Partnerinnen der Protagonisten – Dora Maar und Gala Dalí – zusätzlich als Stimmen aus dem off erklingen. Das Stück spielt in Paris am 29. April 1937, drei Tage nach der Bombardierung des baskischen Guernica durch deutsches Militär. Salvador Dalí und Pablo Picasso treffen sich in einem Salon und diskutieren ihre zwei zentralen Werke zum spanischen Bürgerkrieg: Die Weiche Konstruktion mit gekochten Bohnen (Vorahnung des Bürgerkrieges) von Dalí, das im Vorjahr fertiggestellt wurde und Picassos im Entstehen begriffenes, monumentales Antikriegsbild Guernica.

Es entspannt sich ein wüster, wütender Dialog unter den beiden rivalisierenden Malertitanen, in dem Arrabal alle Register der überdreht surrealistischen Satire zieht: Attacke und Verteidigung, sich intellektuell gebende, manchmal clowneske Abschweifungen, oft derb groteske sprachliche Delirien sind ihre Ingredienzen. Arrabal diskutiert das Verhältnis von Kunstwerk, Engagement und politischer Realität im Zeichen von Bürgerkrieg und Unterdrückung. In Umkehrung des öffentlichen Images präsentiert Arrabal Dalí als den eigentlich politischen und engagierten Künstler, jedenfalls gibt er dieser Sichtweise ausreichend Raum, während Picasso provokativ als triebgesteuerter, opportunistischer und geldgieriger Konservativer degradiert wird, dem politisches Engagement und persönliches Risiko völlig abgeht. Ein weiteres Thema ist das Verhältnis zum eigenen Körper. Die präsente, sinnliche Körperlichkeit Picassos wird kontrastiert mit dem Triebverzicht Dalís, das im zweiten Teil des Stückes im Kastrationsverlangen des katalanischen Malers kulminiert. Arrabal, der als Beteiligter die Kunst- und Literaturgeschichte der Moderne en detail kennt – das ganze Stück ist durchsetzt von Anspielungen auf literarische und bildnerische Kunstwerke, auf historische Personen und Ereignisse, eine wahre Freude für Kenner der Szene – fingiert die historischen Ereignisse um die kunsthistorisch gut dokumentierte Entstehungsgeschichte von Picassos Guernica im Kontext der Pariser Weltausstellung von 1937, indem er mit realen historischen Ereignissen virtuos spielt und sie neu zusammensetzt. Er arbeitet mit absurden Unterstellungen und surrealistischer Kombinatorik der historischen Fakten, ein Wirbel durch die jüngere Kunstgeschichte. Nach dem Fall des Schlussvorhangs ertönt eine Lautsprecherstimme, die suggeriert, das sich alles in einer psychiatrischen Anstalt abgespielt haben könnte, eine schockhafte und ironische finale Pointe, die alles vorhergegangene wieder in Frage stellt. Wohin all das letztlich führt, ist schwer zu sagen, anregend und ein großer Spaß ist es allemal.

Die deutsche Erstaufführung in der Regie von Ruhrfestspielintendant Frank Hoffmann ist eine Übernahme der französischen Uraufführungsinszenierung in gleicher Besetzung vom Luxemburger Nationaltheater vom Dezember 2013. Sie wartet mit einer fulminanten Besetzung auf. Mit überbordender Spielfreude und Energie erlebt man Samuel Finzi als Picasso und Marie-Lou Sellem als Salvador Dalí. Die beiden Stimmen aus dem off bringt Hoffmann als agierende Personen ins Geschehen ein: Jacqueline Macaulay als Picassos damalige Partnerin Dora Maar und Luc Feit als Dalís Ehefrau Gala. Die Bühne für das fiktive Treffen der beiden Malerstars baut Christoph Rasche als heruntergekommenen Salon mit zwei den Raum dominierenden Sesseln – vielleicht Picassos Atelier in der Rue des Grands Augustins, dem Produktionsort von Guernica. Im Hintergrund sehen wir eine Reproduktion von Guernica, nicht flächig gestaltet, sondern in bühnenbildhafter Tiefe gestaffelt, so dass sich die Schauspieler hindurchbewegen können. Dalís Weiche Konstruktion hängt nur als Titel auf einem Schriftband im Raum, während die Schauspieler so agieren, als befände es sich im Zuschauerraum; erst später sehen wir es als Projektion an den Seitenwänden der Bühne. Die Inszenierung ist sehr erfreulich stücktreu, textgenau, hält sich an den burlesken Gestus des Stückes und bemüht sich nicht, Arrabals überbordende Imaginationskraft noch mit inszenatorischen Gags zu übertrumpfen. Dabei kann sich Hoffmann voll und ganz auf seine Schauspieler verlassen. Marie-Lou Sellem gibt Dalí als selbstsicheren, reichlich selbstverliebten Dandy, den die Alters- und Publizitätsdifferenz nicht groß tangiert: Picasso ist zu dem Zeitpunkt 57 und auf dem Zenit seines Ruhms, Dalí hingegen erst 33 Jahre alt. Überhaupt ist die Besetzung Dalís mit einer Frau, noch dazu mit einer so wunderbaren wie Sellem, ein gelungener Kunstgriff, gibt sie doch den androgynen Charakter Dalís mit Leichtigkeit wieder. Finzi ist ein herrlich grober, clownesker Picasso, der die Rollencharakteristik Arrabals vehement umsetzt und auch die stumm-reflexiven Momente der Rolle mit umwerfender Intensität spielt. Beide sind den Originalen auch optisch gelungen anverwandelt.

Interessant ist an Hoffmanns Recklinghausener Inszenierung auch die Verwendung der Sprache. Die Inszenierung beginnt auf Deutsch mit französischen Übertiteln, wechselt im Mittelteil ins Französische mit Deutschen Übertiteln, um wieder auf Deutsch mit französischer Übertitelung zu enden, ein Verfahren, das mit den zweisprachigen Schaupielern locker möglich ist. Hoffmann verwendet den Inszenierungkniff, um „einen Eindruck von der unvergleichlichen Musikalität von Arrabals Sprache zu geben“, doch erscheint auch das Spiel im französischen Teil verwandelt, es scheint eine engere, intimere Verbindung unter den Akteuren zu herrschen, es wirkt flüssiger und verfügt über eine dichtere Atmosphäre.

Die 75 Minuten dauernde Inszenierung vergeht wie im Fluge: übereinstimmender, langer und euphorischer Beifall.

Dirk Ufermann

Fotos: Bohumil Kostohryz