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Fakten zur Aufführung 

DIE SCHÖPFUNG
(Joseph Haydn)
25. April 2015
(Einmalige Aufführung)

Dumeklemmerhalle - Stadthalle Ratingen


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Emanzipation der Schöpfung

Hochkultur findet in den großen Städten statt: Wer das immer noch glaubt, hat möglicherweise die letzten zehn Jahre im Himalaya verbracht. In Deutschland jedenfalls war derjenige sicher nicht. Zugegeben, wer als Außenstehender hört, dass der Konzertchor Ratingen in der Stadthalle Haydns Schöpfung aufführt, darf erst mal an die Veranstaltung einer Laienspielschar mit Hang zum Größenwahn glauben. Es lohnt sich allerdings, genauer hinzuschauen.

1976 wurde die Stadthalle Ratingen in der für diese Zeit typischen Architektur in Betrieb genommen, die ihre menschenfeindliche Tristesse bis heute ausatmet. Dass der Betonklotz 2008 in Dumeklemmer-Halle umbenannt wurde und damit etwas Lokalkolorit bekam, verbesserte nichts an der abstoßenden Außenwirkung. Dieser erste Eindruck ändert sich erst, wenn man das Gebäude betritt. Von einem beinahe schon gemütlich wirkenden Foyer geht es in einen etwa 1.100 Plätze bietenden Saal mit einer überraschend ansprechenden Akustik.

Hier veranstaltet der bislang auf Oratorien spezialisierte Konzertchor Ratingen eine Aufführung der Schöpfung in einer Professionalität, die sich in nichts vor größeren Städten in der Nachbarschaft zu verstecken braucht. Maßgeblichen Anteil daran trägt Thomas Gabrisch. Der Professor der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf hat im vergangenen Jahr die künstlerische Leitung des rund 70 Mitglieder umfassenden Laien-Chors übernommen, mit dem festen Vorsatz, ihn zu höheren Weihen zu führen. Zu diesem Zweck hat er als erstes die Sinfonietta Ratingen gegründet, ein Orchester, das sich aus von ihm ausgesuchten Musikern projektbezogen zusammensetzt. Schon, wenn die Musiker sich zum Podium begeben, nachdem der Chor Einzug gehalten hat, wird klar, dass das von Gabrisch gewählte Modell durchaus ansprechend erscheint. Hier sitzt nicht der Tarifvertrag mit vorgeschriebenen Dienststunden herum, sondern es marschiert ein eine kraftvolle, motivierte Truppe, die Spannung in sich trägt. Und in dem kommenden rund zwei Stunden auch beweisen wird, dass sie diese Spannung in Musik umsetzen kann.

Als Solisten treten auf: Sopran Sabine Schneider, Bass Jens Hamann und Tenor Dino Lüthy. Schneider wird für ihren lyrischen Sopran gelobt und tritt inzwischen bevorzugt als Konzert- und Oratoriensängerin auf. In Ratingen beeindruckt sie mit einer weichen Gesangslinie, die in den verschiedenen Lagen und deren Wechseln völlig unproblematisch zu Hause ist. Die Sympathien des Publikums und einiges Schmunzeln sammelt sie zusätzlich zu einer sängerischen Glanzleistung bei Evas Antwort auf Adams Aufforderung „Komm, folge mir, ich leite dich!“. Die Antwort „O du, für den ich ward, mein Schirm, mein Schild, mein All! Dein Will‘ ist mir Gesetz. So hat’s der Herr bestimmt, und dir gehorchen bringt mir Freude, Glück und Ruhm“ wird begleitet vom herzhaft ironischen Lächeln einer Frau, die 2015 mitten im Leben steht und wahrlich nicht auf den Adam wartet, der sie leitet. Wie schön, dass wir in Zeiten angekommen sind, in denen man Haydns Kunst annehmen und ironisieren kann, ohne die Schönheit der Komposition zu zerstören. Auch Jens Hamann als Adam hat seinen Spaß daran. Obwohl es für ihn an diesem Abend ansonsten wenig Grund zum Lachen zu geben scheint. Der Bass wirkt angeschlagen. Nicht als indisponiert angekündigt, ist doch so mancher „Kiekser“ zu hören, und seine Koloraturen fallen doch eher mau aus. Trotzdem eine insgesamt schöne Leistung. Einigermaßen überraschend in dieser Riege ist der Gesangsstudent Dino Lüthy. Der Eindruck täuscht. Lüthy bereitet sich an der Düsseldorfer Hochschule auf seinen Master vor, ist in Gabrischs Opernproduktionen dort überaus positiv aufgefallen und gibt längst zahlreiche Konzerte in seinem Heimatland, der Schweiz. An diesem Abend, das darf man nicht anders sagen, liefert er eine perfekte Leistung ab. Kompliment an Gabrisch, dass er ihm diese Leistung zugetraut hat. Lüthy hat alles eingelöst.

Der Chor, der diesen Abend organisiert hat, begeistert. Perfekt aufgestellt, liefert er ein ausgesprochen harmonisches Klangerlebnis ab, das bei diesem Werk wohl durchaus nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden darf. Präzise Einsätze, druckvolles Volumen, ohne zu erschlagen, und, was vielleicht noch wichtiger ist, bis in die Haarspitzen motiviert. Hervorragend einstudiert von Gabrisch. Davon kann sich das Publikum in der Pause überzeugen, als Choristen sich „unter das Volk mischen“ und bei einer eindrucksvollen Gesamtleistung vollkommen entspannt wirken.

Der Dirigent, der sein Licht gern mal unter den Scheffel stellt und lieber den übrigen Akteuren applaudiert, leitet die Schöpfung mit maximaler Konzentration. Da entgleitet ihm nicht einen Augenblick die Balance zwischen den drei Ebenen. Dass ihn eine solche Glanzleistung maximale Kraft kostet, ist in Dirigentenkreisen so klar, dass es keiner Erwähnung braucht.

Dem Publikum in der ausverkauften Halle allerdings würde man nach einem solch glanzvollen Abend mehr Selbstvertrauen wünschen. Da darf man auch mal aufspringen, „Bravo“ rufen und Freudentänzchen aufführen. Man hört so etwas nicht jeden Tag. Stattdessen gibt es geordneten Applaus. So ein Quatsch. Gerade, weil man so ein Ausnahmeerlebnis in Ratingen hört, wäre Ausrasten statt Sonntagskirchenapplaus angebracht. Aber vielleicht wird das vielen erst nach dem nächsten Kirchenbesuch klar.

Im kommenden Herbst führt der Konzertchor Ratingen Messa da Requiem von Giuseppe Verdi auf. Wieder in dieser Stadthalle. Das darf dann endgültig als Geheimtipp gelten.

Michael S. Zerban

 







Fotos: Konzertchor Ratingen