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Fakten zur Aufführung 

IL GIARDINO D'AMORE
(Alessandro Scarlatti)
17. Juni 2015
(Premiere am 13. Juni 2015)

Musikfestspiele Potsdam Sanssouci


Points of Honor                      

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Der doppelte Scarlatti-Bach-Liebesgarten

Langsam geht die Theater- und Opernsaison zu Ende. Sommerfestivals laden an ungewohnten, opernfernen Spielorten zu luftig leichten Musikaufführungen ein. Die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci zelebrieren den Übergang von den klassischen Aufführungen im Stadttheater und im Opernhaus hinaus ins Freie. Der Titel des diesjährigen Festivals Musik und Gärten gibt die Richtung vor.

Damit eröffnen sich Chancen, jenseits des üblichen Repertoires beispielsweise Miniopern neu zu entdecken, die eher mit sommerlicher Frische als mit Ernsthaftigkeit punkten. Dirigent Olof Boman hat zusammen mit Regisseurin Isabel Ostermann mit Il Giardino d'Amore von Alessandro Scarlatti ein barockes Kleinod ausgegraben. Der Zusatz Serenata a due bezeichnet den musikalischen Kern. Il Giardino d'Amore ist eigentliche keine richtige Bühnenoper. „Die Serenata ist quasi die große Schwester der Kantate und die kleine der Oper“, klärt Boman auf.

Damit wird der zweite Teil der Aufführung gewissermaßen forsch durch die Hintertür legitimiert. Wahrscheinlich war die sogenannte Bauernkantate von Johann Sebastian Bach noch nie zusammen mit Scarlattis Minioper auf einer Bühne zu erleben. Im Original heißt sie Cantate en burlesque – und lässt von daher eine opernnahe Inszenierung nicht völlig abwegig erscheinen. Vergegenwärtigt man sich die historischen Hintergründe ihrer jeweiligen Aufführungspraxis, ergeben sich, gepaart mit einer Portion entspannten Wohlwollens, durchaus szenische Gemeinsamkeiten. Die Protagonisten sind Teil eines amourösen Such-und-finde-Spiels, in dem sie sich über Zeitgrenzen hinweg begegnen.

Die Serenata als kleine Schwester der Oper erfüllte zu Zeiten Scarlattis vor allem höfische Huldigungsbedürfnisse, die in Gärten abends – al sereno – stattfanden. Gleichzeitig wurde damit ein päpstliches Opernverbot elegant umgangen.

Bachs Komposition ist als Kantate ebenfalls der Huldigung einer höheren Persönlichkeit, eines kurfürstlich-sächsischen Kammerherrn in Klein-Zschocher nahe Leipzig, verpflichtet. Wie auf einem Volksfest üblich, werden Trinklieder angestimmt, die im Gesang auch das humoristisch zur Sprache bringen, was sonst eher unausgesprochen bleibt.

Während in Il Giardino d'Amore die Liebesgöttin Venus in Arkadiens Wälder nach dem schönen Jüngling Adonis sucht, geht es bei Bach mit einem Bauernpärchen, einem namenlosen Bauern und Mieke, auf einer Landpartie deftig zu. Die Inszenierung von Ostermann verbindet beide Paare, indem sie sie zu jeweiligen Mitspielern machen: Von der mythologischen Märchenferne ins pralle Volksleben. Das abschließende Duett von Venus und Adonis Vieni, vola, soave contento singt das Bauernpaar mit. Inszenatorisch überzeugend, wird damit zur Bauernkantate übergeleitet.

Doch damit nicht genug. Das Publikum selbst wird zum Mitspieler. Auf der Eintrittskarte ist eine der vier Spielfarben rot, blau, grün und gelb angegeben, mit denen auch die Spielfläche in der Ausstattung von Corinna Gassauer in Farb-Quadrate aufgeteilt ist. Die Sinfonia am Beginn ist als Würfelspiel mit spontan gezielten Publikumsinteraktionen choreografiert. Alle werden Teil eines großen Liebes-Softball-Würfelspiels. Später wird eine orchestrale Zwischenmusik der Bauernkantate sogar zu einer Schreittanz-Einlage der Sängerinnen mit dem Publikum ausgeweitet. Was in einer klassisch-normalen Opernaufführung als unmöglich erscheinen muss und umgehend unter Trivialverdacht stünde, kann in solchen festivalistischen Opern-Transfers durchaus eine Option sein.

Gespielt wird in der historischen Schinkelhalle, die durch ein großes freitragendes Dachstuhlhängewerk aus massivem Kiefernholz eine beeindruckende Akustik hat. Das B'ROCK Belgian Baroque Orchestra Ghent unter Olof Boman klingt ausgewogen kraftvoll und lyrisch. Dass die Mehrheit der Musiker barfuß spielt, kann man wie ein Bild lesen. Als seien sie im Resonanzraum der Schinkelhalle geerdet. Besonders wirkungsvoll sind die exzellenten Soli von Fruzsi Hara auf der Barocktrompete und Anne Freitag auf der Blockflöte sowie die von Jeroen Billet auf dem Corno da caccia bei Bach in der Inszenierung arrangiert.

Sie verlassen in einzelnen Szenen  die Pulte und fordern die Sängerinnen zu dialogischen Musik-Duellen heraus. Während sich Adonis mit der Arie Ah, non mi dir cosi vehement bittend Venus zuwendet, bläst ihr die Barocktrompete die Takte um die Ohren, als wolle sie stellvertretend für Venus prüfen, ob Adonis‘ Werben auch echt sei. Berit Solset brilliert in diesem Wettmusizieren mit einem elastischen, wunderbar gestaltenden Sopran, so dass das Publikum so anhaltend begeistert applaudiert, als wäre da schon Schluss.

Die Altistin Milena Storti wirkt anfänglich neben der dynamischen, springlebendigen Solset etwas schwerblütig. Ihre Tongebung könnte an manchen Stellen mehr Druck vertragen. Es wäre auch ein Gewinn für den gesanglichen Ausdruck. In dem extravaganten Zitat der Habanera aus Bizets Carmen in der Szene der Bauernkantate, als Mieke den Bauern in seiner Alkohol befeuerten Entlarvungsattacke mit Und damit sei es auch genug zurückruft, deutet Stortiihr Temperament an.

Die eigentliche Überraschung der Aufführung ist die Bauernkantate als opernnahe Inszenierung. Ihre spielerische und sängerische Substanz überzeugt insgesamt mehr als die von Il Giardino d'Amore. Nicht zuletzt haben die quicklebendige Sopranistin Marie-Sophie Pollak als Mieke und der sonore Bariton Stephan Genz alsBierausschenkender Bauerdaran einen wesentlichen Anteil. Der Bachkantate gaben sie eine derb drollige und schelmisch augenzwinkernde Farbigkeit.

Am Ende gibt es begeisterten Beifall, der Boman animiert, das abschließende Duett Es lebe Dieskau und sein Haus noch einmal anzuspielen. Rhythmisches Klatschen, ein Glas Bier erhoben in der Hand, beendete Boman mit einem zünftigen „Prost!“ den doppelten Liebesgarten. Willkommen im Musiksommer 2015.

Peter E. Rytz

 

Fotos: Stefan Gloede