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Fakten zur Aufführung 

JEKYLL UND HYDE
(Frank Wildhorn)
27. September 2015
(Premiere am 14. März 2015)

Theater Osnabrück


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Der Tod ist auch keine Lösung

Mit dem Tod seines an Wahnsinn erkrankten Vaters kann sich Jekyll, ehrgeiziger und erfolgreicher Londoner Arzt, nicht abfinden: Das Böse dieser Krankheit, das Böse in der Welt ist für ihn ein therapeutisches Problem, dem man mit entsprechenden Mitteln beikommen und es vernichten müsste. Jekyll hat in seiner dekorativen Hexenküche bereits gekocht, gefiltert und gemixt und eine Substanz gefunden, von der er überzeugt ist, sie schafft es. Es fehlt nur noch der Feldversuch – an einem wirklichen Menschen. Die Klinikkommission, die so etwas genehmigen müsste, winkt ab: Ein Menschenversuch – gar nicht daran zu denken. Selbst die Kirche in Gestalt des Bischofs fragt ihn: „Und was sollen wir mit dem Bösen machen?“ – Eine christliche Endlagerstätte ist noch nicht gefunden …

Wie andere fanatische Forscher auch entschließt sich Jekyll zu Selbstversuchen, spritzt sich eine Dosis – und gerät sich selbst außer Kontrolle. Plötzlich wird aus Jekyll der finstere Gesell Edward Hyde, der Frauen auflauert, sich durch den Klinikvorstand mordet und wie ein Wahnsinniger seine Umwelt terrorisiert – das Böse schlechthin. Erst bei seiner Hochzeit mit Lisa nötigt Jekyll ausgerechnet seinen besten Freund Utterson, ihn und damit das Böse mit einem Degenstich endgültig zu vernichten und Jekyll von sich selbst und die Umwelt von Mr. Hyde zu befreien. Der Tod, doch eine Lösung?

Guillermo Amaya hat diese Gruselstory, die auf einen Text von Robert L. Stevenson zurück geht und 1990 in Houston uraufgeführt wurde, in das London des vorigen Jahrhunderts verlegt. Bühne und Kostüme bringen sparsam, aber wirkungsvoll die Accessoires dieser Zeit auf die Bühne: Einige viktorianische Säulen markieren die öffentlichen Gebäude, die rot plüschigen Boudoirs deuten mit rotem Licht und knapp bekleideten Damen die Vergnügen der Hinterzimmer an, ein Gazevorhang lässt immer wieder eine dunkel drohende Silhouette von London durchschimmern und kündigt durch verwackeltes Flackern den Auftritt des Bösen an – ein merkwürdiger Regieeinfall. Die Kleidung der Figuren ist dieser Zeit entnommen – wenn man einmal von den zeitlos knappen Stoffstreifen der roten Damen absieht. Dass ausgerechnet aus dem Kreis dieser Damen mit Lucy eine Gefahr für die Verlobung Jekylls mit Lisa droht, ist zu erwarten. Doch Jekyll alias Mr. Hyde beseitigt diese Bedrohung auf seine finale Weise. Als in der Schlussphase Jekyll sterbend mit sich selbst ringt und zwischen gut und böse schwankt, unterstreichen kaltweiße und blutrote Lichtwechsel den aussichtslosen Kampf des Jekyll, dem es doch nicht gelungen ist, eine andere Lösung als seinen eigenen Tod zu wünschen. So wird aus der Horrorgeschichte zum Schluss noch eine Tragödie.

Neben der mit Jan Friedrich Eggers hervorragend besetzten Rolle von Jekyll und Hyde zeichnet Amaya die weiteren Figuren meist als Stereotype, vom schneidig steifen General, dem Bischof, dem Pfarrer, der Lady, dem Butler und so weiter bis hin zu den Prostituierten und ihrem Zuhälter. Die in unschuldiges Weiß gekleidete Verlobte Lisa, von Nachwuchstalent Joyce Diedrich verhalten auf die Bühne gebracht, und die scharfe Prostituierte Lucy bilden ein herrliches Gegensatzpaar, in dem Eve Rades als Lucy stimmlich besonders überzeugt. Mit Genadijus Bergorulko als Freund Utterson und Silvio Heil als Lisas Vater sind auch die weiteren Hauptrollen stimmlich wie darstellerisch bestens besetzt. Kein Zweifel, dass Jan Friedrich Eggers´ Darstellung des Jekyll den Abend trägt. Er spielt die verschiedenen Seiten der Figur überzeugend und durchaus ergreifend heraus und zeigt sich den stimmlichen Anforderungen ohne Einschränkung bestens gewachsen. Weshalb Amaya die bösen Seiten des Mr. Hyde immer wieder von einem entsetzlichen Haarvorhang vor dem Gesicht des Bösewichts zuhängen lässt, bleibt sein Geheimnis. Eggers nimmt er dadurch die Chance, seine Charakterwechsel darstellerisch auszuspielen.

Das im Hintergrund der Bühne platzierte Orchester hat mit den gefühlvoll-leichten Musicalmelodien von Frank Wildhorn keine Mühe, an manchen Stellen hätte man sich vom Dirigenten An-Hoon Song etwas mehr Zurückhaltung gewünscht. Generell wie im Hinblick auf die Sänger wäre weniger Lautstärke mehr gewesen. Der von Markus Lafleur einstudierte Opernchor singt die weichen Melodiebögen gut heraus und besticht durch ein dichtes, kräftiges Klangbild.

Auch wenn Wildhorn nach seiner frühen Komposition Jekyll und Hyde eine beachtliche Broadway- und Musical-Karriere hinlegt, liefert diese Komposition wenig Überraschendes, Überzeugendes – eher ein gewisses Musical-Einerlei. Bei der Rückschau auf dem Weg nach Hause will sich eine hängen gebliebene Melodie, gar ein Ohrwurm so gar nicht einstellen …

Das Osnabrücker Publikum bedankt sich – leider wieder einmal – stehend für einen unterhaltsamen Abend, an dem eine leicht gruselige Geschichte den reichlichen Londoner Bühnennebel eigentlich überflüssig macht. Stevenson und Amaya entlassen das Publikum mit der Frage, wie „die absolute, unergründliche Zwiespältigkeit im Menschen“ ergründet werden kann – wenigstens das reichlich Stoff für den Heimweg.

Horst Dichanz

 

Fotos: Jörg Landsberg