Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

GERMANICUS
(Georg Philipp Telemann)
28. Juni 2015
(Premiere am 20. Juni 2015)

Theater Osnabrück


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Römer und Germanen – eigentlich

Da wird viel gerächt, geliebt, intrigiert und mit Waffen gespielt, nur langsam und etwas zerfasert entwickelt sich ein loser Handlungsstreifen. Immer wieder heißt die Frage: Wer gegen wen, mit wem und warum?

Die Osnabrücker sind stolz auf ihre „spektakuläre Ausgrabung“, ein verschollen geglaubtes Werk Telemanns wieder entdeckt zu haben. Ob sie klug beraten sind, das in der Frankfurter Universitätsbibliothek „schlummernde Arienkonvolut“ von Telemann durch Überarbeitung wieder bühnenfähig gemacht zu haben, ist fraglich. Es muss schon Gründe haben, dass Ralf Waldschmidt und Daniel Inbal wortreich ihre Inszenierung zu erläutern versuchen. Die mehrfach auftretende Autorin Christine Dorothea Lachs, als Frau eine barocke Überraschung unter den Librettisten, und der Komponist Georg Philipp Telemann hätten „eine auf den ersten Blick recht wüste und teilweise absurde Geschichte voller Liebeswirren und Intrigen entwickelt“. Um aus dem Telemann-Fragment eine spielbare Fassung herzustellen, fügt die Osnabrücker Inszenierung dem Lachs-Text neue Textpassagen hinzu. Ob das Telemann-Fragment, „für das vielfältige Ergänzungen gefunden werden mussten“, jetzt bühnenfähiger ist, muss nach der Aufführung bezweifelt werden. Abgesehen von historischen und rechtlichen Fragen bei einer so weitgehenden Bearbeitung von historischen Versatzstücken, zeigt die Inszenierung eine ganze Reihe von Schwächen. Die Einfügung neuer Passagen bleibt angesichts der Länge und der fehlenden Spannung des Gesamttextes unerfindlich. Hier helfen auch die Auftritte und Erläuterungen der Autorin wenig. Die Häufigkeit der „Waffeneinsätze“ auf der Bühne, vom Dolch über Schwerter bis zum Speer wirkt völlig aufgesetzt und unprofessionell. Wenn Florus gar mit Speer, Schwert und Dolch gleichzeitig auftritt, fragt sich der Zuschauer kopfschüttelnd nach den Motiven.

Der Inszenierung von Alexander May fehlt eine erkennbare Linie, die Entwicklung der Charaktere wirkt eher willkürlich. Eine Antwort auf die Frage, warum dem Stück, das ohnehin Längen aufweist, auch noch Rezitative und Arien anderer Komponisten wie etwa Giovanni Legrenzi hinzugefügt wurden, bleibt die Inszenierung schuldig.

Obwohl die Grundkonstellation eigentlich klar und bekannt ist, geraten die Fronten zwischen Römern und Germanen oft durcheinander. Die Intrigen, Liebesabenteuer und Verwechslungen sind zu viel und werden unübersichtlich. Da hilft es auch wenig, wenn die Librettistin als Autorin mit auftritt, um dem Zuschauer den einen oder anderen Tipp zu geben und mit dem Komponisten Telemann quasi aus dem Off ein wenig zu parlieren.

Wolf Gutjahr hat die Bühne mit zahlreichen, luftigen Holzgestellen bestückt und diese mit goldfarbenem Papier dekoriert. In Verbindung mit der passenden Beleuchtung kann er auf diese Weise geschickt die Atmosphäre einer prächtigen Palasthalle ebenso schaffen wie das rosa-lauschige Séparée für ein intimes Treffen. Katharina Weissenborns Kostüme changieren zwischen barock-üppigem Zierrat und moderner Ausstattung. Warum die Ausstatter viele Figuren mit lächerlichen Bühnen-Waffen ausstatten und „spielen“ lassen, bleibt bis zum Schluss unergründlich.

Die beiden weiblichen Hauptrollen Aggripina, Gemahlin des römischen Feldherrn Germanicus, und Claudia, Ehefrau des Arminius, sind sängerisch bei Erika Simon und Lina Liu gut aufgehoben. Simons heller, leichter Sopran befähigt sie besonders zu luftigen Koloraturen, bei Lina Lius Sopran fehlt ein wenig der stimmliche Glanz. Die musikalische Ausstattung der weiteren Figuren ist durchweg angemessen und gelungen. Besonders gefallen hier der Bassbariton Shadi Torbey als Germanicus und Antonio Giovanni in der Rolle des zwielichtigen Hauptmanns Florus. Ihm ist es anzumerken, dass er seine Countertenor-Partien gern singt und spielt. Mark Hamann, Tenor, als römertreuer Gouverneur Segestes in Germanien und Bariton Jan Friedrich Eggers als Arminius ergänzen ein stimmlich und darstellerisch gut eingestelltes Team.

Die Osnabrücker Symphoniker unter Daniel Inbal erwecken das höfische Treiben zu lockerem Leben, sie überzeugen einmal durch flotte Tanzmelodien im Barockstil, untermalen dann emotional stimmungsvoll Szenen der Annäherung der Figuren.

Das Publikum braucht beim Schlussapplaus einige Minuten, um sich „warm“ zu klatschen. Längst nicht alle Besucher haben es über die Pause hinaus ausgehalten, sie haben das Ende der Schlacht am Osning nicht mehr erlebt.

Horst Dichanz

 

Fotos: Jörg Landsberg