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Fakten zur Aufführung 

CARMEN
(Georges Bizet)
2. Juli 2015
(Premiere am 2. Mai 2015)

Theater Osnabrück


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Wenn Carmen richtig heiß wird

Während sich die Theater von Nordrhein-Westfalen schon im Ferienmodus befinden, muss man in Niedersachsen noch schuften. Und das bei andalusischen Hitzetemperaturen. So richtig motiviert auf Oper wirkt an diesem Abend keiner im Publikum, das sich in teils sehr luftigen Outfits in die Stühle setzt. Viele Schüler sind an diesem Abend anwesend. Wer nun befürchtet, dass auch die Akteure und Musiker auf hitzefrei plädieren, der liegt völlig falsch.

Adriana Altaras erzählt die Geschichte sehr gradlinig in der heutigen Zeit, hat sich aber dazu ihre Gedanken gemacht. So wird immer wieder der Kinderchor eingebunden, der zeigt, wie es die Kinder von den Erwachsenen lernen. Dass die Kleinen dann die Soldaten ausrauben, spricht Bände. In den Kostümen von Etienne Pluss trifft die traditionelle Mode auf den Ramsch von heute. Wunderschöne Röcke für die traditionsbewussten Damen, billiges, aufdringliches Pink für die Arbeiterinnen von heute. Kleider machen Menschen – auch bei den Männern, wo Uniformen in Jogginghosen übergehen. Dagegen sind die wie in einer Arena angeordneten Holzwände auf der Bühne, die Pluss ebenfalls eingerichtet hat, wenig einfallsreich und über vier Akte auch langweilig. Mit ein paar Requisiten wird aber das Wesentliche angedeutet.

Die Stärke der Inszenierung liegt in der lebendigen Personenführung. Zugegeben fällt einiges etwas zu plastisch und aufdringlich auf. Stillstand gibt es kaum. Der Chor wird ebenso eingebunden wie manche Randfigur. So macht Altaras aus dem Wirt Lilas Pastia, der manchmal auch ganz gestrichen wird, eine ambivalente Figur, die fast immer präsent ist: Eine Mischung aus Conférencier, Zuhälter und Beschützer Carmens. Alexandre Pierre spielt das großartig. Bei Altaras wird der Begriff Musiktheater wörtlich genommen und ganz im Sinne der Musik wird Theater gespielt. Und das ist beeindruckend, denn die Singdarsteller schonen sich keinen Augenblick – fast so als wäre ihnen kalt auf der Bühne. Chor und Extrachor singen und spielen ausgelassen. Der Tenor kommt manchmal etwas holzhammerartig daher, aber andererseits: Wann hat man schon mal so einen kräftigen Tenorklang im Chor? Der Klangkörper, zusammengeschmiedet und vorbereitet von Markus Lafleur, ist jedenfalls großartig. Der Nachwuchs steht auch schon bereit, wie der hervorragend mitziehende Kinderchor des Opernhauses beweist.

Die kleineren Rollen setzen sich genauso stark ein wie die Hauptfiguren: Jan Friedrich Eggers als schmieriger Morales und José Galissa als bollernder Zuniga, Daniel Wagner und Mark Hamman als zwielichtige Schmuggler – das sind greifbare Figuren. Auch Carmens Freundinnen Frasquita und Mercédès werden durch Erika Simmons und Eva Scheidereit lebensecht verkörpert. Der souveräne Sungkom Kim gibt dem Escamillo kernige Arroganz. Der Micaela von Lina Liu wünscht man einen tollen Mann an ihrer Seite – so wunderschön und ergreifend trägt die Sopranistin die Rolle vor. Den impulsiven Don José wünscht man ihr dagegen wahrlich nicht. Michael Wade Lee beeindruckt mit einer packenden Auseinandersetzung der Rolle, wo Körpersprache und Stimme zusammenpassen. Das dramatische Finale mit seiner Carmen wird mit der großartigen Almerija Delic zu einem Ereignis. Nicht nur, dass sie ihren Körper glaubhaft einsetzen kann, nicht nur, dass sie über eine sichere Gesangstechnik verfügt – diese Carmen kann zudem auch, wenn es sein muss, mit der Stimme spielen, wenn sie die Töne den Männern entgegen speit und ihrer Verachtung Luft macht.

Aus dem Orchestergraben kommt Bizet pur. Das Osnabrücker Sinfonieorchester spielt die Oper, als gäbe es kein Morgen mehr. Was soll man hier einzelne Stimmen hervorheben? Einfach nur großartig. Und am Pult steht mit Daniel Inbal ein Dirigent, der diese Musik in den richtigen Fluss bringt, der auch energiegeladene Risikos eingeht, aber auch weiß, wie man die Sänger schützen muss. Auffällig ist sein großer, weiter Schlag, der für eine sichere Balance mit der Bühne sorgt. So wachsen Szene und Musik zu einer Opernaufführung zusammen.

Beim Applaus sind auf der Bühne, so scheint es, alle stehend k.o. Dass der Beifall im Verhältnis zur Qualität etwas blasser ausfällt, ist dem ebenfalls müden Publikum zuzuschreiben und irgendwie auch verständlich. Die vielen Schüler fallen im Zuschauerraum nur wegen ihrer Jugend auf, nicht wie so oft üblich durch schlechtes, lautes Benehmen. Da dürfen sich manch ältere Semester eine Scheibe abschneiden. Da wird getuschelt und gesummt, was das Zeug hält. Wer die Carmen in dieser Saison nicht gesehen hat, dem sei die Wiederaufnahme in der nächsten Spielzeit wärmstens empfohlen.

Christoph Broermann

 

Fotos: Jörg Landsberg