Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

SIEGFRIED
(Richard Wagner)
19. April 2015
(Premiere)

Staatstheater Nürnberg


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Von einem, der auszog und das Fürchten nicht lernte

Menschen vertreiben die Götter, und die heutige Realität verdrängt die Traumwelt einer Illusion, eines Märchens – so die stimmige Grundkonzeption der neuen Inszenierung von Richard Wagners Siegfried am Staatstheater Nürnberg. Eine solche Deutung der Oper, des zweiten Tags des Rings, mag Traditionalisten vielleicht nicht gefallen, insgesamt aber geht diese Sichtweise von Regisseur Georg Schmiedleitner überzeugend auf. Er hält sich nämlich recht genau an das, was unterschwellig in diesem Werk steckt, dem man Züge von einem Scherzo nachsagt und das Parallelen zu einer Entwicklungsgeschichte aufweist. Und darin sind komische, idyllische und dramatische Elemente enthalten. Es geht im Siegfried, den Wagner als sein größtes Werk bezeichnete, um die Suche nach der Identität eines jungen Mannes. Das geschieht über drei Stufen, über die Abnabelung von Ziehvater Mime, über die Abwendung von Gefahr durch die Tötung von Fafner und Mime und über die Entdeckung der eigenen Sexualität. Alles das ist musikalisch verbunden durch das Hornmotiv, quasi das heldische Erkennungszeichen dieses jungen Burschen, „der im Märchen vorkommt, und auszieht, ‚um das Fürchten zu lernen‘ – was ihm nie gelingen will, weil er mit kräftigen Natursinnen immer alles so sieht, wie es ist“. So sieht es Richard Wagner 1851. Für den Komponisten ist Siegfried der vollkommenste Mensch, „dessen höchstes Bewusstsein sich darin äußert, dass alles Bewusstsein immer nur in gegenwärtigstem Leben und Handeln sich kundgibt“. Nicht zuletzt deshalb betont die Regie von Schmiedleitner stets das Konkrete, das Reale, das Heutige, lässt die Personen sehr lebendig und glaubhaft auch in kleinsten Regungen agieren. Analog dazu findet alles in einem Szenario statt, das die Gegenwart aufgreift, dabei aber auf den Verfall, auf Vergängliches, auf Endlichkeit verweist; manches besitzt auch groteske Züge. So gelingt eine recht abwechslungsreiche, geradezu unterhaltsame Inszenierung, die sogar Lacher hervorrufen kann. Stefan Brandtmayrs Bühne zeigt anfangs einen unaufgeräumten Wohnraum in einer ruinösen Hütte; zwischen Stockbett, Kühlschrank, Herd und Waschmaschine mit Trockengestell werkelt Mime als Hausmann in nachlässiger Kleidung mit Schürze herum, und auch Siegfried, sein Ziehsohn, voll überschüssiger Kraft, aufsässig, ungepflegt, voller Hass auf seinen Erzieher, nur den Tieren des Waldes zugetan, schert sich wenig um sein Äußeres, bewegt sich lässig in roter Hose mit Hosenträgern und orangefarbenem T-Shirt. Die Kostüme von Alfred Mayerhofer unterstreichen das leicht Heruntergekommene. Dass Siegfried seine Kuscheltiere aus dem Bett wirft und schließlich das Schwert Nothung mitten in der Wohnküche über einem Kessel unter viel Dampf, Gestank und Feuer schmieden kann, zeigt, dass sich Siegfried rücksichtslos emanzipiert. Ein Wanderer, eher eine Art umherziehender Wohnungsloser mit Einkaufstasche auf Rädern, der schnell noch ein Fußbad nimmt, stört nur kurzzeitig in dieser Gesellschaft, die quasi in den letzten Zügen liegt. Im zweiten Aufzug verstärkt sich dieser Eindruck noch durch eine schiefe Ebene mit kaputten, verbogenen Eisenteilen an den Seiten, ohne Verwendung, aber noch als Rutsche zu gebrauchen. Unter der Ruine dieser Baustelle haust Fafner, der den Nibelungenhort bewacht, kein Riese, aber brutal und ungeschlacht. Als Wächter mit Taschenlampe in dieser trüben, nebligen Gegend ist Alberich eingesetzt, doch als Mime und Siegfried kommen, hat er gegen sie wenig auszurichten. Vorerst ist Siegfried gebannt von der Natur, vom Wald mit seinen Geräuschen, bezaubert vom etwas seltsamen Waldvöglein, das in Schwarz und mit Stöcken daherstolziert. Dessen unschuldiger Gesang hält ihn nicht davon ab, zuerst Fafner und dann Mime zu töten, nachdem dieser seine Geldgier, nicht seine Vaterliebe als Grund für seine „Fürsorge“ gesteht. Nun kann Siegfried im dritten Aufzug weiterziehen. Zuerst kommt er an eine Industriebrache, wohl ein Unterschlupf für gesellschaftlich Gestrandete; Wanderer Wotan verscheucht sie, richtet sich mit Zeug vom Sperrmüll wohnlich ein, holt Erda aus der Versenkung, wo sie schläft. Sie spricht Wotan die göttliche Kraft ab, will einfach nur weiter schlafen. Siegfried aber gerät in Streit mit dem Wanderer und zerbricht mit seinem Schwert den Speer des Heimatlosen. Daraufhin wird es dunkel; ein lodernder Feuerkreis rund um die Bühne wird sichtbar, und Siegfried kann endlich zu Brünnhilde vordringen, als sich der eiserne Vorhang wieder hebt. Die schlafende Walküre liegt auf einem Podest in einem mit weißen Stoffbahnen ausgeschlagenen hohen Raum, es regnet Rosenblätter, der leuchtende Tag bricht an dank des Lichts von Olaf Lundt, und Siegfried staunt fassungslos, denn er hat noch nie eine Frau gesehen. Vorsichtig versucht er, die Schlafende zu wecken, doch auch die braucht einige Zeit, bis sie wach wird. Ohne Schild und Helm ist sie ihm ausgeliefert, und durch den Kuss hat er sie „verwundet“. Sie empfindet das als Schmach, und zwischen beiden entwickeln sich Spannungen. Sie will sich ihm nicht fügen, sich nicht hingeben. Da findet Siegfried eine Lösung: Er zieht eine Couch herbei, stellt einen Fernseher auf, schaltet per Fernbedienung das Programm an und lädt die Dame mit Sekt und Chips ein, sich zu ihm zu setzen. Sie wirft ihr Stoffpferdchen weg, Hochzeitstorte samt Geschenken und festlicher Brautkleidung winken, fertig ist die Ehe-Idylle, und so können beide im grellen Licht endlich handelnd zugrunde gehen und von leuchtender Liebe und lachendem Tod singen. Sie sind in der Gegenwart angekommen, doch das ist kein überschäumendes Glück trotz des strahlenden C-Dur.

Genauso lebendig und spannend wie die Bühnenhandlung gelingt die musikalische Umsetzung: Marcus Bosch am Pult der bestens aufgelegten Staatsphilharmonie Nürnberg setzt auf Transparenz und differenzierte Farben, schafft es, dass die Streicher trotz gewaltiger, nie greller Klangmasse etwa im dritten Aufzug stets zu hören sind, gibt dem dialogisch bestimmten ersten Aufzug lebendige Bewegung, hetzt nie, macht die Idylle des Waldes zum Genuss und kann die schwierige Balance zwischen Wort und Ton im dritten Aufzug halten. Der Siegfried-Ruf, schön geblasen vom Hornisten Michael Lösch, rundet dieses begeisternde Hörbild ab.

Dazu kommen die ausgezeichneten Sänger: Vincent Wolfsteiner spielt den Siegfried nicht nur herrlich locker als jungen Kraftmeier, sondern er singt ihn auch grandios mit seinem elanvollen, hellen Tenor ohne Ermüdungserscheinungen. Einen hervorragenden Mime stellt Peter Galliard dar, als bemühter Hausmann und Vaterersatz geradezu bemitleidenswert überfordert, ansonsten aber trotz äußerlicher Gutmütigkeit hinterhältig und schwer einzuschätzen; mit seinem kraftvollen, energischen, nie angestrengten Tenor gestaltet er die Partie bis in die kleinste Wortbedeutung hinein äußerst glaubhaft. Ebenso bewundernswert ist Antonio Yang als Wotan, wandernder Obdachloser, aus der Götterwelt Vertriebener. Sein profunder, runder Bariton vermag jederzeit zu glänzen. Auch Martin Winkler als Alberich imponiert mit seinem großen, ausgewogenen Bariton. Nicolai Karnolsky passt äußerlich bestens zu dem Wilden, Ungezähmten des Fafner, und auch stimmlich gefällt er mit seinem sicheren Bass. Leider kann Leila Pfister wegen einer Indisposition die Qualitäten ihres Mezzosoprans als barbusige, ältliche Erda in der Premiere nicht beweisen, und Leah Gordon fällt als daherstelzender Waldvogel zwar durch ihren hohen, leuchtenden Sopran auf, doch man versteht kein Wort; glücklicherweise gibt es Übertitelung. Als Brünnhilde gefällt einmal mehr Rachael Tovey durch die Strahlkraft ihres dramatischen, runden, nie grellen Soprans, und sie gibt ihrer Figur auch überraschend lockere, ja neckische Nuancen.

So ist es kein Wunder, dass das Premierenpublikum im ausverkauften Haus seine Sänger und das Orchester mit langem Jubel feiert, dem Regieteam aber laute Buhs entgegenschallen. Doch man sollte auch einmal diese Göttergeschichten von ihrer mythischen Schwere befreien dürfen und ihnen eine zeitgemäße Deutung geben, zumal wenn hier alles in sich stimmt.

Renate Freyeisen

 

Fotos: Ludwig Olah