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Fakten zur Aufführung 

QUAI OUEST
(Régis Campo)
17. Januar 2015
(Premiere)

Staatstheater Nürnberg


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Ende des gesellschaftlichen Zusammenhalts

Beziehungslosigkeit, Einsamkeit, sinnlose Gewalttätigkeit, Tod – das sind die vorherrschenden Themen in der neuen Oper Quai West des französischen Komponisten Régis Campo, in dieser Spielzeit „Composer in Residence“ der Nürnberger Oper. Grundlage für das Werk ist das gleichnamige, 1985 uraufgeführte Drama des französischen Kultautors Bernard-Marie Koltès. Regisseur und Librettist Kristian Frédric hat zusammen mit Francoise Doublet aus der umfangreichen Vorlage einen knappen Operntext für die französische Uraufführung 2013 in Straßburg geschaffen, der nichts Wesentliches verändert, nur die langen Textblöcke kürzt. Für die deutsche Erstaufführung in Nürnberg aber hat Campo nochmals entscheidende Revisionen vorgenommen: Er fügt nun „mehr Kontraste in die Singstimme“ ein, „mehr Sprechgesang“, „mehr Chromatik“, wie er im Interview äußert. Angeregt vom deutschen Text und den deutschen Sängern wird der Gesang „insgesamt freier in Rhythmik und Melodik“ und gegenüber der französischen Fassung auch „schmutziger“. Fazit des Komponisten: „Ich mag die deutsche Version mehr als die Urfassung und werde die Änderungen dieser Fassung nun auch auf die französische Version übertragen.“ Die Besucher im nicht ganz ausverkauften Nürnberger Opernhaus können nun in der Premiere ein packendes, auch verstörendes Drama in 90 Minuten miterleben, das trotz seiner relativen Kürze doch auch Längen aufweist, vor allem im zweiten Teil, in dem die Zeit bewusst gedehnt wird. Eine solche Wirkung liegt aber auch ein wenig an der Musik. Die speist sich im Wesentlichen aus eklektischen Elementen aus Anspielungen auf populäre Musik, Filmmusik, spektralen Harmonien, Minimal Music, Sprechgesang und andere Richtungen, ist also eine Stilmischung aus Patterns, die sich irgendwie wiederholen, gut hörbar bleiben. Der Anfang lebt von knappen, aggressiven, aufeinander folgenden Dialogen, von der Bewegung, der Härte; die musikalische Seite wird aber, als der Tod immer näher rückt, weicher, tonaler, verlangsamt sich und wiederholt sich, so dass eine gewisse Ermüdung für den Hörer eintritt. Campo möchte beileibe nicht illustrieren, nicht psychologisieren, keine Atmosphäre schaffen. Er will dem eigentlich surrealen Geschehen einen musikalischen, unabhängigen Ort entgegensetzen, wie er bekundet, Distanz schaffen etwa zur Vergewaltigung von Claire. Zum Glück gelingt ihm dieser Spagat kaum. So vermeint man, immer wieder Anklänge zu hören an metallene Industriegeräusche, an Tuten von Schiffsirenen in einem Hafen – das Ganze spielt ja in einem verlassenen Hangar am Kai – an Herunterstürzen, etwa in fallenden Kaskaden, an Innehalten, an In-sich-gehen etwa nach den verheerenden Schüssen am Schluss. Dass die Gesangspartien von Fak und Charles ab und zu stilistische Anleihen an Popsongs und Musical aufweisen, soll die jeweilige Situation ironisieren. Im Grunde aber verschärft das die Wirkung.

Das Stück handelt von drei sozialen Ebenen in einer heruntergekommenen Welt, die oberste ist die bürgerliche des Geschäftsmanns Maurice, der Geld veruntreut hat und aus dem Leben scheiden will; seine Sekretärin hat ihn zu diesem Zweck an ein verlassenes Hafengelände gefahren. Dort lebt, am Rand der Gesellschaft, ohne Aussicht auf Aufstieg und Einkommen, eine Familie von Einwanderern, die der alten Cecile, innerlich auch schon in ihren Strukturen zerstört. Noch weiter unten auf der gesellschaftlichen Spirale befinden sich der junge, völlig bindungslose Fak und der stumme „Kanake“ Abad aus Schwarzafrika. Alle sind Entwurzelte, hoffnungslos, halten sich nur durch dubiose Tauschgeschäfte über Wasser. Abad aber fungiert hier wie ein Todesbringer, vergleichbar mit Charon, dem antiken Fährmann am Totenfluss. Er wartet, schießt am Ende mit der Kalaschnikow um sich, knallt Charles ab, den einzigen, der sich noch für Besseres einsetzt, während dessen rücksichtsloser Vater sich totlacht. Dann breitet sich Finsternis aus.

Natürlich ist diese Oper gänzlich pessimistisch, spielt aber gleichzeitig mit einem solchen Inhalt. Regisseur Frédric belässt alles ganz in dieser Stimmung, von ein paar lächerlichen Szenen abgesehen, etwa wenn Monique gravitätisch daherhinkt auf einem abgebrochenen Stöckelschuh. Auch die Bühne von Bruno de Lavenère, hohe, geschwärzte, verschiebbare Mauer-Teile mit Eisentreppen und verschmutzten Fenstern, mit gelegentlichen Ausblicken auf einen vom Smog getrübten Himmel, unterstützen eine solche Wirkung. Hier wird es nie hell, nur manchmal fällt etwas mehr Licht von Nicolas Descoteaux von oben herab. Gabriele Heimanns sehr realistische Alltagskostüme charakterisieren die Personen in ihrem sozialen Status. Lediglich am Schluss sind alle weiblichen Figuren rot gekleidet – eine symbolische Farbgebung?

Marcus Bosch am Pult der äußerst einsatzbereiten Staatsphilharmonie Nürnberg meistert die schwierige Aufgabe souverän, die differenzierten Facetten dieser verschiedenartigen Musikelemente zu verbinden und plastisch hörbar zu machen.

Dabei unterstützen ihn seine Sänger bestens. Der Chor, geleitet von Tarmo Vaask, bildet in den letzten Szenen den akustischen Hintergrund, verstärkt so die etwas gespenstische Wirkung. Das Brüchige und Gebrochene der Figur des ehemals reichen Geschäftsmanns Maurice Koch kann der Bassist Pavel Shmulevich überzeugend darstellen, zumal seine Stimme relativ hart, kehlig, laut, ohne jede Wärme klingt. Auch die Partie des Countertenors Fak unterstreicht das Unreife, Unkontrollierte und damit Gefährliche dieser Rolle, und Fabrice di Falco beherrscht sie bestens auch mit den Sprüngen seiner Stimme zwischen Hoch und Tief und Sprechgesang. Dagegen scheint der Charles von Hans Kittelmann etwas gemäßigter, und der helle Tenor moduliert die rasch wechselnden Gefühlslagen gut. Als brutaler Rodolfe passt Taehyan Jun sowohl durch Statur und Auftreten wie auch durch seinen profunden Bassbariton bestens in die Rolle des verantwortungslosen Oberhaupts der Emigrantenfamilie. Als stummer Abad strahlt als einziger Augustin Dikongué – von Koltès dezidiert als Schwarzafrikaner bestimmt – Würde aus. Gesanglich am stärksten aber sind die Frauen. Leah Gordon ist eine nervöse, tüttelige, selbstverliebte Sekretärin Monique Pons, Abklatsch einer ehemals attraktiven Dame, und sie setzt ihren großen, hellen, runden Sopran sowohl in der Höhe wie auch in den Sprech-Passagen ohne klangliche Verluste ein. Ähnliches kann man auch bei Michaela Maria Mayer als Claire konstatieren; sie spielt diese junge, noch unsichere Figur sehr glaubhaft in Gestik und Mimik und gestaltet sie ebenso überzeugend mit ihrem sicheren Sopran, selbst wenn von ihr noch so aberwitzige Sprünge in der Partie verlangt werden. Leila Pfister als alte Cecile, mitfühlende Mutter ihrer von Fak vergewaltigten Tochter, die sie mit ihrem Schal zudeckt, imponiert mit langen Gesangslinien ihres angenehm hellen Mezzosoprans, kann aber gegen die Gewalt auch mit der Beschwörung ihrer Herkunft nichts ausrichten und stirbt.

Kein Wunder, dass das Publikum bei der Premiere gerade „seine“ drei Sängerinnen beim langen, anerkennenden Schlussbeifall besonders würdigt. Einige Zuschauer aber klatschen nicht. Fazit an der Garderobe: „Es hat mich am Ende etwas gelangweilt, auch wenn es sonst interessant war.“

Renate Freyeisen

 

Fotos: Ludwig Olah