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Fakten zur Aufführung 

EIN MASKENBALL
(Giuseppe Verdi)
6. Juni 2015
(Premiere)

Staatstheater Nürnberg


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Hinter der Maskerade lauert der Tod

Unter dem Widerspruch zwischen stärkster Dramatik in der Musik und statischer Darstellung von Handlungselementen leidet Giuseppe Verdis Melodram Ein Maskenball im Opernhaus des Staatstheaters Nürnberg. Dabei zeigen schon die Entstehung des Werks und sein Sujet höchst dramatische Momente auf. Die Handlung geht auf einen realen historischen Vorfall zurück, nämlich auf das tödlich endende Attentat auf den schwedischen König Gustav III. 1792, von Eugène Scribe 1833 zu einem Libretto für drei verschiedene Vertonungen verarbeitet. Und auch Verdi fand Gefallen an dem Stoff, übernahm ihn, musste aber zusammen mit seinem Textdichter Antonio Somma mehrmals wegen der Zensur in Neapel und Rom tief greifende Änderungen an der Substanz vornehmen, bis die Oper endlich 1858 in Rom uraufgeführt werden konnte. Aus dem schwedischen König, der nach einem hinterhältigen Anschlag beim Maskenball stirbt, wird nun der britische Gouverneur Riccardo im fernen Amerika, denn die Ermordung eines Regenten auf der Bühne war damals in Italien einfach nicht erlaubt, und auch die Verschwörer erhalten neue Namen. Die erfundene Liebesgeschichte zwischen Riccardo und Amelia ist nun durch die Eifersucht ihres Ehemanns Renato das auslösende Moment dafür, dass aus ihm, dem zuerst treuesten Freund des Gouverneurs sein ärgster Feind wird.

All das besitzt eigentlich genügend Spannung für eine fesselnde Opernhandlung. Doch Regisseur Vincent Boussard nimmt viel von der Dramatik heraus zugunsten einer deutenden Reduzierung und Stilisierung. So schauen sich die Personen gerade in den erregendsten Momenten nicht an, singen meist nach vorne, oft an der Rampe, verzichten oft auf Gestik und Mimik. Der Chor wird häufig starr aufgereiht, bewegt sich kaum oder gemessen, meist übersichtlich geordnet. So erinnert manches an eine konzertante Aufführung. Verstärkt wird ein solcher Eindruck dadurch, dass der Bühnenraum weitgehend leer bleibt. Vincent Lemaire belässt ihn meist dunkel. Nur ein schmaler Streifen Licht fällt seitlich ein, und wenn die Verschwörer sich treffen, sind durch einen Spalt hinter der glatten, schiefen Fläche des Hinrichtungsortes nur ihre Füße zu sehen. Es gibt auch sparsame symbolische Verweise, etwa als ungewiss grau strukturierter Hintergrund das schemenhaft aufleuchtende Gesicht des „historischen“ Gustav, der zur Bühnenhandlung ab und zu blutige Tränen weint. Gewollt ist auch der äußere Gegensatz zwischen dem Repräsentanten der Macht, Riccardo, in seinem prächtigen Gewand und dem „Volk“, den Männern in heutigen dunklen Anzügen und den schlicht gekleideten Frauen mit ihrem Kindern in Schlafanzügen. Erst im dritten Akt, beim Maskenball, wechselt auch das Volk unter einem riesenhaften, stilisierten Kronleuchter in die wunderbar glitzernden und weiß schimmernden, barock anmutenden, kostbaren Ballroben von Christian Lacroix, darf sich so herausputzen. Damit kommt dann etwas Leben und Bewegung in die Szene. Dass aber im Hause von Renato ein rotes Elektroauto für Kinder – wohl Hinweis auf den Sohn – um die Füße der drei Verschwörer kurvt, ist wohl eher ein seltsamer Gag innerhalb eines deprimierenden Geschehens, das von Maskierung bestimmt ist. Wenn die Männer also in „offizieller“ Funktion auftreten, tragen sie Halskrausen der spanischen Hoftracht über ihren schwarzen, alltäglichen Mänteln. Page Oskar deutet in seiner eleganten, erotisch-weiblichen Aufmachung nur an, dass er in Riccardo verliebt ist, und die Magierin Ulrica entpuppt sich als eine fast grotesk aufgetakelte, ältliche Person, die viel Brimborium macht, aber eigentlich nur Binsenweisheiten von sich gibt. Immer da, wo die Figuren ihr wahres Inneres zeigen, sind sie heutig, dunkel gekleidet; dass Riccardo am Schluss seinen prachtvoll bestickten Rock ablegt, unterstreicht diese Sichtweise. Leider aber geht durch zu viel interpretatorische Hintergründigkeit einiges an dramatischer Durchschlagskraft verloren.

Die hört man aber durchaus in der Musik, und hier aus dem Orchestergraben von der Staatsphilharmonie Nürnberg unter der Leitung von Marcus Bosch häufig etwas zu laut, zu stark. Der Dirigent lässt recht langsam, etwas trocken, ohne großes Brio beginnen. Und im Verlauf der Oper fehlen dann manchmal der italienische Glanz, mitreißende Entwicklungen, schmiegsame Farben. Alles wirkt etwas kompakt, obwohl immer wieder auch schöne instrumentale Soli erfreuen.

Die Sänger müssen sich oft anstrengen durchzudringen. So kann David Yim als Riccardo, etwas unbeweglich agierend und immer nach vorne orientiert, seinen hellen, strahlkräftigen Tenor zwar bis in die höchsten Höhen mühelos steigern, doch oft zu Lasten eines differenzierten Ausdrucks; gerade im Liebesduett mit Amelia auf dem Galgenhügel ist dieser schmerzlich zu vermissen. Amelia, Irina Oknina, ist wie er ständig frontal auf den Dirigenten fixiert, doch sie gestaltet anrührend mit ihrem glänzenden, hellen, höhensicheren Sopran eine tragisch Liebende. Ihr Gatte Renato findet in Mikolaj Zalasinski einen in seiner Zerrissenheit zwischen Treue, Eifersucht und Hass glaubhaft agierenden Darsteller und ausdrucksstarken Sänger durch seinen fülligen, kräftigen Bariton. Als geheimnisvolle Wahrsagerin Ulrica gefällt Chariklia Mavropoulou mit ihrer metallisch unterlegten, auch in den Tiefen überzeugenden Stimme. Ein Lichtblick in dem düsteren Geschehen ist in jeder Beziehung Julia Novikova als Page Oskar mit ihrem hell leuchtenden, flexiblen Sopran und ihrer beweglichen Mimik und Gestik. Gut in die Rolle des Seemanns passt Vikrant Subramaniam, während Daniel Dropulja als Samuel und Taeyhun Jun als Tom eher wie Marionetten agieren müssen. Ergänzt wird das Ensemble durch Chool Seomum als Richter und Emanoel Velozo als Diener. Auch wenn sich der Chor des Staatstheaters, ergänzt durch den Jugendchor des Lehrergesangsvereins Nürnberg, geleitet von Tarmo Vaask, nur gemessen bewegen darf, setzt er doch durch differenzierte Ausgestaltung vom fein schimmernden Preislied bis hin zu sanfter Bitte oder mächtigem Hymnus große emotionale Akzente.

Das Premierenpublikum im voll besetzten Haus ist äußerst zufrieden, und so gibt es neben langem Beifall nur ein paar vereinzelte Buhs für die Regie.

Renate Freyeisen

 

Fotos: Jutta Missbach