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Fakten zur Aufführung 

KÖNIG ROGER
(Karol Szymanowski)
14. März 2015
(Premiere)

Staatstheater Nürnberg


Points of Honor                      

Musik

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Heilsbringer ohne Charisma

Der Traum vom schöneren, freieren Leben versinkt im Müll – so der optische Eindruck der Aufführung von Karol Szymanowskis Oper König Roger am Staatstheater Nürnberg. Doch ob der Komponist sein Werk, das er 1917 begann und dessen Uraufführung 1926 in Warschau stattfand, wirklich so pessimistisch sah, muss bezweifelt werden. Hier geht es um den alten Antagonismus zwischen dem apollinischen Prinzip, das Ordnung, Kultur, Harmonie und Schönheit hervorbringt, und dem dionysischen Prinzip, das im enthemmten Rausch, Entgrenzung durch Triebhaftigkeit und Chaos endet, und um die gegenseitige Bedingung dieser beiden Prinzipien. Die Oper, sehr symbolbehaftet, metaphernträchtig, von historischem und kulturellem Wissen geschwängert, thematisiert vielmehr eine Utopie.

Der Komponist hat dazu die Tragödie des Euripides Die Bacchen als Anregung genommen. Doch anders als in dem antiken Drama lässt er den König nicht von den Mänaden zerfleischen, sondern befreit ihn durch die Schau der Sonne von der Einsamkeit der Macht. Auch die Hauptfigur, der Normannenkönig Roger II., der im 12. Jahrhundert in Sizilien geherrscht hat, ist hier nicht als historische Gestalt zu sehen. Die Schauplätze, im ersten Akt die Capella Palatina in Palermo und im dritten Akt das antike Theater in Syrakus, hat Szymanowski zusammen mit seinem Freund selbst besucht und war völlig davon beeindruckt.

Doch diese Orte sind hier nur Vorwand für ein Geschehen, das als Mysterium einer Selbstfindung, einer Selbstreinigung begriffen werden kann. Darauf deuten auch die Verweise auf Vermischung der Religionen und kulturellen Sphären hin, die hier vor allem in der Musik aufscheinen, so in den ungeheuer imposanten Chören, die im ersten Akt an russisch-orthodoxe Kirchengesänge erinnern; europäische Traditionen verschmelzen bei den impressionistischen Klängen und hochdramatisch expressiven Kulminations-Momenten im Orchester, im zweiten Akt wird durch melismatische Vokalisen und instrumentale Exotik eine Stimmung erzeugt, die vielleicht die Erlebnisse des Komponisten im arabisch geprägten Raum bei seiner Reise nach Nordafrika widerspiegelt. Auch dass im dritten Akt die Stimme des unsichtbaren Hirten aus dem Hintergrund ertönt, während er selbst nun als Gott erkennbar wird, zeigt antike Denkweise und somit kulturelle Überlieferung an. Aber Szymanowski sieht, glaubt man der Musik und auch dem Text, den er gemeinsam mit Jaroslaw Iwaszkiewicz verfasst und mit Metaphorik und Bildern geradezu überhäuft hat, am Schluss keine ausweglose Situation.

Das beurteilt Regisseur Lorenzo Fioroni doch etwas anders. Für die Nürnberger Erstaufführung entwirft er ein insgesamt düsteres Szenario. Zusammen mit seinem Bühnenbildner Paul Zoller und im Verbund mit der Kostümbildnerin Sabine Blickenstorfer lässt er das Ganze im Heute, in einer Art Stadion spielen, nah am Meer – man hört das Rauschen der Wellen – mit Lichtmasten rund um eine rissige Schräge. Das Licht von Karl Wiedemann ist zuerst weiß, was einen harten Kontrast zur schwarz gekleideten Trauergesellschaft bietet. Schon vor Beginn wird nämlich ein Grab geschaufelt, und langsam treffen die Teilnehmer an der feierlichen Beerdigung ein. Alles scheint kalt; es schneit und regnet, man schützt sich mit schwarzen Schirmen. Und vieles erinnert optisch an bedrückende Filmszenen aus dem tiefen Süden Italiens, etwa an Versammlungen einer mafiösen Gesellschaft. Bestattet wird der alte König; der neue, Roger, übernimmt mit dessen Ring die Herrschaft. Während gewaltige, unglaublich packende Chöre von einheitlich schwarz gekleideten Kindern und Erwachsenen dem Gestorbenen die letzte Ehre erweisen und dabei Gott preisen, erscheint, angekündigt und herbeigezerrt, ein Volksverführer, ein Hirte, und stört damit die ernste Trauerzeremonie. Dieser ist allerdings keine leuchtend jugendliche Gestalt, wie vermutet, sondern ein gammeliger Aussteiger, in Kapuzen-Parka, Tarnhose, Turnschuhen, T-Shirt, mit langen, roten, ungepflegten Haaren, von gedrungener Figur und absolut lässig. Von ihm geht gewiss kein erotischer Reiz aus, wie im Libretto festgelegt, und so ist es schon ein wenig verwunderlich, dass ihm alle nachrennen, vor allem die Frauen, die vorher den religiösen Ritualen und gesellschaftlichen Vorschriften willig gehorcht haben. Vielleicht ist es die Faszination des Neuen, Unerlaubten, Unkonventionellen? Doch so ganz logisch ist das nicht. Im Übergang zum zweiten Akt bereitet die Regie die Zuschauer auf einen neuen Gesichtspunkt durch Aufschriften auf dem Eisernen Vorhang vor: Es geht jetzt, im warmen Licht, um die Flüchtlings- und Asylproblematik. Security kontrolliert, Flüchtlinge hüllen sich in Decken, das Meer rauscht, der Hirte wirft mit Geld um sich, entfacht die Sehnsucht nach Freiheit sowohl sexueller – die Frauen entkleiden sich – als auch grundsätzlicher Art. Die Leute, nun meist erdfarben gekleidet, erhalten von ihrem Heilsbringer, dem Hirten, ein Büchlein, wohl einen Ausweis, und verfallen nach heiterem Wahn in einen Tanz, bei dem alle in eine Art Massensuggestion, in die Weite, fliegen; wer frei ist, folgt dem Hirten in die Ferne. Auch wenn Roger, der nie äußerlich als König zu erkennen ist, sondern nur korrekt im Anzug auftritt, vorher absichtlich wegschaut, folgt er schließlich dem Hirten als Bettler, nahezu nackt. Der dritte Akt lässt in eine verwüstete, vermüllte, chaotische Welt blicken. Die Lichtmasten sind verbogen, umgeknickt. Die Königin Roxane, die vorher im glitzernden, schwarzen Abendkleid ihre Vormachtstellung betont hat, erscheint nun im edlen Aussteiger-Outfit. Als Hinweis auf den Standort setzt Edrissi, der Berater des Königs, eine antike Schauspielermaske auf, Roxane entfacht ein Feuer, verbrennt damit wohl die herrschaftliche Macht. Daraufhin wird es völlig dunkel, nur noch ein einzelner Scheinwerfer schwingt scheinbar unkontrolliert hin und her, und als es wieder hell wird, ist der Boden von unten her rot erleuchtet, Papier flattert herunter, und der König und sein Berater begeben sich wie Obdachlose auf die Suche – wonach? Der König klettert dann auf den umgestürzten Mast, ruft nach der Sonne „mit reinem Herzen“, und damit ist die Oper, die in vielem oratorienhafte Züge aufweist, quasi in einem offenen Schluss zu Ende. Alles in dieser Inszenierung ist symbolisch aufgeladen; doch manches scheint allzu gewollt, und auch die Asylproblematik passt nur bedingt dazu. Aber trotz logischer Brüche besticht die Aufführung durch eindrucksvolle Bilder.

Zu bewundern aber ist die musikalische Umsetzung: Jacek Kaspszyk am Pult der Staatsphilharmonie Nürnberg, ein erwiesener Fachmann auf dem Gebiet der polnischen Musik, entlockt mit seinem inspirierenden Dirigat dem Orchester sowohl intensiv singende Klangfarben bei den Streichern als auch mächtige Fortissimo-Ballungen, ohne dass es schrill oder überlaut würde. Diese suggestiv imponierende Wirkung steigert noch der hervorragende große Opernchor samt Extrachor und Jugendchor des Lehrergesangsvereins unter der Gesamtleitung von Tarmo Vaask mit feinen tonalen Abstimmungen und Schattierungen sowohl auf als auch hinter der Bühne.

Selbst die kleinen Solistenrollen sind ausgezeichnet besetzt, mit dem warmen Alt von Jana Limonska-Pajak als Diakonisse und dem schönen Bass-Bariton von Daniel Dropulja als Erzbischof. Hans Kittelmann gibt sein Rollendebüt als geschäftiger, arabischer Gelehrter und Berater Edrissi mit hellem, kehligen, etwas flachen Tenor. Herausragend aber sind die Hauptfiguren: David Yim gefällt stimmlich als Hirte mit seinem schön timbrierten Tenor voller Elan, Ekaterina Godovanets überzeugt als attraktive Roxane mit ihrem runden, großen, in den Höhen wie auch den langen Gesangslinien stets wohlklingenden Sopran, und Mikolaj Zalasinski begeistert mit seinem kraftvollen, farbenreichen Bariton und einer packenden Gestaltung in der Darstellung des unglücklichen Königs Roger.

Das Publikum im nahezu vollbesetzten Haus, in gespannter Erwartungshaltung ob der den meisten unbekannten Oper, feiert vor allem die gesanglichen und orchestralen Leistungen mit langem Applaus, bedenkt aber das Regieteam mit ein paar lauten Buh-Rufen. So ganz kann diese Inszenierung wohl nicht alle überzeugen.

Renate Freyeisen

 

Fotos: Ludwig Olah