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Fakten zur Aufführung 

DIE HUGENOTTEN
(Giacomo Meyerbeer)
15. Juni 2014
(Premiere)

Staatstheater Nürnberg


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Friede als Utopie

25 Jahre lang wurde die Oper Die Hugenotten von Giacomo Meyerbeer auf keiner deutschen Bühne mehr aufgeführt. Nun kann das Nürnberger Opernhaus es sich als unschätzbares Verdienst anrechnen, das prächtige, aber schwierig zu realisierende Werk zum 150. Todestag des Komponisten einem äußerst dankbaren Publikum wieder in glänzender Form präsentieren zu können. Wie aber kommt es, dass dieses Hauptwerk der Grand opéra heutzutage so selten zu hören ist? Einer der Gründe dafür ist sicher die Länge von fünf Stunden – so empfiehlt es sich, zu kürzen. Ein zweites Hindernis für kleinere Häuser besteht darin, dass man für die Massenszenen Riesenchöre benötigt, ebenso aber auch hervorragende Sänger für die großartigen Hauptrollen. Und nicht vergessen werden darf, dass es schon kurz nach der Uraufführung 1836 in Paris, wo die Oper ein Riesenerfolg war, in katholischen Ländern Vorbehalte gegen den Stoff gab. Denn der hat die historische Bartholomäusnacht 1527 zum Thema, als die evangelischen Hugenotten von den Katholiken in einem blutigen Massaker in Paris niedergemetzelt wurden. So werden andere Titel und Schauplätze gewählt, die Oper gleich gar nicht oder in zensierter Fassung gespielt. Robert Schumann urteilt über das Libretto von Eugène Scribe: „Die Welt hat selten eine solche Anhäufung von Ungeheuerlichkeiten gesehen“. Doch entgegen dieser Äußerung wird die Oper ab der Mitte des 19. Jahrhunderts bis etwa 1936 über tausendmal aufgeführt; mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus aber gerät das Werk immer mehr aufs Abstellgleis, und auch das Verdikt Richard Wagners gegen seinen jüdischen Konkurrenten Meyerbeer hat nicht unerheblich dazu beigetragen. Für Meyerbeer selbst sind die gehässigen Bemerkungen seiner Zeitgenossen Zeichen von Unverständnis. Davon zeugt auch die Anschuldigung, er habe durch die Verwendung des Luther-Chorals Ein feste Burg ist unser Gott in der Ouvertüre und weiterhin, als eine Art Leitmotiv für die bessere Welt des Glaubens, religiöse Gefühle verletzt. Was aber oft nicht erkannt wird: Die Hugenotten spiegeln in den gewalttätigen, hasserfüllten Auseinandersetzungen der beiden Konfessionen, im beschleunigten Ablauf der Katastrophe, in den Stilbrüchen beim Aufeinandertreffen ernster, idyllischer und fast heiterer Szenen, vor allem aber im Scheitern aller Vermittlungs- und Friedensbemühungen ein zersplittertes, ein pessimistisches Welt- und Geschichtsbild. Am Ende finden alle den Tod.

Dass diese Oper in Nürnberg spannend und trotz der teilweise logischen Sprünge auch glaubhaft wirkt, dafür sorgt die bildreiche, lebendige, sehr konkrete Inszenierung von Tobias Kratzer in der Ausstattung von Rainer Sellmaier. Nicht allein, dass im ersten beziehungsweise zweiten Akt bunte Tableaus dominieren, einmal bei einem Freundschaftsmahl unter Männern, dann bei einer Gartenidylle unter Frauen, Kratzer lässt die ganze Handlung im riesigen Atelier eines Malers ablaufen. Der Künstler, der Graf von Nevers, möchte Bilder der Versöhnung zwischen Hugenotten und Katholiken malen; er ist ein junger Mann unserer Zeit, in Turnschuhen und Hemd. Alles beginnt, als seine Freunde in Alltagskleidung erscheinen, um mit ihm ein Fest zu feiern. Als sie aber ihre roten Jacken überstreifen und die Tafel decken, ändert sich die Wahrnehmung: Der Zuschauer taucht ein in die Renaissance. Allerdings geht dieser Ansatz eines Zeitenwechsels nicht immer auf, denn der Bildrahmen des Spiels, also das Atelier, tritt fast ganz in den Hintergrund. Als die Damen um Marguerite, der Königin von Navarra, mit Teppichen, künstlichen Bäumchen und sogar einem Reh ländlichen Frieden suggerieren, vergisst man leicht, dass das alles nur eine Fiktion, eine Utopie darstellen soll. Im dritten Akt treffen dann die verfeindeten Lager aufeinander, die Hugenotten, in Schwarz – sie lehnen Sinnliches und Lebenslust strikt ab – und die Roten, also die Katholiken, Verfechter einer lustbetonten Lebensweise. Als die Konfrontation beinahe eskaliert, führen zwei Zigeunerinnen samt Ziegenbock vorübergehend zu einer Beruhigung. Sie sagen die Zukunft voraus, und dazu laufen Videosequenzen rundum über die Wände, mit Bildern von Krieg, Tod und Vernichtung. Das führt zum Innehalten; die Masse zerstreut sich. Geflügelte grüne Fledermauswesen dringen durch das zerbrochene Atelierfenster ein als Boten einer grausamen Welt, und, um das Geheimnisvolle noch zu steigern, ruft eine Art Glöckner von Notre Dame die Leute auf, ihre Häuser aufzusuchen. Die eigentliche Handlung aber wird greifbar, als der katholische Graf St. Bris gegen den Hugenotten Raoul de Nangis, den Freund von Nevers, einen Mordplan schmiedet. Das Komplott wird aufgedeckt, und Katholiken und Hugenotten geraten im Kampf aneinander. Mitten in dem Getümmel erscheint wie ein deus ex machina die Königin auf einem Pferd, äußerst hoheitsvoll, und spricht ein Machtwort: „Haltet ein!“ Alle liegen vor ihr auf dem Boden. Doch zu einem wirklichen Frieden kommt es nicht. Valentine, Tochter des Grafen, als Katholikin leider verliebt in Raoul, den Hugenotten, der sie auch liebt, muss auf Geheiß ihres Vaters Nevers heiraten. Dieser, ein Mann des Ausgleichs, versucht auch immer wieder, Frieden zu stiften, will keine Wehrlosen töten, als die Katholiken sich zur Bartholomäusnacht verabreden. Die feierliche Schwertweihe – es sind auch Maschinenpistolen dabei – mutet dann wie ein Hohn gegen Gottes Gebot an. Für seine Weigerung mitzutun, wird Nevers gefesselt. Doch Raoul, der sich von Valentine verabschieden will, befreit ihn. Geradezu übermenschliches Verständnis bringt Nevers als toleranter Ehemann auf, als Valentine Raoul ihre Liebe gesteht. Doch mit dem Glockenschlag beginnt das Morden. Hinter dem Fenster lodern die Feuer. Nevers wird von seinen eigenen Glaubensbrüdern umgebracht, der treue und gottesfürchtige Diener Marcel vereint Raoul und Valentine, die schnell noch ihre Konfession wechselt, in einem Ehebund, und gemeinsam gehen sie in den Tod. Nevers, nun wieder der junge Künstler unserer Zeit, überzieht das ganze Atelier mit Plastikfolie, kippt die Farbkübel aus. Das einzige Bild, das er vollendet hat, ist eine rot befleckte Fläche, wohl ein Zeichen, dass die Versöhnung misslungen ist.

Die am Schluss sich fast überschlagende Handlung wird durch die Musik von Meyerbeer noch gesteigert, die in der Ouvertüre eher schlicht und feierlich mit der Choralmelodie beginnt. Guido Johannes Rumstadt hat die Staatsphilharmonie Nürnberg jederzeit gut im Griff. Vor allem die Bläser gefallen, wenn sie Textpassagen, etwa das religiös fanatische Bekenntnis des Marcel, untermalen. Mächtige Fortissimi, feine Begleitungen der Duette und Solo-Nummern wechseln sich ab, ohne dass etwas zu fett klingt, und die klugen Kürzungen, die der Dirigent vorgenommen hat, spürt man nicht, denn sie greifen nicht in die Struktur ein. So dauert das Werk nur etwas über vier Stunden. Immer präsent in der Szene ist Martin Berner als Graf von Nevers; er tritt als stets lockerer jugendlicher Künstler auf, und mit seinem angenehmen Bariton füllt er die Rolle bestens aus. Sein Freund, der Hugenotte Raoul de Nangis, sein größter Gegenspieler im Bezug auf Valentine, wirkt dagegen eher etwas gebremst, gehemmt; Uwe Stickert aber betört mit seinem hellen, starken Tenor und wunderbar strahlenden, höchsten Höhen nicht nur die Frau seines Herzens. Die ist leider die Tochter des unversöhnlichen katholischen Anführers, des Grafen von St. Bris, von Nikolai Karnolski mit kräftig dunklem Bass gesungen. Valentine aber, eine schöne Frau, folgt letztlich nur ihrem Gefühl; Hrachuhí Bassénz steigert sich mit ihrem reich bemittelten, elanvollen Sopran und mit großen, lang ausgehaltenen Höhen immer mehr in ihre unglückliche Liebe zwischen den Fronten hinein, die schließlich zur Erfüllung im Tod führt. Bis fast zuletzt wird sie heftig abgelehnt von Marcel, dem gestrengen, in seinen Glauben verbohrten Diener von Raoul, einem Eiferer; Randall Jakobsh kann ihn mit seinem großen, dunklen, etwas trockenen Bass und etwas spröden Tiefen als verknöcherte Gestalt bestens verkörpern. Eine Figur aber hebt sich aus der Masse der Leute glanzvoll heraus, die Königin Marguerite; Leah Gordon gibt ihr äußerlich vornehme Eleganz und hoheitsvolle Würde, auch einen gewissen Charme; stimmlich begeistert sie durch die bravourös gemeisterten Lagenwechsel, die sicher und locker präsentierten Verzierungen, Triller und Läufe ihres instrumental eingesetzten hellen Soprans. An ihrer Seite gefällt Judith Nagyová als Page Urbain mit ihrer kraftvollen, dunkel timbrierten Stimme. Auch die übrigen Edelleute und Damen sind bestens besetzt und bilden im Verbund mit den herausragenden Chören ein Fest der Stimmen: Tarmo Vaask lässt diese fein abgestuft singen, und gerade die aufmunternden Chöre der Männer oder die stimmungsvollen Auftritte der Nonnen und Geistlichen sind ein wahrer Genuss.

Das Publikum im ausverkauften Nürnberger Opernhaus ist begeistert von der Aufführung, dem Orchester und vor allem den Solisten und feiert sie lange mit nicht enden wollendem Jubel.

Renate Freyeisen

 

Fotos: Julia Missbach