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Fakten zur Aufführung 

DIE HOCHZEIT DES FIGARO
(Wolfgang Amadeus Mozart)
27. Juni 2015
(Premiere)

Staatstheater Nürnberg

Points of Honor                      

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Gesang

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Amüsantes Drama

Witzig, kritisch, von menschlichem Verständnis getragen ist der realistische Blick, den Mozart in seiner Oper Die Hochzeit des Figaro auf seine Zeit und Gesellschaft wirft. Beinahe aber wäre dieses grandiose Werk wegen der revolutionären Tendenzen der Vorlage von Beaumarchais dem Verdikt des österreichischen Kaisers Leopold II. zum Opfer gefallen, hätte nicht der schlaue Librettist Lorenzo da Ponte dem Vorhaben den Anstrich eines dramma per musica, also einer ernsthaften Oper gegeben. So wurde sie erlaubt, und gegen alle damaligen Widerstände ist sie heute noch so frisch und erfolgreich wie 1786.

Auch das Staatstheater Nürnberg kann damit dank der abwechslungsreichen, lebendigen, stimmigen Regie von Mariame Clément, kongenial unterstützt durch das atmosphärisch dichte Bühnenbild und die herrlichen Rokoko-Kostüme von Julia Hansen, einen allseits bejubelten Triumph feiern. Bis in die kleinsten Handbewegungen und Personenkonstellationen hinein harmoniert die Bühnenaktion mit der Musik. Und die Figuren der Oper sind keine komischen Typen, sondern Menschen, zwar aus einer vergangenen Epoche, aber in ihrem Handeln und Reagieren durchaus verständlich. Der Graf ist also ein eleganter Mann, ganz Herrscher, rücksichtslos, wenn er seine sexuell-erotischen Bedürfnisse durchsetzen will, aber kompromisslos als Besitzer seiner Gattin; dumm nur für ihn, dass er selbst das alte Recht des „ius primae noctis“ abgeschafft hat. So steht er sich selbst im Wege bei seinen Begehrlichkeiten gegenüber Susanna, der Dienerin seiner Frau. Die ist ihrerseits ganz vernarrt in die Schmeicheleien und die Anhänglichkeit ihres zarten Patensohns Cherubino, eines Jungen, dem gerade die erwachenden geschlechtlichen Triebe ziemlich zu schaffen machen. Aber sie überschreitet eine gewisse Grenze nicht, auch wenn sie die flirrenden, erotischen Spannungen zwischen sich und dem Heranwachsenden sehr genießt. Auch Susanna ist von ihm angetan, sieht ihn aber realistisch als das, was er ist: noch ziemlich unreif. Nicht so recht durchschaut das der Graf; außerdem ist er scharf auf Susanna, wird oft zudringlich. Sie aber wehrt ihn immer ab, fühlt sich natürlich auch geschmeichelt durch seine Avancen. Das alles bringt Figaro, den gräflichen Diener, ihren künftigen Mann, auf die Palme; der verhält sich nicht allzu geschickt darin, wie er seinen Herrn täuschen und ablenken kann, aber unerschrocken probiert er alle Finten aus, vor allem, wenn es um seine Braut geht. Sein Glück aber soll ihm verwehrt werden durch Marzelline, die ältliche, aber immer noch recht mannstolle Beschließerin im Schloss. Figaro hat ihr leider einst, als er Geld brauchte, ein Heiratsversprechen gegeben. Das will sie nun einlösen, unterstützt von Doktor Bartolo, ihrem ehemaligen Liebhaber, begleitet von einem weiteren Intriganten, dem Musiklehrer Basilio. Dass sich Marzelline und Bartolo schließlich als Figaros Eltern herausstellen, ist ein komödiantischer Kunstgriff. Die Konflikte aber finden weniger statt um die Liebe, mehr um das gesellschaftliche Ansehen, das es zu wahren gilt. Ob am Schluss, als allseits der Friede ausgerufen wird, die Versöhnung wirklich anhält, erscheint etwas zweifelhaft, denn die Gräfin hält das Gewehr recht ungeschickt schussbereit in die Höhe, so dass sich ihr Gemahl wohl oder übel ergeben muss, will er nicht aus Versehen getroffen werden. Und er wirkt auch nicht allzu ernsthaft zum Besseren bekehrt, wenn er locker schaukelt.

Dass das alles Theater, ein Blick zurück in die Welt des Rokoko ist, deutet die Regie schon zu Anfang, vor der Ouvertüre an; da sieht man, vor einem sanft blau beleuchteten Hintergrund, in einen Raum, in dem sich stumm Personengruppen bewegen, Diener, eine Frau in einem Bett, ein Mann, der sich an ein Mädchen heranmacht, das vor ihm flieht. Während der Ouvertüre scheinen alle wie zu Scherenschnitten erstarrt. Erst danach beginnt die eigentliche Handlung. Susanna hängt Wäsche auf, Figaro erfährt von ihr, dass sie dem Graf aus dem Weg gehen will, weil er ihr nachstellt; hinten spielt sich derweil das Alltagsleben auf dem Schloss ab. Wenige Möbel deuten in diesem offenen Raum die Schauplätze an. Lediglich als Cherubino im Kabinett versteckt wird und sich im letzten Moment durch einen Sprung aus dem Fenster rettet, fahren von oben feste Zimmerkulissen herab. Auch für den nächtlichen Garten genügen ein Gartenhäuschen und ein Einstieg in einen Keller, eine Schaukel  sowie Laub auf dem Boden. Alles konzentriert sich auf das höchst amüsante Mit- und Gegeneinander der Personen.

Im Mittelpunkt aber steht Mozarts wundervolle Musik, auch in kleinsten Regungen auf der Bühne nachvollziehbar. Peter Tilling leitet die Staatsphilharmonie Nürnberg mit viel Umsicht, und dass er besonderen Wert legt auf lebendige Rezitative, begleitet durch das etwas laute Hammerklavier und Cello, ist sehr zu begrüßen. Das Orchester spielt insgesamt straff und leuchtend, lässt auch Hintergründiges spüren, doch ab und zu hätte man den Geigen mehr saubere Intonation und den Hörnern einen besseren Ansatz gewünscht.

Großartig aber die sängerischen Leistungen! Jochen Kupfer ist von Statur wie Stimme her ein  Almaviva wie aus dem Bilderbuch; hoch gewachsen und stets präsent mit seinem wohl klingenden Bariton verkörpert er einen idealen Grafen. Hrachuhì Bassénz als seine attraktive, aber vernachlässigte Gattin besitzt einen klaren, vollen, in der Mittellage runden, in der Höhe strahlenden Sopran und steigert sich von ihrer ersten Arie immer mehr bis zur berühmten Klage Dove sono... mit weiten Linien; ein zarter, süß schimmernder Höhepunkt ist das Briefduett mit Susanna; Michaela Maria Mayer gefällt nicht nur durch ihre äußerst glaubhafte Rollengestaltung, sondern auch durch ihren großen, angenehm leuchtenden Sopran, der besonders im vierten Akt restlos begeistern kann. Figaro, ihr künftiger Mann, wird von Nicolai Karnolsky recht bodenständig gezeichnet; dazu passt sein kräftiger Bassbariton bestens. Page Cherubino, der ständig für Verwicklungen sorgt, ist von Solgerd Isalv einerseits unsicher, andererseits aber auch umtriebig und verwegen dargestellt, also noch recht unausgegoren; der kräftige, leicht metallische Mezzosopran der jungen schwedischen Sängerin scheint ebenfalls noch nicht ganz ausgereift, gibt aber zu einigen Hoffnungen Anlass; vieles macht sie wett durch ihr lebendiges Spiel. Leila Pfister gibt überzeugend eine missgünstige und selbstgefällige Marzelline mit sicherem Mezzosopran; Taehyun Jun als noch gut erhaltener Bartolo steht ihr bei ihren Machenschaften zur Seite ebenso wie Hans Kittelmann als gebrechlicher Basilio mit etwas schneidendem Tenor. Sébastien Paotte gibt mit kräftigem Bass einen etwas unbeholfenen Gärtner Antonio, und seine recht naive Tochter Barberina, von Laura Demjan mit hellem Sopran gesungen, sucht erste erotische Abenteuer mit Cherubino. Das passt dem Grafen gar nicht; außerdem wird er immer wieder gestört vom recht flotten, frischen Chor der Mädchen, einstudiert von Tarmo Vaask. Am Ende aber löst sich alles in Wohlgefallen auf.

Das begeisterte Premierenpublikum im voll besetzten Haus feiert alle Mitwirkenden mit vielen Bravos und langem Beifall.

Renate Freyeisen

 



Fotos: Ludwig Olah