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Fakten zur Aufführung 

FAUSTS VERDAMMNIS
(Hector Berlioz)
22. November 2014
(Premiere)

Staatstheater Nürnberg


Points of Honor                      

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Ein Anti-Faust, der untergeht

Zwischen Oper, Oratorium und Konzert bewegt sich die „dramatische Legende“ La damnation de Faust von Hector Berlioz, entstanden in einem etwa 20 Jahre andauernden Schaffensprozess zwischen 1827/28 und 1845/46, beeinflusst von Beethovens 9. Sinfonie, angeregt von der Faszination durch die französische Übersetzung von Goethes Faust I durch Gérard de Nerval. Schade, dass der deutsche Dichterfürst die ersten acht Szenen der Komposition von Berlioz achtlos weglegte, vielleicht beeinflusst durch seinen biederen musikalischen Ratgeber Carl Friedrich Zelter. Vielleicht ist das aber auch gut so, denn so konnte sich Berlioz befreien von der Idee des Goetheschen Faust, aus dem er nur eine Anzahl von Situationen, Szenen und Liedern entnahm und darum herum eine völlig neue Figur erschuf. Bei ihm ist Faust eine melancholisch leidende Person nicht aus unbefriedigtem Erkenntnisdrang, sondern aus Lebensüberdruss, Langeweile, Sinnleere, Ziellosigkeit, Herzenskälte; am Schluss reitet er in den Abgrund, vergleichbar dem Don Juan. Auch Mephisto ist, anders als bei Goethe, nicht ein Gegenpart Gottes, sondern nur einer, der Faust durch illusionistische Trugbilder lustvoll verführt, um sich selbst daran zu ergötzen. Ebenso ist Margarethe hier kein naives Mädchen, sondern eine Frau mit sexuellen Wunschvorstellungen; sie ermordet auch nicht ihr Kind, sondern ihre Mutter, den Hemmschuh bei den Liebesabenteuern, allerdings aus Versehen. Dennoch wird sie am Schluss, quasi in einer Apotheose, in den Himmel emporgehoben, verklärt. Faust, der romantische Künstler-Held, ist da schon an seiner Selbstfindung gescheitert.

Dass das Staatstheater Nürnberg nun La damnation de Faust als konzertante Aufführung bietet, hat zwei Gründe: Einmal mehr will das dortige Musiktheater die französische Grand Opéra dem deutschen Publikum nahe bringen, nach Meyerbeers so erfolgreichen Hugenotten in der letzten Spielzeit; zum anderen eignet sich Berlioz’ Werk nur bedingt zu einer Inszenierung. Der Komponist selbst hat es anfangs auch eine „opéra de concert“ genannt. Denn es setzt sich zusammen aus schnellen Orts-Sprüngen und plötzlichen Szenenwechseln, in quasi filmischer Schnitttechnik. Das ist auf der Bühne ganz schwierig oder nur unbefriedigend zu realisieren, zumal die Musik völlig durchkomponiert ist. Ähnliches trifft auch zu auf die Traum-Fantasien oder die Schluss-Apotheose. Die Bilder sollen also quasi im Ohr des Zuhörers entstehen. In dieser „dramatischen Legende“ verbinden sich Realität und Fantasie, verwischen die Gattungsgrenzen zwischen Oper, Sinfonie, Oratorium; lediglich der dritte Teil mit den Elementen wie Arien, Duett und Schlussterzett nähert sich einem kompletten Opern-Akt an. Ansonsten aber bieten die wechselnden Musikstücke wie Tanz, Militärmarsch, Choral, emotionale oder illustrierende Programmmusik eine locker gereihte, additive Form, die in ihrer Ziellosigkeit in gewisser Weise der Ziellosigkeit des Anti-Helden Faust entspricht.

Es kommt also ganz entscheidend auf die musikalische Wiedergabe an. Die liegt bei Guido Johannes Rumstadt in umsichtigen Händen, erfordert aber viele differenzierte Farben. Zwar hätte man sich bei den Geigen manchmal mehr sattes Brio statt etwas fahler Flächigkeit gewünscht – das passt anfangs zwar zur geschilderten Langeweile - , aber etwas mehr Glanz hätte den sinnlichen Momenten gut getan. Doch es gibt auch viele feine, sanfte Stellen oder solistische Höhepunkte wie die Solobratsche. Herauszuheben aber sind die exzellenten Bläser; sie illustrieren Naturstimmungen wunderbar anregend, geben den Jagd- oder Militärszenen die passende Atmosphäre und viel Schwung. Manchmal aber hat der Riesenchor des Staatstheaters, verstärkt durch Gäste vor allem bei den dominanten Männerstimmen, ein bisschen Schwierigkeiten, bei der Schnelligkeit mitzuhalten. Insgesamt jedoch kann der Chor, einstudiert von Tarmo Vaask, mit seinem geschlossenem, etwas trockenen Klang durchaus überzeugen, vor allem in der Fuge und im fein ausschwebenden Schluss. Dass bei der Erhebung Margarethes in den Himmel die vier Knabensolisten etwas untergehen, ist kein Wunder – Berlioz hatte einmal 300 Kinder dafür vorgesehen. Dagegen richtet sich die Aufmerksamkeit natürlich auf die Gesangssolisten. Roswitha Christina Müller prunkt als Marguerite mit ihrem dramatischen, hellen, höhensicheren, durchschlagenden Mezzosopran, überwältigt durch Schönklang; bei Meine Ruh ist hin hätte man sich aber doch ein paar lyrische Facetten gewünscht, mehr Textgestaltung statt großer heroischer Oper. Eine kleine Partie ist für Brander bestimmt; Daniel Dropulja gefällt bei seinem Rattenlied mit kernigem, angenehmen Bassbariton. Als Faust profiliert sich Uwe Stickert bestens. Sein kräftig heller, etwas nasal betonter, lyrischer Tenor mit großer, manchmal leicht forcierter Höhe, wie etwa beim Liebesduett, markiert mit viel Impetus eher den jugendlichen Draufgänger. Alle Facetten des Méphistophélès aber gestaltet Antonio Yang sehr überzeugend mit seinem fülligen, großen Bariton; da kann er verführerisch, aber auch ironisch färben, wartet mit guter Tiefe, dramatischen Momenten und, falls erforderlich, mit Nachdruck auf; er triumphiert am Ende.

Auch das Publikum im nahezu voll besetzten Nürnberger Opernhaus spendet ihm den lautesten Beifall, feiert aber lange und begeistert auch alle übrigen Beteiligten.

Renate Freyeisen

 

Fotos: Jutta Missbach