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Fakten zur Aufführung 

CYRANO
(Goyo Montero)
13. Dezember 2014
(Premiere am 13. November 2014)

Staatstheater Nürnberg


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Tragik der Poesie

Eigentlich ist es schwer, durch Bewegung Handlung ausdrücken zu wollen, die von Sprache, von Poesie vorangetrieben wird – so geschehen bei Cyrano de Bergerac, dem tragischen Helden mit unerfüllter Liebessehnsucht, der seine Gefühle für die schöne Roxane nur durch Briefe ausdrückt, die er für seinen hübschen Freund Christian de Neuvillette schreibt, weil er sich selbst wegen seiner übergroßen Nase keine Chancen einräumt. Der kann die Angebetete dann für sich gewinnen, während Cyrano leer ausgeht. Der historische Cyrano, 1619 - 1655, war dagegen ein unerschrockener, berühmter Haudegen, aber auch ein äußerst kühner Freigeist und gesellschafts- wie religionskritischer Schriftsteller, Verfasser von utopischen Romanen; sein mysteriöser Tod gibt zu Spekulationen Anlass. Edmond Rostand hat aus dem Stoff 1897 eine „heroische Komödie“ gemacht, die überaus erfolgreich auf den Bühnen lief, die dunkle Seite dieser Biografie aber weitgehend ausklammerte; ähnlich verfuhren auch die Verfilmungen, etwa mit Gérard Depardieu als Cyrano.

Goyo Montero, viel gepriesener Chef des Nürnberger Balletts, ist es nun mit seinem Cyrano gelungen, aus diesem doch komplexen Stoff ein rundum spannendes, manchmal etwas rätselhaftes, aber äußerst ansprechendes Tanzstück zu kreieren, durch die Betonung der von vorneherein tragischen Note, angesiedelt zwischen kämpferisch aufgeladenen Szenen, suggestiven Bildern und ruhigerem Innehalten bei eher gedanklichen Sequenzen. Als notwendiger akustischer Hintergrund dienen ihm vor allem klug ausgewählte Stücke von Jean-Philippe Rameau, orientiert an der Arie der Téläire aus Castor et Pollux, sehr gefühlvoll vorgetragen von der höhensicheren Sopranistin Gunta Cése; schon hiermit wird der düstere, traurige Ausgang des Ganzen vorgezeichnet. Für die ruhigeren Momente, das Einhalten zwischen den „heftigeren“ Handlungen, sorgen die extra für das Ballett Cyrano entworfenen Sound-Flächen, Klangwolken und Geräusche des amerikanischen Komponisten Owen Belton. Zum offenen Ende ertönt Unanswered Questions von Charles Ives; das ist quasi komponierte Stille, die mystisch entrückt verebbt. So bleibt am Ende ein melancholisch-unentschiedener Abschied von einer Gestalt, die hier für ein letztlich unerfülltes menschliches Schicksal steht.

Montero lässt diesen Lebensweg stumm beginnen, aus einer Menge von grauen, gleich aussehenden Wesen in knappen Trikots, aus dieser Masse von Ideen oder Möglichkeiten heraus im ständigen Auf- und Abwogen, im Auseinander und Zusammenkommen nach individueller Entwicklung strebend. Als dann Trommelschläge ertönen, sich der Gazevorhang mit dem übergroßen Bild des Cyrano hebt, des „Helden“ mit der überlangen Nase, als Kleider von oben herabfallen, formieren sich allmählich Personen des Spiels, bei dem es um individuelle Freiheit geht, die letztlich einsam macht, unerfüllt bleibt. Protagonist des Ganzen ist Cyrano, gekennzeichnet oder gebrandmarkt durch die spitze, lange Nase. Die wird zunächst herumgereicht, bis sie zu Cyrano gelangt. Montero meint zu der übergroßen Nase, dass sie nicht nur Hässlichkeit und Makel bedeute; sie sei vielmehr eine Metapher für Erkenntnis; schon seit der Antike zeigt sie Geistesschärfe an. Einen Makel weist aber auch Christian de Neuvillette, der Konkurrent um die Gunst Roxanes auf: Er ist zwar schön, kann sich aber im Gegensatz zu Cyrano nicht mit Worten ausdrücken, und die schöne Roxane verliebt sich eigentlich in die Worte in den Liebesbriefen; die hat aber nicht Christian geschrieben, sondern Cyrano für seinen Freund. So gehört ihr Herz sowohl der äußeren wie der inneren Schönheit. Ein poetischer Gedanke. In Monteros Tanzstück entwickeln sich spielerisch Individuen, sobald sie Kleider übergestreift haben. Diese „Zellmasse“, wie sie Montero nennt, fällt aber immer wieder in ihr ursprüngliches Dasein als graue Masse zurück, auch am Ende … Dazwischen aber werden in kurzen, schlaglichtartigen Sequenzen die Stationen von Cyranos Lebensweg gezeigt, so wie er die schöne Roxane anbetet, die oft mit dem Rücken zu ihm auf einem der für Montero üblichen schwarzen Podeste thront, unerreichbar über ihm. Zu ihr gesellen sich die Höflinge, in Blau schillernd der prächtige Graf Guiche, Carlos Lázaro, und sein Freund mit hellem Federhut, Vicomte Valvert, Oscar Alonso. Sie haben aber bei der Dame keinen Erfolg, als der glänzend schöne Christian de Neuvillette auftaucht. Dazwischen wirbelt immer Cyrano herum, stört das Theaterstück mit dem überdimensionalen Popanz, den er quasi in Stücke reißt. Im Duell siegt der Haudegen Cyrano. Die Fechtszenen sind dabei ein wahrer ästhetischer Genuss, im rechten Maß zwischen Aktion und Reaktion. Kurzzeitig gibt sich Cyrano der Illusion hin, er könne Roxane für sich gewinnen, doch als er schmerzlich einsehen muss, dass alles vergeblich ist, deutlich durch die Naturbilder von Oliver Schuck als Hintergrundkulisse, durch einen zuerst blühenden, dann kahlen Baum, resigniert er. In ähnlicher Weise deuten Bilder oder Bildfolgen die Stimmung der Personen an. Als Cyrano sein Werben einstellt, wendet er sich dem zu, was er beherrscht: Er brilliert im Kampf, unterstützt seinen Freund Christian darin und verfertigt obendrein die Briefe in dessen Namen, oft mit pantomimischen Gesten. Während die in ihrer Vielzahl etwas ermüden, begeistert die Bewegungschoreografie von Montero. In immer neu überraschenden, einfallsreichen Formationen und Kombinationen über die Bühne verteilt, auch oben auf variablen Kästen, im eigentlich leeren, schwarzen Bühnenraum von Eva Adler, durch Hintergrundbilder, Kuben, Schrägen oder die Vortäuschung eines barocken Vorhangs als Schauplätze markiert, durch die raffinierte Lichtregie von Olaf Lundt und gelegentlichen Nebel atmosphärisch verdichtet, wird so das Schicksal Cyranos beleuchtet. Die zurückhaltenden Kostüme von Angelo Alberto – eine Ausnahme: die golden glänzende Robe von Roxane – unterstützen die Konzentration auf den „Helden“ des Geschehens, Cyrano. Was besonders begeistert, ist die Homogenität des Ensembles, die absolut synchrone Ausführung, die Geschmeidigkeit, die schnellen oder auch spannungsvoll langsamen Bewegungen aller, die dynamischen Höhepunkte etwa bei den Gefechten. Herausragend aber sind die drei Hauptakteure: Saúl Vega, ein im Grund zierlicher, drahtiger, flinker, muskulöser Tänzer, verkörpert ausdrucksstark den Cyrano. Sein Gegner und Freund zugleich ist Christian, Max Zachrisson, blond, elegant, großgliedrig. Klar, dass die wunderbar weich, schmiegsam und leicht tanzende Marina Miguélez als Roxane seiner Attraktivität erliegt. Erst als Christian im Kampf gefallen ist, findet sie mit dem tragisch Liebenden Cyrano in einem feinen Pas de deux voll sanfter Poesie zusammen; doch da ist es zu spät. Cyrano, ein alter Mann, sieht eine Vision der grauen Menge wie einen Hügel von Toten, geht schließlich darin auf, alles verlöscht langsam –neuer Anfang oder Ende?

Ohne die passende musikalische Unterfütterung aber funktioniert Tanz nicht; und dafür dirigiert Gábor Káli sehr behutsam eine kleine Besetzung der Staatsphilharmonie Nürnberg. Besonders fein und farbenreich klingen die kleinen Ausschnitte aus den Musiken von Rameau, konzentriert das leise verhauchende Schlussstück von Ives. Das Sounddesign von Belton kommt elektronisch. Diese gelungene Musikmischung unterstützt die starke Aussage dieses packenden Tanzabends.

Das Publikum im ausverkauften Nürnberger Opernhaus kann sich gar nicht fassen vor Jubel und will nach eindreiviertel Stunden die Mitwirkenden vor lauter begeistertem Beifall gar nicht gehen lassen. Ein weiterer Meilenstein des gefeierten Nürnberger Balletts.

Renate Freyeisen

 

Fotos: Jesús Vallinas