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Fakten zur Aufführung 

DAS APPARTEMENT
(Charly Niessen)
8. November 2014
(Premiere)

Rheinisches Landestheater Neuss


Points of Honor                      

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Von der Sozialkritik zum Schwank

Das Apartment, ein Musical, das auf dem Film The Apartment von Billy Wilder aus dem Jahr 1960 beruht, ist ein gefährliches Stück. Gefährlich vor allem für den Regisseur. Es ist eines jener Stücke, mit denen man den Durchbruch in seiner Karriere schaffen oder krachend abstürzen kann. Wilder selbst hat seinen Film nie als Komödie betrachtet, sondern eher als scharfe Satire auf die Geschäftsmoral und das Duckmäusertum der 1950-er Jahre in New York – geändert hat sich daran wohl bis heute nichts und manch ein Zuschauer wird sich an die Zustände an seinem Arbeitsplatz im Jahre 2014 erinnert fühlen.

Chuck Baxter ist Angestellter eines Versicherungskonzerns und so unscheinbar wie ein Tropfen Wasser in einem Teich. Das zu ändern, könnte aus seiner Sicht die große Karriere und eine große Liebe helfen. Er täuscht sich. Wer im Bauch des Fischschwarms mitschwimmt, kann sich nicht an die Spitze setzen. Da helfen Verbeugungen und Überstunden nicht. Aber ein Appartement. Weil Baxter seinen Vorgesetzten den nahe zur Arbeitsstätte gelegenen Wohnraum für ihre Seitensprünge zur Verfügung steht, gelingt ihm der Sprung aus der Buchhaltung in die Direktionsassistenz. Erst als er erfährt, dass die angebetete Fahrstuhlführerin Fran Kubelik sich dort mit dem Personalvorstand Sheldrake trifft, beginnt das große Erwachen.

Aus solchem Stoff kann man viel machen. Da bieten sich Interpretationsansätze in Hülle und Fülle. Von der Screwball-Komödie über die Sozial-Satire bis zum Schwank in absteigender Reihenfolge ist hier alles drin. Regisseur Torsten Duit entscheidet sich für den Schwank. Für den zotigen dazu. Unglücklicherweise muss er zudem auf die deutsche Übertragung des amerikanischen Musicals Promises, promises von Werner Wollenberger mit deutschen Gesangstexten von Charly Niessen aus dem Jahr 1977 zurückgreifen. Da findet man dann alles, was man heute wirklich nicht mehr will. Eine Hauptperson, die gleichzeitig Erzähler ist, Traumszenen, die per Fingerschnipp an- und ausgeschaltet werden – was bei der Premiere in der ersten Szene auch prompt nicht klappt – bis hin zum Kasperletheater, wo das Publikum partout einbezogen wird, um schließlich nicht vor der Stelle zurückzuschrecken, an der es „Ja!“ rufen muss. Das ist gruselig.

Dorothee Neuling rettet, indem sie das Publikum in das New York der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts auf besondere Weise entführt. Auf den Bühnenhintergrund ist ein Blick in die Straßenschluchten mit einem Freiraum in der Mitte projiziert. Der Freiraum bietet Fläche für allerlei Effekte. Davor sind perspektivisch dreidimensional weitere Hochhäuser als Prospekte gearbeitet. Schließlich finden sich im Vordergrund einzelne Elemente, die wahlweise Hochhäuser, einen Schreibtisch, den Tisch in einem asiatischen Restaurant oder herumgedreht die Innenansicht des Appartements darstellen. Vor dem Hintergrundbild ist die Musikband auf einer Galerie untergebracht. Die Kostüme hat Neuling der Zeit der Handlung angepasst, und wenn man vom Ausrutscher der Krankenschwester absieht, ist das auch gelungen.

Dass aus der Aufführung ein Erfolg wird, ist nicht Duits Inszenierung zu verdanken. Hier ist das Ensemble der Gewinner. Allen voran Michael Großschädl als C. C. Baxter und Erzähler. Sängerisch und darstellerisch überzeugt er in allen – noch so abstrusen – Situationen. Ihm zur Seite steht eine Linda Riebau als Fran, die sich als indisponiert ankündigen lässt, ohne dass man es ihr an diesem Abend an irgendeiner Stelle anmerkt. Gern hätte man von ihr die englischen Liedtexte gehört, um den Wiedererkennungseffekt genießen zu können. Philipp Alfons Heitmann überzeugt in allem Klischee als Sheldrake ebenso wie die übrigen Direktoren, die viel Spielfreude und Stimme zeigen. Einen etwas überbordenden und im Gesang nicht ganz stimmigen Arzt gibt Rainer Scharenberg. Er hat zudem mit extremen Klischees und altbekannten Witzen zu kämpfen. Dass er darüber hinaus die Pulsmessung nicht beherrscht, sollte sich in kommenden Aufführungen noch beheben lassen. Manchmal hapert es einfach am Detail. Ulrike Knobloch, Nadine Nollau und Shari Asha Crosson sind in ihren Rollen ebenfalls glänzend besetzt.

Unter der musikalischen Leitung von Juan Miguel Verdugo Garcia findet die Band zu einem eigenen Sound, der auch immer wieder – das sind die als schön empfundenen Stellen – an die Filmmusik erinnert. Nach einigen Anfangsschwierigkeiten gelingt es auch der Technik, die Lautstärke-Balance zwischen Stimmen und Band herzustellen.

Das Publikum, das schon reichlich Liedapplaus spendiert hat, feiert die Schauspieler, ohne zu wahrhafter Begeisterung zu entbrennen, obwohl es reichlich Lacher und Unterhaltung zwischendurch gibt. Goutiert wird auch die Applausordnung, die eine sehr gelungene Zugabe enthält. Das Stück wird sich in Neuss zu einem weiteren Publikumsrenner entwickeln, folgt man der Reaktion des Publikums im gut besuchten Saal an diesem Abend. Ob allerdings ein solches Mainstream-Theater auf Dauer Bestand hat, darf in Frage gestellt werden.

Michael S. Zerban

Fotos: Björn Hickmann/Stage Picture