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Fakten zur Aufführung 

SCHICKSALSLIED/EIN DEUTSCHES REQUIEM
(Johannes Brahms)
15. November 2014
(Konzert)

 

Canticum novum und Kammerchor an der Herz-Jesu-Kirche in der Mutterhauskirche der Franziskanerinnen, Münster.


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Ein leiser Trost

Die Westfalen-Metropole Münster verfügt dankenswerterweise über eine beachtliche Chorszene. Zwei der bekanntesten Chöre haben sich für ein großes Novemberprojekt zusammen getan, was allein schon von daher Sinn macht, weil sie von dem gleichen Dirigenten geleitet werden: Michael Schmutte. Auf der einen Seite ist das der mehrfache Preisträger Canticum novum, auf der anderen Seite ein Küken der münsterschen Chorszene: Der Kammerchor an der Herz-Jesu Kirche hat in seinen neun Jahren Auftrittserfahrungen einige beachtliche Konzerte aufgeführt.

Schon einmal hatten sich die beiden Klangkörper 2012 für das Verdi-Requiem zusammen gefunden. In diesem Jahr steht das Deutsche Requiem von Brahms auf dem Programm, das ergänzt wird durch dessen Vertonung von Friedrich Hölderlins Schicksalslied. Wie die beiden Chöre hier schon Existenzen und Hoffnungen hinterfragen, hebt das kurze, dreistrophige Werk weit über einen „Stimmungsmacher“ hinauf. Doch so eigenständig es für sich steht, erreicht es ganz nebenbei den Effekt, dass man den hektischen Alltag hinter sich lässt und sich ganz öffnen kann für das folgende Requiem.

Die Erwartungen beim Publikum sind angesichts der beiden Chöre sehr hoch, was bereits daran sichtbar ist, dass die Mutterhauskirche der Franziskanerinnen – ein optisch wie akustisch bestens prädestinierter Raum für Oratorien – so gut wie ausverkauft ist. Enttäuscht wird man an diesem Abend nicht, im Gegenteil sogar überrascht. Michael Schmutte begegnet dem Deutschen Requiem mit einem ruhigen, konsequenten Schlag. Saubere dynamische Akzente statt teutonischer Möchtegern-Romantik prägen seine Interpretation. Die romantischen Züge Brahms zaubert die Nordwestdeutsche Philharmonie quasi nebenbei noch aus dem Hut, wenn sich Holz- und Blechbläser mit samtener Geschmeidigkeit über die Streicher legen. Für die vielen Feinheiten des Abends stehen beispielsweise die Harfen, die man nicht nur sieht, sondern auch hört. Die unausweichliche Tragik des Todes malt im zweiten Satz die Pauke mit unerbittlicher Dramatik aus. Auch über die von Schmutte ganz gezielt eingesetzten Forte-Ausbrüche kann sich der Chor mühelos hinweg setzen. Freilich ist es aber noch beeindruckender, wie sich die Stimmen im Piano bewegen. Von der oft zitierten westfälischen Schwerfälligkeit – sprachlich wie auch im Ausdruck – ist nichts zu hören. Dass ein paar Endkonsonanten mal unter den Tisch fallen, zeigt, dass man nach „Fehlern“ suchen müsste. Angesichts des homogenen Klanges verbietet es sich eigentlich eine Stimme hervorzuheben. Doch es muss einfach gesagt werden, dass ein solcher Chor-Sopran, der sich ohne klirrende Schärfen und Tremolo-Schwingungen in den oberen Lagen bewegt, keine Selbstverständlichkeit ist.

Auch die beiden Solisten profitieren von der Grundstimmung. Bariton Dominik Wörner kann seine raumgreifende Stimme vor allem von der lyrischen Seite zeigen, während er über die Vergänglichkeit philosophiert. Im sechsten Satz ruft er machtvoll die letzte Posaune herbei und der Chor triumphiert wie entfesselt über den Tod: „Wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?“ Der fünfte Satz im Deutschen Requiem, Ihr habt nun Traurigkeit, gerät oftmals zur Zitterpartie mit dem Solo-Sopran oder zum sentimentalen Kitsch. An diesem Abend wird er zum Höhepunkt: Sarah Wegener bewegt sich mit traumwandlerischer Sicherheit durch die berührenden Phrasen und leuchtet dabei hoffnungsvoll wie ein Leuchtturm im Nebel der Trauer. Wie sich Chor und Orchester ganz emphatisch an ihre Stimme anschmiegen, ist mit Worten nicht mehr zu beschreiben. Emotionen und Technik vereinen sich zur Kunst für den Augenblick.

Nach diesem Satz hört man fast, wie ein kollektives Schlucken durch den Raum geht. So ein Publikum könnte man als einen Traum für jeden Künstler bezeichnen. Die Handys sind aus, gehustet wird – wenn auch vernehmlich – zwischen den Sätzen, weder Programmhefte noch Geflüster stören die Stimmung. Man lässt sich von dem Abend ergreifen. Pfarrer Martin Sinnhuber leitet ihn mit einer kurzen, aber nachdenklich stimmenden Ansprache ein, in der er auf die aktuelle Debatte zur Sterbehilfe aufmerksam macht. Wenn der letzte Akkord verklingt, bleibt die Stille zurück. Hätte sich Michael Schmutte nicht irgendwann bewegt, man säße wohl noch am nächsten Morgen dort. Der Applaus ist dankbar und unübertrieben kräftig, die stehende Ovation nicht plakativ, sondern demonstrativ. An diesem Abend wird die Bedeutung von Musik angesichts des Todes deutlicher denn je. Sie spendet einen leisen Trost – und das ist sehr viel wert.

Christoph Broermann