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Fakten zur Aufführung 

OTELLO
(Giuseppe Verdi)
17. Oktober 2015

Live-Übertragung aus der Metropolitan Opera New York

Cineplex Münster


Points of Honor                      

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Geburtstag mit Schattenseiten

Seit zehn Jahren sind die Live-Übertragungen aus der Metropolitan Opera ein fester Bestandteil der Kulturwelt. Was als Experiment begann, ist ein weltweiter Export geworden. Für Met-Manager Peter Gelb ist das nicht nur wegen des Prestiges wichtig. Stetig Cent für Cent steigende Eintrittspreise zeigen, dass das Medienformat die finanziell angeschlagene Met mit unterstützen muss. Im Gegenzug müsste allerdings auch die technische Qualität der Übertragungen steigen, was nicht der Fall ist. Aufnahmeleiter Gary Halvorson und sein Team, das ohne Zweifel Schwerstarbeit leistet, werden in einem viel zu langen Pausenfüller-Beitrag ordentlich beweihräuchert, aber es zählt, was letztendlich in den Kinos ankommt. Da geht ein endlich ordentlich choreographierter Schwertkampf in den hektischen Bildschnitten völlig unter. Kamerawechsel bis zu alle 4 Sekunden, Blinzeln verboten. Immerhin bei Sonya Yoncheva erlaubt man sich auch mal Einstellungen über 20 Sekunden. Schließlich kann man so ungeniert auf das Dekolleté der bildhübschen Sopranistin draufhalten. Der Ton ist so seltsam abgemischt, dass es sich anhört, als würden die Sänger gegen ein viel zu leises Orchester anbrüllen, was sich erst zum vierten Akt bessert. Doch dazu später.

Ins Gespräch kommen die Kinoübertragungen derzeit durch political correctness. In der letzten Saison strich Gelb die Übertragung der Oper The Death of Klinghoffer, in der ein Amerikaner jüdischer Konfession von Terroristen auf einem Kreuzfahrtschiff ermordet wird. Der Grund: Die Anti-Defamtion League befürchtet antisemitische Ressentiments, auch wenn die Oper selbst nicht als antisemitisch bezeichnet werden könne. Übrigens wird die Oper nur im Kino nicht gezeigt, in New York bleibt sie auf dem Spielplan. Vor der aktuellen Saison verkündete Gelb voller Stolz, dass man Verdis Otello zum ersten Mal ohne den Mohren spielen werde. Mal davon abgesehen, dass die Metropolitan Opera in dieser Angelegenheit eh dem Zeitgeist der Bühne hinterher hinkt, ist die Frage, wie sinnvoll diese Änderung ist und wie sehr man auf ihr öffentlich rumreiten muss. Auf die Pigmentierung der Hautfarbe hinzuweisen, lenkt doch die Blicke wieder in die völlig falsche Richtung. Außerdem geht ja das Brisante von Shakespeares Vorlage und Boitos Libretto verloren: Eine weiße Dame liebt einen dunkelhäutigen Feldherren, der der – Achtung Ironie – so zivilisierten Republik Venedig gute Dienste leistet, bis er sie, durch eine finstere Intrige fehlgeleitet, wild tötet. Zu oft spielt Boitos geniales Libretto mit diesem kontrastreichen Hintergrund, zu oft singt man von dem moro. Selbst Otello fragt sich voller Selbstzweifel, ob seine Hautfarbe Schuld an Desdemonas angeblicher Untreue sein kann. Die an sich ja hilfreichen Untertitel auf der Leinwand werden übrigens nicht angepasst. Fazit zu diesem Thema: Die Hautfarbe der Titelfigur sollte nicht im Mittelpunkt stehen. Schließlich geht es ja um die Frage, wie sich ein zivilisierter Mensch in so eine wahnhafte Eifersucht rein manövrieren lässt.

Vielleicht hätte Gelb mehr ein Auge auf die Umsetzung auf der Bühne haben sollen. Denn die Neuinszenierung von Bartlett Sher zeigt sich auf andere Weise plump. So darf Desdemona in den ersten drei Minuten die sturmerfüllte Bühne im plakativ weißen Kleid betreten. Immerhin hat man bei der Kinoübertragung darauf verzichtet, die Sängerin durch eine schlecht sitzende blonde Perücke, mit der sie noch auf Videos aus der Probenphase zu sehen ist, vollends in ein Klischee zu verwandeln. Der Chor steht in diesem schönen Blitzszenario rum wie bestellt und nicht abgeholt. Beim Freudengesang auf den siegreichen Feldherren verschiebt man sich grüppchenweise. Auch wenn Sher im dritten Akt sehr schön ausmalt, wie dieser demontierte Feldherr die ganze Gesellschaft im Schach hält, bleibt die ganz Aufführung seltsam blass und beliebig. Das Bühnenbild von Es Devlin mit seinen geräuschvollen Palastteilen aus Acryl bietet immerhin schnelle, teils aber auch unnötige Verwandlungen. Richtig kinotauglich sind immerhin die Meeres-Projektionen von Luke Halls.

Richtig intensiv wird nur das Kammerspiel im vierten Akt. Das liegt vor allem an der überragenden Sonya Yoncheva, die so schlicht und schmerzlich von dieser Welt Abschied nimmt. Ehrlich und authentisch spielt und singt sie die Rolle und begeht so nicht den Fehler, sich in eine willenlose Person zu verwandeln. Aleksandrs Antonenko singt Zweifel und Wut des Otello beeindruckend aus. Etwas angeschlagen wirkt er, ebenso auch wie Željko Lučić als Jago, was das erprobte Zusammenspiel der beiden aber nicht schmälert. Die Einflüsterungen durch Lučić machen die perfide Intrige erst richtig glaubhaft. Eine Luxusbesetzung als Lodovico ist Günther Groissböck, der endlich mal versucht, dem Ausbruch Otellos autoritär zu begegnen. Nicht ganz auf diesem Niveau ist Dimitri Pittas als angestrengt klingender Cassio. Rum stehen und singen ist für den von Donald Palumbo einstudierten Chor der Met nun gar kein Problem.

Ob es am Ton liegt oder tatsächlich an der Interpretation von Yannik Nézet-Séguin liegt – jedenfalls hört man in den ersten drei Akten nicht die dynamische Finesse, die man von dem Dirigenten gewohnt ist. Auch das Orchester spielt nicht völlig auf dem Punkt. Doch der letzte Akt versöhnt. Plötzlich ist der Klang aus dem Orchestergraben da. Spannende Achtelnoten, nervöse Triller, packende Emotionen – das, was vorher verschollen galt, überwältigt nun die Hörer.

Das Publikum in New York jedenfalls zeigt, dass es wohl ein technischer Lapsus gewesen sein muss. Denn es bejubelt Dirigenten und Musiker gleichermaßen und dennoch differenzierend. Die Yoncheva wird zu Recht gefeiert. In Münster das Cineplex gerade mal halbvoll – für einen Otello eher ungewöhnlich und enttäuschend. Sollten zehn Aufführungen, davon drei in einem Monat, einfach zu viel sein, zumal das Angebot für die Verbraucher steigt und steigt? Wenn dann auch das Ergebnis auf der Leinwand nicht ganz stimmig ist, könnte es ganz schnell eng werden. Lieber vielleicht ein paar Aufführungen weniger und dafür besser in Ton und Bild sowie interessanter in der Umsetzung. Die zehnte Saison der Live-Übertragungen könnte für die Zukunft dieses Formats zukunftsweisend werden.

Christoph Broermann



Fotos: Ken Howard