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Fakten zur Aufführung 

MACBETH
(Giuseppe Verdi)
11. Oktober 2014

Live-Übertragung aus der Metropolitan Opera New York

Cineplex Münster


Points of Honor                      

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Sängerfest mit wackelnden Handtaschen

Verdis Macbeth besitzt eh einen unheimlichen Ruf. Auch die Metropolitan Opera kann davon ein Lied singen, denn bei Aufführungen des Macbeth ging schon einiges in die Hose. Unrühmlicher Höhepunkt: In den 1980-er Jahren brachte sich ein Zuschauer während einer Vorstellung um, um das Haus als Geist heimsuchen zu können wie Banquo seinen Mörder. Auch vor der Live-Übertragung ins Münstersche Cineplex macht der Fluch nicht halt und schickt ein heftiges Gewitter über die Stadt. Die Folge: Zu Beginn des zweiten Aktes wackeln zunächst Ton und Bild, dann verschwindet beides und lässt stattdessen auf der ansonsten schwarzen Leinwand die Meldung „Kein Signal“ zurück – eine Premiere in sechs Jahren Live-Übertragungen. Da könnte man glatt abergläubisch werden.

Auf das Bild kann man bei dieser Übertragung noch am ehesten verzichten. Nicht nur wegen der so ungelenken und eckigen Kameraführung, bei der man wieder den Eindruck bekommt, dass sich das Aufzeichnungsteam in der Cafeteria auf seine Arbeit vorbereitet hat. Manchmal blitzt dann doch durch, dass es Absprachen gegeben haben muss. Beim Hexenritual müssen drei Kinder etwas Essen ausspucken. Zweimal schafft es die Kamera sogar, rechtzeitig die Einstellung zu ändern, bevor man die Essensreste auf der Leinwand sieht. Beim dritten Mal geht es natürlich schief. Die Inszenierung von Adrian Noble stand schon in der ersten Übertragungs-Saison 2007 auf dem Spielplan und ist nicht unbedingt besser geworden. In der behutsam modernisierten Version des Stoffes dürfen dutzende lebende Klischees von Kaffeetanten, Hausfrauen und Sekretärinnen in ihren von innen leuchtenden Handtaschen die Zukunft beobachten und rhythmisch hin und her wackeln. Den Chordamen scheint es – zum Glück – Spaß zu machen, der Zuschauer übt sich in Fremdschämen. Völlig daneben ist dann der Endkampf, in dem sich zwei Mini-Heere mit Gewehren gegenüber stehen. Doch die Munition scheint ihnen ausgegangen zu sein, und daher fangen sie an, sich mit den Schusswaffen zu schlagen. Bühnenbild und Kostüme von Marc Thompson sind nicht unbedingt schön, was aber zur Oper an sich passt. Die Allgemeingültigkeit von Guerilla-Uniformen und Smokings demonstriert gesellschaftlichen Aufstieg und moralischen Abstieg. Die Kontraste zwischen zupackender Mordlust der Handlanger und unbeteiligter Arroganz am Hofe gelingt gut. Die grau-schwarze Bühne ist mit abgestorbenem Wald umrandet. Einige Säulen und Requisiten – auf Stühlen und Betten singt es sich besonders ausdrucksstark – suggerieren Räume. Immerhin gibt es auch einige sehr atmosphärische Momente. Etwa wenn sich Banquos königliche Blutlinie durch den grünen Laserhimmel hinabsenkt, oder wenn die Hexen Lady Macbeth einen Weg aus Stühlen bauen, über den sie schlafwandeln kann.

Als wesentlich wichtiger erweist sich an diesem Abend der Ton, denn die Metropolitan Opera präsentiert eine individuelle Besetzung. Im Mittelpunkt des Interesses steht Anna Netrebko als Lady Macbeth. Die Herausforderung merkt man ihr noch an. Freilich stehen der versierten Künstlerin alle Töne zur Verfügung, wenngleich sie die Stimme teils sehr druckvoll führt. Im Gegensatz zu früheren Rollen wirkt ihre Lady aber noch sehr gespielt. Das blonde Gift, was hier auf der Bühne agiert, kauft man ihr noch nicht so recht ab. Einige Blicke, die sie in die Kamera wirft, zeigen, dass sie auf dem richtigen Weg ist: Sie gehen unter die Haut. Aber wie so oft bei der Netrebko, stimmt letztlich das Gesamtergebnis. Im Vergleich mit Željko Lučić wird deutlich, was ihr in dieser schwierigen Rolle besonders fehlt: Erfahrung. Lučić war schon 2007 im Kino der Titelheld und hat sich spür- und hörbar weiter entwickelt. So viele Feinheiten hört man aus seinem Bariton mit dem melancholischen Timbre heraus. Diese Interpretation ist spannend bis zur letzten Note. Stark! Das Sängerfest wird vervollständigt durch Joseph Calleja als berührender Macduff, der sehr genau mitspielt und reagiert. Und natürlich durch René Pape, der in der kleinen, aber dramaturgisch wichtigen Rolle des Banquo gnadenlos gut ist.

Der Chor der Met mimt spielfreudig und geschlossen die unterschiedlichen Typen: Hexen, Soldaten, Flüchtlinge und Adelige – auch vokal kommt das in der Einstudierung von Donald Palumbo gut zur Geltung.

Überraschend ausdrucksstark und erzählfreudig ist das Dirigat von Fabio Luisi, der das Orchester der Met schlank und dramatisch zugleich aufspielen lässt. Nicht immer sauber, aber mit einem guten Gespür für die Sänger werden die Musiker ihrer Aufgabe gerecht. Das Publikum in New York liegt der Netrebko zu Füßen und bejubelt ihre Leistung frenetisch, aber auch die anderen Sänger bekommen sehr großen und lauten Beifall. In Münster fällt bei der Störung auf, wie diszipliniert die Zuschauer reagieren. Da wird kaum geschimpft, sondern das Unvermeidliche ruhig hingenommen. Respekt!

Christoph Broermann



Fotos: Marty Sohl