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Fakten zur Aufführung 

CARMEN
(George Bizet)
6. September 2014
(Premiere)

Theater Münster


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Bauklötze im Sandkasten

Die letzte Saison in Münster war ein Paradebeispiel für abwechslungsreiches, unterhaltsames Theater. Auch der neue Spielplan bewegt sich nicht nur auf ausgetretenen Pfaden: Die verkaufte Braut, Joseph Süß, Anything Goes und Ariodante machen neugierig. Eingerahmt werden diese Werke durch zwei berühmte Opern und ergänzt durch die Wiederaufnahme der Zauberflöte. Den Abschluss der Saison macht La Bohème und den Auftakt eine der meist gespieltesten Opern überhaupt: Carmen. Verbunden mit den positiven Erfahrungen der letzten der Spielzeit macht sich in der Pause der Premiere etwas Ernüchterung breit.

Besonders als die zahlreichen Stühle leidenschaftlich durch Lilas Pastias Schänke geschubst werden, wähnt man sich wieder in der Intendanz von Peters-Vorgänger Wolfgang Quetes, wo das Austoben am Mobiliar auch zu den sinnlosen Höhepunkten einer Inszenierung gehörte. Gregor Köhls Regie bringt daher zunächst unangenehme Erinnerungen mit sich. Da laufen die Chorauftritte so roboterhaft gesteuert ab, dass weder spanisches Flair noch Leidenschaft aufkommen will. Die Rodeo-Einlagen im zweiten Akt, wo Frauen auf dem Rücken der Männer reiten, wirken so stumpf, dass es schon fast peinlich ist. Und die anatomisch höchst fragwürdige Sex-Praktik am linken Bühnenrand soll bestimmt auch irgendetwas aussagen – aber was nur? Verständlich ist immerhin der Moment, wo Michaela und Jose aus Bauklötzchen ihre utopische Zukunft in den Sandkasten vor der schrägen Spielfläche bauen – das macht diesen kitschig-süßen Augenblick aber auch nicht besser. Die Kostüme von Ursina Zürcher sind zwar farbenfroh, aber trotzdem nicht immer hübsch anzusehen.

Im Ansatz erkennt man, was Köhl und sein Bühnenbildner Martin Warth erzählen möchten. Carmen ist eine Gefangene in der schmucklosen Kulisse – eine Mischung aus Arena, Gefängnis und Jalousien. In einer männerdominierten Welt ist Don José der Einzige, der sie nicht wie ein Stück Fleisch behandelt und ihr die Hoffnung auf eine feste und befreiende Beziehung gibt. Wirklich ausgearbeitet wird dieser Ansatz im dritten und vierten Akt – und hier wirklich gelungen. Da nutzt Köhl die jeweiligen Vorspiele, um Carmens Beziehungen zu José und zu Escamillo zu beleuchten. Das Karten-Terzett im dritten Akt ist ebenso emotional, weil José die Todesvorhersage mitbekommt und seine Angebetete noch einmal erschüttert und zärtlich in den Arm nimmt. Dass die von der Männerwelt völlig verstörte und abgeschreckte Carmen dem José gleich dreimal ins Messer rennt, ist leider dann wieder völlig übertrieben.

Während die szenische Seite etwas durchwachsen ist, präsentiert sich die musikalische Erarbeitung in der Premiere souverän bis sehr gut. Dementsprechend gibt es für das Regieteam freundlichen, aber auch neutralen Applaus, während Münsters Ensemble gefeiert wird. GMD Fabrizio Ventura wird schon nach der Pause mit Bravos begrüßt und am Ende mit seinem Sinfonieorchester bejubelt. Sicherlich können noch in Punkte Lautstärke und Timing ein paar Kleinigkeiten verbessert werden, aber insgesamt überzeugt Venturas Interpretation, die an Schwung und Gefühl nichts vermissen lässt. Die Transparenz in den Stimmen gelingt so gut, dass man sogar einige fehlgaloppierende Achtel heraushört. Auch die aufbrausende Dramatik weiß das Orchester beeindruckend umzusetzen. Den von Inna Batyuk einstudierten Chor und Extrachor hat man in den Höhen schon etwas angenehmer erlebt. Ansonsten singen die Chöre wie üblich sehr engagiert, bleiben schauspielerisch aber etwas schablonenhaft. Der Theaterkinderchor Gymnasium Paulinum, der von Rita Stork-Herbst und Jörg Wensierski vorbereitet wurde, verdient die Bravorufe nicht nur wegen der typischen Niedlichkeit, sondern vor allem wegen seines präzisen und formschönen Gesanges.

Dankbar registriert man, dass Münsters Ensemble eine Carmen mit nur einem Gast für die Titelpartie überzeugend abliefern kann. Zugegeben hat man Juan Fernando Gutiérrez schon besser erlebt als an diesem Abend als Morales. Plamen Hidjov ist ein lüsterner Zuniga. Youn-Seong Shim und der agile Philippe Clark Hall bringen als Schmuggler viel Schwung mit. Lisa Wedekind ist als Mercédès fast etwas unterfordert, während der an sich guten Eva Bauchmüller etwas Leuchtkraft für die Höhen der Frasquita fehlt. Bei Gregor Dalal mangelt es wiederum leicht am französischen Feingefühl, doch sein Escamillo strotzt nur so von Selbstbewusstsein und Machogehabe. Das berühmte Couplet mit der breiten Tessitura bereitet ihm kaum Probleme. Sara Rossi Daldoss ist von der Regie zur Klischee-Michaela mit Zöpfchen und Röckchen ausstaffiert und übersingt dieses Handicap mit schöner Legatokultur und Herzlichkeit. Großartig, wie sich Adrian Xhema als Don José präsentiert. Er mag nicht der beste Schauspieler sein, aber ihm steht sowohl die lyrische als auch die dramatische Seite der Partie zur Verfügung. Er hat es nicht nötig, alles in einer Lautstärke durchzusingen, sondern weiß seine Stimme im Forte wie im Piano sehr kontrolliert und unforciert einzusetzen. Tara Venditti ist nicht nur optisch eine attraktive Carmen, sondern weiß die Titelpartie mit den vielen Zwischentönen auszufüllen. Ihr angenehmer Mezzosopran ist in allen Lagen bruchlos geführt. Vielleicht ist ihre Carmen sogar ein bisschen zu gut, zu kontrolliert gesungen, denn es fehlt das letzte Quäntchen Leidenschaft, dass sie zu jener legendären femme fatale erhebt.

Das Publikum im Theater Münster ist von der musikalischen Seite hörbar angetan, verzichtet aber auf die fast üblichen standing ovations und applaudiert dafür lieber etwas länger. Wieder einmal darf man gespannt sein, wie Münsters Saison weiter geht. Positive Hoffnungen sind trotz eines nicht ganz geglückten Startes mehr als berechtigt.

Christoph Broermann

Fotos: Oliver Berg