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Fakten zur Aufführung 

LA BOHÈME
(Giacomo Puccini)
16. Mai 2015
(Premiere)

Theater Münster


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Endstation Armut

Sie sind Aussteiger aus der Gesellschaft: Die Bohémiens, die Vorbild für Puccinis La Bohème standen. Doch im Vergleich zu der Bewegung Ende des 19. Jahrhunderts, deren Anhänger sich zu diesem Schritt bewusst entschieden haben, bleibt fraglich, ob das auch für die Künstler in der neuen Inszenierung vom Theater Münster gilt. Regisseur Pavel Fieber und Ausstatter Christian Floeren verlegen die Handlung in das Reich der Obdachlosen, in die U-Bahn-Tunnel von Paris. An diesem trostlosen Ort haucht Mimì ihr Leben aus und wird dabei von einer Gruppe Touristen fotografiert. An sich ja ein realitätsnaher Einfall, aber hier wirkt er einfach platt und überzogen, weil die drei Akte zuvor nichts in dieser Hinsicht passiert ist.

Optisch dominiert wird der Abend durch das Bühnenbild von Floeren, der es schafft, die vergleichsweise kleine Bühne sowohl in das Viertel der Armut, als auch in eine Art Quartier Latin zu verwandeln. In den Kostümen prallen die sozialen Welten aufeinander. Obdachlose, Abfallentsorger – natürlich von der lokalen Abfall-Wirtschaft Münster, Security, Polizei und die sogenannte Oberschicht. Ob die Polizei geduldet hätte, dass sich die obdachlosen Bohémiens an den Tüten der Touristen vergreifen, ist allerdings mehr als fraglich.

Regisseur Fieber ist sichtlich mehr an den beiden Beziehungen interessiert. Marcello und Musetta streiten sich heftig und leidenschaftlich und finden doch immer wieder zueinander. Mimì, gesundheitlich angeschlagen durch ein angedeutetes Alkoholproblem, sucht die Nähe Rodolfos im Kalkül. In der Personenführung bleibt Fieber ansonsten sehr oberflächlich. Oftmals stimmt das Timing nicht mit dem Text überein, wenn Aktionen auf der Bühne stattfinden, bevor sie von den Akteuren beschlossen werden.

Doch insgesamt tut die szenische Arbeit keinem weh und fügt sich mit den musikalischen Emotionen aus dem Orchestergraben nahtlos zusammen. Hier schöpft GMD Fabrizio Ventura aus dem Vollen. Das nicht immer sauber aufspielende Sinfonieorchester badet unter seiner Leitung in der lautmalerischen Partitur. Manchmal allerdings auch eine Spur zu laut. Schwächlich wirkt die Musik zumindest nie. Sehr schön ist zu hören, wie feine Zwischenstimmen auf süffige Melodien treffen. Im zweiten Akt müssen aber dringend die Einsätze besser überwacht werden. Hier sind die zugegeben schwierigen Übergänge noch sehr undeutlich. Chor und Extrachor, von Inna Batyuk einstudiert, gehen voller Elan an ihre Aufgabe heran. Rita Storck-Herbst hat den aufmerksamen Kinderchor der Westfälischen Schule vorbereitet, der den Weihnachtsabend mit strahlenden Augen und frecher Neugierde so richtig authentisch macht.

Wie immer in den letzten Aufführungen in Münster, lebt die Oper von der Ensembleleistung: Hee-Sung Yoon, Frank Göbel und Jaean Koo treten souverän in den Randfiguren in Erscheinung. Plamen Hidjov sorgt als Benoît und Alcindoro für Komik. Lukas Schmids Colline ist ein tapsiger Bär, stimmlich sehr präsent, aber auch mit einer melancholischen Ader: Wenn er sich von seinem Mantel verabschiedet, was unter diesen Umständen besonders traurig ist, spürt der Hörer den Kloß im Hals. Bariton Juan Fernando Gutiérrez bringt als Schaunard richtig viel Schwung auf die Bühne. Henrike Jacob entschädigt mit einem guten Walzer der Musette für einen völlig verkorksten Einstieg im zweiten Akt. Dass ihr die Rolle auch auf halsbrecherisch hohen Absätzen gut passen würde, war von der quirligen Darstellerin zu erwarten. Der sympathische Gregor Dalal kehrt mit robustem Bariton einen selbstsicheren, kaum zu erschütternden Marcello heraus. Sara Rossi Daldoss lässt als Mimì etwas die sensible Höhe vermissen. Ihre saubere Aussprache und ihr Gespür für die lyrische Wärme der Rolle lassen die Zuhörer das tragische Ende mitfühlen. Wie immer ist Adrian Xhema, der von Herodes über Cavaradossi bis Benvenuto Cellini nie enttäuscht hat, eine sichere Bank. Mag sein Rodolfo auch etwas kräftig für heutige Hörgewohnheiten sein, lässt er von Höhenglanz bis hin zu Parlando-Qualitäten nichts vermissen.

Puccinis Oper lockt ein buntgemischtes Publikum in das Haus. Die mitsummende Großmutter ist genauso vertreten wie der emotionsgefeite Ehemann samt seiner tiefberührten Ehefrau. Am Ende sind aber alle im begeisterten Applaus für die Musiker vereint. Die zahlreichen Pfiffe und Bravo-Rufe sind dabei mehr Lob als die mittlerweile fast obligatorischen standing ovations bei einer Premiere. Für das Regieteam ist der völlig ausdruckslose, beiläufige Beifall eine Höchststrafe.

Christoph Broermann

 

Fotos: Oliver Berg