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Fakten zur Aufführung 

SONNAMBULA
(Vincenzo Bellini)
8. Oktober 2015
(Premiere)

Staatstheater am Gärtnerplatz München, Prinzregententheater


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Traumwandeln im Tableau

Jedem Saisonstart wohnt ein Zauber inne. Ausgeruht und bereit zu neuen Taten kehren Sänger und Musiker aus den Theaterferien zurück. Dem Haus gebührt mit der Eröffnungspremiere etwas mehr Aufmerksamkeit, das Publikum freut sich über neue und frische Töne. Im Jubiläumsjahr des Gärtnerplatztheaters trübt die verspätete Rückkehr ins Stammhaus etwas die Freude. 150 Jahre des zweiten großen Musiktempels der Stadt müssen daher weiterhin in Ausweichspielstätten begangen werden. Für die erste von zwei großen Opernproduktionen als Initialzündung der Festlichkeiten wurde daher erneut das Prinzregententheater bespielt. Der Hausorientierung gemäß entschied man sich für leichte Oper mit Gehalt. Michael Sturminger liefert dabei eine gefällige und ästhetisch hochwertige Sonnambula ohne Experimente.

Symptomatisch für den Abend das geschickt ausgelegte Bühnenkonzept: Projektionen auf sich hebenden und schwebenden Schleiern werfen Landschaftsidyll auf die Spielfläche. Die Animationen von Meike Ebert und Raphael Kurig spielen mit Turnerszenerien, Friedrichtableaus und erzeugen gerade in der Jagdszene eine ätherische Naturwirkung. Darin bewegt sich leichtfüßig ein reduziertes Interieur des sündigen Schlafzimmers, das transparent in der Landschaft und vor den Augen der neugierigen Dorfbewohner vor dem Fluchtpunkt wandert. Die Dörfler sind von Renate Martin und Andreas Dornhauser, die sich auch für die Bühne verantwortlich zeigen, klassisch und glücklicherweise wenig krachledern gekleidet. Man spielt die Schweiz, ohne in der Ausstattung ins Klischee abzudriften. Ebenso die Figurenregie: Sturminger lässt die Feiergemeinde zum Hochzeitsfoto antreten, die verschmähte Lisa agiert als grimmiges Lichtdouble für die barfüßige wie trampelige Amina. Elvino schmachtet um des Schmachtens Willen. Schließlich ist er Tenor. Die brave Komik liegt Sturminger vor allem im zweiten Teil, der nie zum Klamauk abdriftet. Dafür nimmt er die Liebeshandlung von Romanis Schwank gerade am Anfang fast ein wenig zu ernst. Ausführlich darf geliebäugelt und geschlafwandelt werden, verwirrenderweise bis zum Applaus. Auch das schwebende Bett im Sternenhimmel hätte man sich sparen können, doch diese kleinen Überzogenheiten schmälern die griffige, leichtfüßige Inszenierung nicht.

Das liegt freilich auch an der Besetzung. Der Gastbetrieb kommt dem Haus auch hier zu Gute und der Abstand zur Bayerischen Staatsoper verringert sich durch temporär gut besetzte Kräfte. Jennifer O’Loughlin darf sich nach Semele und Konstanze erneut eine Glanzpartie erringen. Die künftige Ensemblekraft des Hauses wird sukzessive zum Sopranliebling aufgebaut, leistungstechnisch fällt ihr das nicht schwer. Die Stimme hat erneut an Wärme und Fülle gewonnen. Nicht ohne Anstrengung, doch markant gelingen ihr Spitzen und schön gestaltete Schnörkel. Wenig eitel verkörpert sie eine ungalante Amina, die im grottenhässlichen Brautkleid durch die Handlung schlummert. Spielerisch ebenfalls zu steif, erfreut Elvino Arthur Espiritu mit dem starken Belcanto-Potenzial seines frischen und jugendlichen Tenors. Der steigert sich in den sicheren Höhen und schreit förmlich wie sprichwörtlich nach Nemorino, bald vielleicht auch nach Tonio. Mit O’Loughlin teilt er sich leider nur stimmliche Harmonie. Vom Publikum geliebter und ein spielerisch erhabener Höhepunkt ist die Lisa von Maria Nazarova. Die Rollenlust quillt in ihrer Verkörperung, gerade in der Brautparodie über. Der sichere Sopran füllt die Rolle der schlampigen Wirtin ebenso wie ihre stimmliches Potenzial zwischen leiser Tragik und polternder Amazone durch quirlige Koloratur besticht. Maxim Kuzmin-Karavaev sieht man die sichtliche Freude der komponierten Altherrenfantasie des doppelten Stelldicheins samt Schlafwandlerin und Wirtin sichtbar an. Seine geschmeidige Darstellung des Grafen stützt er mit sattem und erstaunlich hoch aufsteigendem Bass, der vielleicht aus seinem Liedrepertoire erwachsenden Sinn für die lyrische Arie beweist.

Neben Belcanto-Träumen gilt die Sonnambula als bestechende Choroper. Der verstärkte und ebenfalls ausgeruhte Gärtnerchor neuerlich unter Felix Meybier nimmt die Herausforderung nach leichterer Kost in den letzten Monaten dankbar an.

Der Gespensterchor ist eine Freude, die Jagdszene vollmundig und das sehr spielfreudige Ensemble folgt seinem GMD präzise und schwungvoll. Marco Comin am Pult braucht für Bellini keine Nachhilfe. Die ersten Takte der anspruchsvollen Ouvertüre bereits schwingen mit passendem Verve. Die Sänger unterstützend, lässt er sich Zeit, manchmal fehlen die Anschlüsse, doch Verwandlung und Arien klingen unter seiner Hand galant und grazil. Schwer kann man sich hier der überwältigenden Kraft der Musik Bellinis entziehen. Denn auch das Orchester klingt erfrischt und ausgeruht.

Da verwundert es nicht, dass das ausgehungerte Premierenpublikum über alle Maßen applausfreudig auf Bellinis Akzente reagiert, sich aber genügend Kraft fürs Finale aufspart und Regie wie Sänger und Dirigat mit Begeisterung überschüttet. Den hat dieser zauberhafte, ausgeschlafene Saisonstart auch verdient.

Andreas M. Bräu

 

Fotos:
Christian Zach, Thomas Dashuber