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Fakten zur Aufführung 

DIE SOLDATEN
(Bernd Alois Zimmermann)
28. Mai 2014
(Premiere am 25. Mai 2014)

Bayerische Staatsoper München


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Das Grauen und der Klang

Der Schauspielmann übernimmt erneut die Schauspieloper. Nach seinem gefeierten Wozzeck, auch eine textnahe Vertonung von Dramentext, wurde erneut Andreas Kriegenburg mit der Regie, diesmal für Zimmermanns sperriges Werk, betraut. Mit seinem großartigen Münchner Ring im Rücken, der in einigen Jahre höher geachtet sein wird und zum letztjährigen Jubiläum sicherlich die lyrischste und ästhetischste Inszenierung bot, stemmt der auch für seine Schauspielarbeiten gefeierte Regiekünstler nun zusammen mit Generalmusikdirektor Petrenko das lange Zeit für nicht aufführbar gehaltene Opus magnum Zimmermanns.

Dabei geht er in die Vollen. Zur dröhnenden Ouvertüre kommt dem Publikum die massige Bühnenbildskulptur eines metallenen Votivkreuzes entgegen. In den Kreuzzellen wird geschlagen, vergewaltigt, geblutet. Diese harte und brutale Lesart von Lenz‘ Soldatenmetapher zieht sich durch den Abend. Kriegenburg schont Darsteller und Publikum nicht, ebenso wenig wie das die grobkantige Musik Zimmermanns will. Der Regisseur macht aus den Fetzenszenen Zerfetzmomente und schildert eindrücklich den Abstieg eines Mädchens durch ein System aus frauenverachtenden, sexualisierten Militärs, denen er das gleichförmige Gesicht des deutschen Faschismus gibt. Kriegenburg zeigt anhand des Symbols der Frau die Gewalttätigkeit der Macht, die Lust an der Erniedrigung und die Tragödie der Lust. Bedrückend, sich steigernd und mit starken, schwer zu ertragenden Momenten, die im Gedächtnis bleiben. Da tanzt die Sopranistin halbnackt in einem Käfig, zwischen Ekstase und Unsicherheit hin und hergerissen, während ihre zukünftigen Peiniger an den Scheiben ihres Geschlechtergefängnisses hängen. Das Mädchen wird als Soldatenhure weiter- und nach unten durchgereicht. Apathisch reagiert sie zunächst, bis sie verzweifelt auf der Straße landet, vom Vater unerkannt, und ihre Verzweiflung in einem allgemeinen Gewühl aus Gewalt, Blut und gleichklingendem Drill endet. Zum starken Finale blecken Täter und Opfer die Zähne ins Publikum. Dazu dröhnen Zimmermanns starke Rhythmen zusammen mit Kriegsgetöse. Kriegenburg endet hier anders als in seinem Ring in einem Gipfel des Pessimismus, in der menschlichen wie geschichtlichen Katastrophe. Mit Schauspielstatisterie, deutlichen Bildern und dem Hang zu verstörender Klarheit ist das neben dem vielschichtigeren Wozzeck und dem lyrischeren Ring nicht Kriegenburgs beste Arbeit am Haus, jedoch der Beweis, wie tief man in Konflikten und Figuren schürfen kann, wenn man eine ästhetische Vision hat.

Stilbildend für sein Konzept aus Parallelmontagen ist das eindrucksvolle, fahrbare Szenenkreuz von Harald B. Thor. Es teilt die Bühne in zwei Seiten, kann durch kleine Zimmer bespielt werden und auf verschiedenen Ebenen auf die Zuschauer zukommen. Das Oben gegen das Unten, das Gefängnis der Stände und das Voyeuristische einer diffamierenden Gesellschaft wurde selten so sinnig vorgeführt. Zudem entwickeln Kriegenburg und Thor damit eine ästhetische Handschrift auf hohem Niveau. Ebenso wie die verzerrenden Kostüme und die Maske von Andrea Schraad. Schwer zu unterscheiden sind die Einheitsuniformtäter, die sich seriell versündigen. Mit Anleihen aus dem Nationalsozialismus und fratzenartigen Gesichtern tritt ein verstörendes Panoptikum auf die Szene, das dem überzeichnenden, alptraumhaften Figurenkonzept Kriegenburgs genau entspricht.

Doch diese Personenregie will gefüllt werden. Die Auslieferung und gleichzeitige darstellerische Größe von Barbara Hannigan macht dabei Staunen. Die zarte, zerbrechliche Person lässt den Zuschauer physischen Anteil an ihrem Schmerz und ihrer Demütigung nehmen. Mit ihrem nuancenreichen Sopran geht sie dabei ins Extreme. So kontrolliert ihre Stimme trotz der massiven Belastung der Darstellung klingt, so uneingeschränkt fällt, kämpft, tanzt und rührt Hannigan mit einer szenischen Leistung, die selten so intensiv auf einer Opernbühne gesehen war. Zart und zerstört liegt sie, einem Kind gleich, in den Armen ihrer Schwester und singt, sich selbst noch Hoffnung machend, nach der körperlichen Tortur vom möglichen Glück mit dem längst sich abwendenden Offizier. Noch so eine Szene, die unangenehm ins Gedächtnis eingefräst bleibt. Stark die Damen an ihrer Seite. Erschütternd Hanna Schwarz als zweifelnde Mutter, und mit wundervoller Stimmbeherrschung Nicola Beller Carbone als mitleidige Gräfin, der zusammen mit Hannigan und Okka von der Damerau im Damentrio der stärkste und zärtlichste Moment dieser tristen Geschichte gehört. Zwar optisch uniform, doch durch die klare Artikulation einzigartig ist Daniel Brenna als kühler Verführer Desportes, dem mit Michael Nagy ein nicht nur fähiger Bariton, sondern Sängerdarsteller von beeindruckender Wirkung gegenübersteht. Den Fachleuten fürs Moderne gelingen die krassen Tonsprünge ebenso wie die massive Stimmbelastung aufgrund der ausufernden Orchestrierung. Das gilt für das große Hausensemble ebenso wie für die vielen, der Menge an kleinen Partien geschuldeten Kräfte.

Das liegt vor allem an einem Musikbändiger. Das Kreuz läuft an der Rampe genau an einem Punkt zusammen. Dort wo Kirill Petrenko die Vielseitigkeit seines Schaffens eindrucksvoll am Pult zur Schau stellt. Als Dompteur wacht er über die endlosen Stimmlamellen, die Zimmermann übereinanderlegt, dirigiert Jazzcombo und Schlagwerk auf der Bühne, führt sein massiv besetztes, bis in die Proszeniumslogen ausuferndes Orchester und schafft einen kühlen Klangraum, der nichts anderes will als überfordern und überwältigen. Beides trifft nicht auf Petrenko zu. Mit erstaunlicher Ruhe lässt er finstere Streicher, röhrende Bläser, knisternde Orgel, paradoxen Jazz und oft raumfüllenden Lärm ertönen und verwandelt Zimmermanns komplexe Partitur in eine peitschende Metapher zwischen klirrender Toccata und verstörendem Choral gegen die Gewalt des Mannes, der Macht des Krieges über Frieden, Frau und Freiheit. Dieses Schauspiel des Schreckens gipfelt in einer klanglichen Abwärtsspirale hin zur laut tönenden Anklage der allgemeinen Katastrophe, die Kriegenburg eindrucksvoll als Grauen ausgestaltet und Petrenko analog in verletzenden, bewegenden Klang übersetzt.

Begeisterungsstürme.

Andreas M. Bräu

Fotos: Wilfried Hösl