Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

RIGOLETTO
(Giuseppe Verdi)
6. Mai 2014
(Premiere am 15. Dezember 2012)

Bayerische Staatsoper München


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Verzweiflung im Stillstand

Schon einige Zeit lang zeigen Regisseure den Rigoletto immer seltener als krüppeligen Narren. Die Figur des tragischen Außenseiters wird mehr und mehr zu einer Metapher des Ausgegrenzten, der vor der Masse aufgrund seiner Andersartigkeit nicht bestehen kann. An der Masse setzt auch der Ungar Árpád Schilling an, der seinen Rigoletto massiv in eine Sphäre der Öffentlichkeit, des Beobachtet-Seins zerrt, dass dieser schließlich an den Augen des mitleidlosen Publikums zugrunde geht. Der ansonsten sehr politisch inszenierende Schauspielmann konzentriert sich hier auf das Sehen, das Vorspielen und Vorstehen vor einer grauen, halbseidenen Gesellschaft. Der Hofnarr muss zum Lachen bringen, und deshalb tötet er schließlich vor allen.

Dieser These ist das minimalistische und stilbildende Bühnenbild von Schillings Stammarchitekten Márton Ágh geschuldet. Die gesamte große Bühne der Staatsoper wird von seiner beweglichen, teilbaren Tribüne eingenommen, die von Chor und viel Statisterie, zusammen etwa 180 Akteure, besetzt wird. Vor diesem gespiegelten Publikum und immer unter Beobachtung spielt sich Rigolettos Tragödie der Angst und des Misstrauens ab. Den Rest löst ein geschickt eingesetzter Vorhangschleier und eine zu kurz kommende Pferdestatue sowie das ebenfalls von Ágh dezent bis wirkungsvoll eingerichtete Licht.

Zu Beginn feiert die maskierte Hoftruppe den stagediving Narren, später fungiert sie als Voyeur von Gildas erster Liebeserfahrung und macht sich an ihrer Entführung kollektiv schuldig. Die Masse stellt sich zwangsläufig gegen den vor Vaterliebe explodierenden Außenseiter und wendet den Blick vom finalen, unsinnigen Mord ab. Ein klares, nicht verschnörkeltes Konzept, mit dem Schilling Verdi wie Shakespeare aufführen möchte. Allein fehlt der starken Bühne das szenische Gleichgewicht, wodurch die meisten Arien statisch auf dem Souffleurkasten sitzend oder stehend, manchmal kniend abgeleistet werden. Keine tiefere Dynamik findet Schilling, und eine Deutung umgeht er mit seiner Konzentration auf Rigolettos Scheitern vor den Menschen. Etwas alleingelassen müssen sich die Sänger manchmal – so scheint es – selbst in den Mittelpunkt der Handlung rücken.

Ähnlich fallen Ághs Konzeptkostüme aus, der alle möglichen Beige-Töne auslotet und allein mit verstörenden Neonmasken der versammelten Höflinge Akzente setzt. Immer aber, wenn Langeweile droht, teilt sich die Tribüne, dreht sich oder wird durch Schaufensterpuppen gefüllt. Selten gelingen, bis auf das eindrucksvolle Auftaktbild, das sich schnell abnutzt, eindrückliche Momente.

Um diese aber kümmern sich die Sängerinnen und Sänger. Der neue Münchner Hauptleistungsträger Joseph Calleja präsentiert einen gewachsenen, entwickelten Tenor. Seinem beachtlichen Tebaldo wohl schon entwachsen, ist er im Hoffmannfach angekommen und kann als Mantova seine Bandbreite voll zeigen. Die Mobile-Pflichtnummer gibt er aus der Hüfte mit genügend Höhenpotenzial, um sich die nonchalante Attitüde leisten zu können. Noch schöner gelingt ihm Ella mi fu rapita, das er mit einer vollmundigen Strahlkraft ausstattet, dass der mittlerweile etwas festere Calleja einen ganz großen Vergleich nicht zu scheuen braucht. Eine wirkliche Gilda-Sensation an seiner Seite bietet Erin Morley. Hörbar von Strauss und Wagner kommend, brilliert die zarte Amerikanerin durch spielerisch geführte, nuancierte Höhe, die ihr bald eine Lucia einbringen könnte. Darstellerisch überzeugt ihre unsichere, aufblühende Mädcheninterpretation, die durch die Untreue des Duca sichtbar zerbrochen wird. Hoffentlich kehrt Morley als Waldvogel oder Sophie an die Staatsoper zurück. Rigoletto ist und bleibt Franco Vassallo, dessen tiefer Bariton unendliche und beeindruckende Bögen hervorbringt, die diese Partie so anspruchsvoll machen. Mit Substanz, manchmal leicht kehlig und abwechslungsreich stemmt er die Titelrolle und erfüllt auch in Aktion die Erwartungen der Inszenierung als bemitleidenswerter, verhärmter Außenseiter, der an seiner verbissenen Liebe zu Gilda zugrunde geht. Erwähnenswert ist zudem die starke Maddalena und Giovana von Oksana Volkova, die im dramatischen Ah, Più Non Ragiono des dritten Aktes Eindruck hinterlässt.

Geduldig füllt der satte Herrenchor unter Stellario Fagone nicht nur die Turnhallentribüne, sondern auch die von Verdi oftmals fies geforderten Zwischenrufe des gehässigen Volkes.

Am Pult agiert Marco Armiliato im Einklang mit der Regie. Klare Linien, unaufgeregte Tempi und deutliche Konturierungen arbeitet der Belcanto-Fachmann heraus. Die tiefen Bläser wohl geführt, Bass und Cello gut herausgestellt und den nötigen Verdi-Schmiss passend dosiert – so präzise deutet Armiliato mit dem gutgelaunten Staatsopernorchester die Machweise seines Rigoletto. Die Öffentlichkeit auf der Bühne und auf den Rängen goutiert das mit brandendem Applaus vor allem für Vassallo und Morley. Dieser Öffentlichkeit kann man sich leicht aussetzen.

Andreas M. Bräu

Fotos: Wilfried Hösl