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Fakten zur Aufführung 

PELLÉAS ET MÉLISANDE
(Claude Debussy)
1. Juli 2015
(Premiere am 28. Juni 2015)

Bayerische Staatsoper München
im Prinzregententheater


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Sinnlose Rezeption

Debussys geheimnisvolles einziges Opernwerk ist in vieler Hinsicht singulär: Die erste wahre Literaturoper, eines der letzten Werke der Spätromantik, ein impressionistisches Stück voll symbolischem Gehalts und quasi ohne Handlung; der Anti-Tristan spielt zwar mit spannenden Bezügen vom Minnesang bis zum Märchen, von der Tiefenpsychologie bis zum Klangraum, doch oft genug verhoben sich Regisseure an diesem sperrigen, schwer zugänglichen Werk. Das passiert leider auch bei der ausgelagerten Festspielpremiere im Prinzregententheater. Ein massives Buh-Konzert für das Inszenierungsteam, ein aus technischen Gründen gecancelter Livestream und leere Reihen gerade nach der Pause sind die Folge. Im großen Haus wäre diese Produktion ohnehin gänzlich verlorengegangen.

Schauspielfrau und Inszenierende Christiane Pohle greift zum probaten Mittel komplexer Stoffe und verlegt die mystische Handlung wieder einmal aus Zeitbezugsgründen in eine Hotellobby. Edel und aufwändig baut diese in Holzoptik Maria-Alice Bahra und fügt eine Bauruine mit kaltem Beton hinzu. Erinnerungen an nie fertiggestellte Hotels in Griechenland und Spanien werden hier wach. Ansonsten spielt sich das meiste an der Theke der Rezeption ab, die regelmäßig von Statistenscharen besucht wird. Im Hintergrund sind teils sich verschließende Schiebetüren und nach der Pause als Vanitasholzhammer Stützbalken im verfallenden Raum zu sehen. Anleihen an Kubricks Shining werden durch Hasenköpfe geschürt, Bezüge zu Sofia Coppolas Lost in Translation drängen sich auf, wenn der alternde Gollaud das Mädchen Mélisande an der Bar anstatt im Wald aufreißt. Insgesamt imitiert Pohle filmische Optik, eine Verehrung für Jim Jarmusch ist zu spüren, und so sieht diese Produktion auf den Inszenierungsbildern auch frischer und lebendiger aus als an dem starren, statischen Abend. Selbst wenn der ebenfalls notwendige Engel flügelbreit verloren im Zimmer steht.

Eine gewisse Ratlosigkeit über den Stoff ist bei allen Beteiligten zu spüren. Debussys komplexe Maeterlinck-Adaption wird nicht gedeutet und nicht sortiert, sondern anhand kühler, schwer erschließbarer Bilder abgespult. Warum gerade der Stoff nach Richard Jones düsterer Regie aus dem Jahr 2004 bereits naturalistisch bis inszenierungsverweigernd erneuert wird, erschließt sich nicht. Pohle arbeitet konsequent gegen das Libretto. Gibt es eine Umarmung oder einen Kuss, kann man sicher gehen, dass exakt das Gegenteil auf der Bühne passiert. Das Programm schafft Einzelbilder, die komplexen Symbole von Brief, Meer, Ring und Blindheit werden übergangen. Sie fordert langes, stummes Spiel der Sänger und hetzt eine Unzahl von Statisten als Hotelinsassen über die Bühne. Romantik wird negiert. Der verschenkte Arzt misst seinen Puls in der Abschiedsszene des Paares. Am Ende eine komplette Verweigerung und eine Parallelhandlung mit starr ins Publikum stierendem Personal an der Rampe.

Ein Lichtblick sind die präzise ästhetisierten Gegenwartskostüme von Sara Kittelmann. Dramaturg und Mitregisseur Malte Ubenauf liefert ebenso wenig wie Christiane Pohle einen schlüssigen, nicht komplett zufälligen Bilderreigen. Der Abend dämmert ermüdend ohne Deutungshoheit und ohne ästhetischen Wert. Hier hat sich ein Team mit großem Budget einem verschlossenen Text ergeben. Das Hotel geht Pleite.

Bei der Besetzung griff man treffsicher zu einem jungen, frischen Titelpaar. Der konsequente Sprechgesang Debussys erlaubt freilich wenig Glanzmomente, doch Elena Tsallagovas klarer, heller und eindeutiger Sopran findet seine liedhaften Momente, etwa in der Rapunzel-Szene und im gehauchten Liebesduett. Spielerisch verschenkt, versucht Tsallagova, szenische Miniaturen für sich herauszuschälen, bezaubert mit ätherischer Präsenz und darf doch nur lange sitzend singen. An ihrer Seite und ganz als der junge Outlaw überzeugt der Kanadier Elliot Madore als Pelléas vor allem optisch und mit sicherem Französisch. Sein Tenor bleibt eindimensional, steigert sich zwar hin zum Abschlussschmerz, doch ist schwer erinnerlich. Deutlicher akzentuiert gibt Markus Eiche künstlich gealtert seinen eifersüchtigen Golaud und bietet als guter Teamspieler dem Knabensolisten Hanno Eilers der Tölzer Sängerschmiede seinen großen Auftritt. Szenisch am besten gearbeitet erntet der helle, präzise Yniold naturgemäß viel Applaus. An seinem Thron sprichwörtlich klebend und szenisch bloßgestellt, kontert Alastair Miles mit reifem Bass als Arkel. Mehr vom donnernden Fafner-Organ von Peter Lobert hätte man gern als Arzt gehört, doch dieser darf nur die Bühne umbauen und optisch präsent wirken.

Sinfonisch klingt es aus dem Graben. Constantinos Carydis packt Debussys Klangbilder richtig an. Die Melodietupfer, die sich erst langsam zum zurückgenommenen Aquarell vermischen, die pastellenen Farben der Zwischenspiele und die leisen, impressionistischen Einfälle klingen wunderschön. Das Orchester, hochkonzentriert und präsent, folgt ihm mehr noch als die Sänger, und so bleibt Debussys großer Weltschmerz des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts vor allem musikalisch hängen. Die Lobby aber vereinsamt ideenarm und ungebucht.

Viel Applaus für das junge Ensemble und das Dirigat.

Andreas M. Bräu

 

Fotos: Wilfried Hösl