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Fakten zur Aufführung 

ORFEO
(Claudio Monteverdi)
20. Juli 2014
(Premiere)

Bayerische Staatsoper München, Prinzregententheater


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Trash im Hippieland

Mächtig tönen die Fanfaren, und das Premierenpublikum wird in das ehrwürdige Prinzregententheater gerufen. Immer öfter wird in diesem Münchner Prachtbau, der erst spät für den Konzertbetrieb wieder aufgebaut wurde, auch Oper gespielt. Die begrenzte Bühnentechnik erfordert von den Regisseuren und deren Team besondere Kreativität. Auf dem schwarzen Bühnenvorhang steht in großen, weißen, triefenden Buchstaben Orfeo, wie in einem Horrorfilmvorspann. Noch einmal erschallt feierlich die Renaissance-Fanfare von der Bühne, und aus dem Orchestergraben schwillt der Klang der Einleitung an. Wir schreiben das Jahr 1974, ein alter klappriger VW-Bus wird auf die düstere, zugemüllte Bühne geschoben. Es steigt eine Gruppe von Blumenkindern, ganz im Stil der 1970-er Jahre gekleidet, aus – passend zu dem Kultfahrzeug sind Kostüme von Falko Herold gestaltet. Es kommt buntes Leben auf die Bühne. Sie bereiten sich auf eine Hochzeitsfeier vor, die Braut hat sich bereits im eleganten weißen Brautkleid daruntergemischt. Es knallen die Sektkorken, und der Bräutigam stößt lässig dazu. Ein Pappschild erläutert uns die Namen des Brautpaares – Orfeo und Euridice, die am 20.7.1974 heiraten. Schnell geht es voran, die beiden werden ein Paar, Orfeo bekommt in der Herzerlschachtel seine Lyra überreicht. Da träumt schon Euridice, stimmlich sicher, aber farblos Anna Virovlansky, von ihrem Tod durch Schlangenbiss und landet auf dem Schlitten Carontes, einer windgetriebenen Europalette und huscht in den Hades. Geschickt vollzieht sich ohne Pause der Szenenwechsel im Bühnenbild, gestaltet von Patrick Bannwart. Wir befinden uns in der gruseligen Totenwelt. Von der Decke hängende Blumen werden durch magische Hand zu an den Beinen hängende tote Leiber, die effektvoll Gesichtsausdruck und Form bis hin zum Skelett ändern. Dort treffen wir den tragischen Held Orfeo wieder, stimmlich ergreifend und in bester Form von Christian Gerhaher verkörpert. Er wühlt in der Erde von Euridices Grab und stimmt sein Klagelied an. Doch kann er Caronte nicht erweichen. Erst als dieser einschläft, gleitet auch Orfeo auf dem Palettenfahrzeug in den Hades. Dort verhandeln bereits die Göttin Proserpine, elegant im funkelnden langen schwarzen Kleid Anna Bonitatibus mit dramatisch harter Stimme und Plutone. Andrew Harris mimt den coolen, grimmigen Herrscher der Unterwelt im Unterhemd mit dichter Körperbehaarung. Auf seiner Stirn sprießen zwei kleine Teufelshörner, kämpferisch seine Stimme, es fehlen Akzente in der Intonation. Seine vier Hirten ähneln und tänzeln um ihn herum, wie der putzige Yoda aus dem Krieg der Sterne. Auf dem roten Teppich macht sich das Paar auf seinen unglückseligen Weg aus dem Hades auf, um gleich darauf ins Unglück zu fallen. Nochmals trumpfen die Häscher Plutones auf und bauen sich drohend vor dem Publikum auf, und aus ihren Totenkopfmasken kommt nichts Gutes. Orfeo liegt wieder im Grab seiner Geliebten und bedauert sein Schicksal. Dick eingehüllt in Lumpen tritt Apoll zu ihm. Erst der warme Tenor von Mauro Peter haucht dem Gott vertrauensvolle Züge ein. Mit dessen Messer schneidet sich Orfeo die Pulsadern auf und vereint sich im Jenseits mit Euridice. Die Blumenkinder feiern wieder. Ebenso feiert das Premierenpublikum alle Beteiligten, auch das Regieteam bekommt viel Beifall.

Der Regisseur David Bösch hat hier eine gelungene und intelligente Konzeption geschaffen. Angereichert mit kraftvollen, ausdrucksstarken Bildern und einer lebendigen Personenregie wird der Abend unterhaltsam kurzweilig und verliert nicht an Spannung. Der Barockspezialist und in München von vielen Barockopern bekannte Dirigent Ivor Bolton führt das Monteverdi Continuo Ensemble umsichtig und bleibt gegenüber den Sängern unaufdringlich. Wirkt der Einstieg noch im Tempo verhalten, gestaltet er die elegischen Klagelieder Orfeos mit viel Klangfarbe und aufgeweckt im Takt. Viel Anerkennung muss auch dem Chor, der Zürcher Sing Akademie für deren Leistung sowohl im Spiel als auch Gesang ausgesprochen werden. Das durchweg junge Ensemble hat an diesem Abend einen umfangreichen Part zu vollbringen.

Die traditionsreichen Münchner Opernfestspiele laufen noch bis 31. Juli. Neben publikumswirksamen Wiederaufnahmen von bestehenden Repertoirevorstellungen mit klingenden großen Namen werden alljährlich zwei bis drei Opernneuinszenierungen vorgestellt. Eher unspektakulär, ohne große mediale Skandale und Aufmerksamkeit wachsen diese Festspiele jährlich in ihrer Programmgestaltung, Anzahl von Aufführungen und Veranstaltungsorten und gewinnen an künstlerischem Profil. Große Open-Air-Veranstaltungen und Livestream-Übertragungen versuchen, breite Zuschauerkreise anzusprechen. Nach der umstrittenen Premiere von Gioachino Rossinis Guillaume Tell zur Festspieleröffnung wurde dieser Premierenabend zum uneingeschränkten künstlerischen Festspielerfolg.

Helmut Pitsch

Fotos: Wilfried Hösl