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Fakten zur Aufführung 

NORMA
(Vincenzo Bellini)
13. Juni 2015
(Premiere am 6. Januar 2006)

Bayerische Staatsoper München,
Nationaltheater München


Points of Honor                      

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Die unkeusche Göttin

Selbst Wagner, der wenig Positives für Musiker neben ihm übrig hatte, lobte ausführlich Bellinis Melodik. Der sanfte Belcanto ist weiterhin gefragt, samt seiner paradoxen Beschwingtheit, selbst in den tragischsten Momenten. Norma, das Dreiecksdrama im Druidenumfeld, ist sicherlich handlungstechnisch nicht der stärkste Bellini und in seiner Gallien-Romantik wahrlich angestaubt. Dafür liefert sie musikalisch wie bühnentechnisch die Bühne für einen lyrischen Ausnahme-Sopran. In München besetzte diesen zur Premierenserie 2006 natürlich Edita Gruberova. Über vier Jahre nun pausierte die Produktion von Jürgen Rose, bis man wieder fündig wurde und eine New Yorker Entdeckung wiederholt: Sondra Radvanovsky debütierte mit ihrer Norma umjubelt an der Met und erneuert diesen Erfolg problemlos.

Rose, der üblicherweise Kostüme, Bühne und Regie übernahm, schafft einen quasiklassischen Rahmen. Altarstein und Priesterroben wirken antikisierend, das dunkle Szenario wird lediglich von modernen Einsprengseln durchbrochen. Die hochmilitarisierten Römer schwenken Kalaschnikows, die irgendwann auch den traditionsverbundenen Galliern überantwortet werden, die Strumpfmasken der Guerillas passend dazu. Das ist arg holzhammerartig und unentschieden, wenn Holzlanzen auf Maschinengewehre treffen. Rose interessiert sich nämlich wenig für die religiös-politische Sphäre der hauchdünnen Handlung. Eine Priesterin, die die Kriegsentscheidung und ihre sakrale Autorität von der eigenen Liebeslage abhängig macht und die Macht zum heiligen Krieg in sehr weiblichen Händen hält, alles das thematisiert Rose nicht, denn für ihn steht das private Schicksal einer Liebenden im Zentrum. Bühnentechnisch groß schafft er dazu einen Altarkeller, in dem Norma fluchtpunktperspektivisch Kinder und Glück verbirgt. Dieser Unterbau offenbart sein Dilemma – allein die lange Umbauzeit, bis sie wieder an die Oberfläche tritt, stört. Zeitlos schön auch ihre blaue Robe ab dem zweiten Akt, die kostümtechnisch überzeugender wirkt als manche zeitlose Ethno-Kleider. Stärker die Figurenregie und die gut gebauten Tableaus. Selten hat man so eine hasserfüllte Verschmähte gesehen, die ihren untreuen Mann am Haar packt und sich an seinem Unheil weidet.

Selten hat man auch so eine Stimme gehört wie Radvanovskys Belcanto-Höhenflug. Das Casta Diva gelingt bravourös, die lange gehaltenen, schwebenden Höhen wechseln mühelos vom Piano ins ungemein schwierige Forte. Der Ausdruck ist nochmals gewachsen. War die Amerikanerin vor zwei Jahren als Maskenball-Amelia schon eine Entdeckung, so ist sie augenblicklich in der Form ihres Lebens angekommen. Turandot lockt, Strauss könnte das Ziel sein. Szenisch füllt die Schöne als sehr sinnliche, unkeusche Göttin die Rampe. Selbst als kreischige Druidin wirkt sie nie schrill, sondern rührend und von einer präsenten Größe, die außer ihr wenige dramatische Soprane dieser Zeit verkörpern. Neben Radvanovsky überzeugt mit sauberer Phrasierung und rundem Klang Ekaterina Gubanova, die zwischen Eboli, Amneris und nun Adalgisa auf die böse Zweite gebucht scheint. Im Duett der beiden hört man dennoch den Unterschied einer sehr guten und einer herausragenden Sopranistin. Das ist als Kompliment für beide zu verstehen. Gewohnt italienisch und als passende Faust aufs Auge schenkt Massimo Giordano schon früh mit breitem Tenor ein, offenbart eine vollere Stimme als mancher Donizetti-Höhenprotz, wobei er die Spitzen knapp, doch angenehm gerundet findet. Seine Verkörperung des neben Pinkerton wohl dämlichsten Tenorcharakters Pollione erfüllt die Erwartung des untreuen Machos wunderbar. Bühnenfüllend und mit kraftvollem Organ steht hinter ihm Mika Kares als stimmgewaltiger Oroveso. Der gewalttätige Hasschor schallt und dröhnt dank Stellario Fagone prächtig.

Ungewohnte Aussetzer passieren dafür im Graben. Das Vorspiel seltsam verzerrt, ist Paolo Carignani nicht immer Herr der Lage und durchwegs verzögerte, überdehnte Tempi lassen das Orchester keine Glanzleistung abgeben. Der Applaus fürs Dirigat ebbt hörbar ab. Die Sänger werden gefeiert.

Die Jubelchöre für Radvanovskys zweite, grandiose Norma wollen nicht enden. Und das werden sie wohl auch weiter nicht.

Andreas M. Bräu

 

Fotos: Wilfried Hösl