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Fakten zur Aufführung 

MANON LESCAUT
(Giacomo Puccini)
24. November 2014
(Premiere)

Bayerische Staatsoper München


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Frauenjagd im Menschendschungel

München hatte nach ruhigen Jahren endlich wieder ein Opernskandälchen, als Anna Netrebko die Premiere von Manon Lescaut nach Differenzen mit Regisseur Hans Neuenfels zurückgab. Neben Jonas Kaufmann sprang kurzfristig Kristine Opolais ein, die bereits an der Royal Opera in der Puccini-Manon mit Kaufmann bejubelt wurde. Anstatt einem neuen also ein bekanntes Traumpaar, nun nicht mehr werkgetreu inszeniert. Neuenfels legt seine Deutung vor, sein exzessiver Proben- und Lebensstil ist im Skandalon des aktuellen Regietheaters längst legendär.

Die Münchner Arbeit fällt im Vergleich zum zunächst verhassten, später resozialisierten Lohengrin in Bayreuth milde aus. Freilich wird der Chor üblicherweise verschandelt und die Handlung in eine sterile Versuchsanordnung gepflanzt, doch an vielen Stellen liefert der Altmeister eine recht konventionelle, unromantische und gerade in der Charakterisierung der Titelrolle kühle Inszenierung ab.

Nichts vom Massenet-Charme, keine Liebesgeschichte wird erzählt, sondern das Hals-über-Kopf-Verlieben einer berechnenden jungen Frau und einem verlorenen, jungen Schmachtenden. Puccini überspringt das zweisame Glück, und auch Neuenfels konzentriert sich auf die luxussüchtige Wankelmütige. Kein Backfisch, sondern eine kalkulierende Lebefrau mit Angst vor Langeweile schlingert da zwischen Juwelen und Liebesglück. Auch der Bruch findet hinter der Bühne statt. Sie kehrt als drangsalierte Gefangene wieder, rührt nicht, das Publikum entfernt sich bereits zu weit von dieser femme fatale, allein der arme Des Grieux in seiner Aufopferung wird auserzählt und liegt Neuenfels anscheinend näher als Manon, das Luder, das sich überhebende, junge Ding. Das Ende ist bekannt: Verlassen stirbt die nun zur kaputten Frau Gereifte in der Einöde, und ihr treuer Liebhaber verzweifelt an dieser Nemesis.

Bühnenbildner Stefan Mayer kleidet diese Liebe unterm Brennglas in ein kühles angedeutetes Ambiente. Ein weiß eingefasster, beleuchteter Rahmen, ein Loch in der Wand, eine Metalltreppe, etwas Loft-Schick – mehr haben die Akteure nicht zum Spielen. Das grell gute Licht von Stefan Bolliger leuchtet die Narben aus, und Andrea Schmidt-Futterer orientiert sich teils am Zeitgeist mit metallfarbenen Jogginganzügen, etwas Samt und Gehrock und am Ende mit einem uniform verlumpten Paar in schwarz. Erneut fungiert der Chor bei Neuenfels als Aufreger und überdrehte Masse in lächerlich ausgestopften Overalls mit Clownsperücken als Mischung aus Krusty, Umpa lumpa und Joker. Die Choristen wuseln teils als rotweinfarbene Äbte affektiert über die Bühne, um die voyeuristische, verkommene, an Manons Höschen riechende Gemeinschaft auf den überinszenierten Punkt zu bringen. Mal wabern sie als dicklicher Menschenwald über die Bühne, während sich die Statisterie beim Ringelpietz gegenseitig jagen darf, mal starren sie alle zusammen in Manons Privatleben.

Die inhaltlichen Lücken bei Puccini will Neuenfels mit Textpassagen von Prévosts Vorlage schließen, verweigert dazu teils die Übertitel, um eigene Deutungen nicht einzurichten, sondern platt in Schrift an die Wand zu werfen. In den Paarszenen wird teils sehr konventionelles Opernfigurentheater gegeben. Die Abschiebeszene dagegen gelingt grandios als gut orchestrierter Bühnenkrimi. Insgesamt passieren Neuenfels keine handwerklichen Fehler, es gelingt aber auch kein großer Wurf.

Diesen übernehmen die Sängerdarsteller. Kaufmann überzeugt nach seinem Alvaro bereits mit seiner ersten Kavatine vollmundig und konstant brillant. Er pendelt intelligent die Höhen aus, spielt seine hauchend tiefe Stimmfärbung gekonnt aus und wuchert nicht mit satten, starken Puccini-Tönen. Kaufmann bleibt weiterhin an der Spitze des tenoral Möglichen. Spielerisch gibt er hier, gut geführt, einen arg verbummelten Studenten mit grauem Vollbart, der sich jugendlich auf der Bühne nach diesem bösen Mädchen verzehrt. Ehrlich und rampenaffin. Einen Schritt weiter muss Opolais gehen, die szenisch besticht, da sie nicht gefallen will, aber Kanten und Abgründe dieser Schwärmerin zeigt. Sie zickt, schmollt, bricht und scheitert. Stimmlich beweist sie als feste neue Größe in München nach Rusalka und Vitellia die Vielseitigigkeit ihres glatten, wohlkontrollierten Soprans, der mühelos zwischen Mozarts Koloraturanforderungen und Puccinis kompliziert komponierter Titelrolle wandert. Markus Eiche punktet mit kräftig pointiertem Bariton, und Dean Powers schlägt sich erneut wacker neben Kaufmann als solider Spieltenor. Sören Eckhoff kann den Chor nicht vor dem Neuenfelsschen Spielschmarrn bewahren, führt ihn dafür souverän durch die starken Ensemblepartien der Oper.

Recht geschwind und deutlich an der Dramaturgie interessiert, gebärdet sich Alain Altinoglu am Pult. Ihm gefällt der finstere Puccini, der Krimi mehr als die satten Liebesreigen des Madrigals. Hier dirigiert Altinoglu Grand opéra. Kleinere Schnitzer der Blechbläser trüben nicht die aufgeweckte Leistung des Staatsorchesters.

Am Ende wird knapp, doch laut gejubelt, vor allem aber die Handykamera beim Applaus für Kaufmann und Opolais gezückt. Die Gemüter sind beruhigt.

Andreas M. Bräu

Fotos: Wilfried Hösl