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Fakten zur Aufführung 

LA BOHÈME
(Giacomo Puccini)
10. Juni 2015

Live-Übertragung aus der Royal Opera Covent Garden, London

Cinema, Nymphenburgerstraße


Points of Honor                      

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Eine Bestandsaufnahme

Ein milder Sommerabend, eine vielbefahrene Straße inmitten der umtriebigen Großstadt und auf dem kleinen Vorplatz des Kinos sammelt sich ein buntes Publikum. Jung und alt erscheinen im eleganten Zwirn genauso wie eine sehr salopp gekleidete, kulturaffine, hippe Runde. Dicht gedrängt, vorbei am Popcornautomaten und der Stehbar fließt die Schar in den großen Kinosaal. Der hohe, holzgetäfelte Raum mit aufsteigendem Parkett und Balkon wirkt wie ein Konzertsaal, und so kommt doch noch feierliche Atmosphäre auf. Bildgewaltig setzt der Trailer an, untermauert mit monumentalen Klassikhits. Die Show beginnt. Es ist ja schon eine Stück beneidenswert mutige Chuzpe, aber auch Professionalität dabei, die letzte Aufführung einer sicherlich gelungenen nunmehr satte 41 Spielzeiten laufenden Inszenierung so medial zu vermarkten. In über 20 Länder und über 900 Kinos weltweit wird das Spektakel in Starbesetzung übertragen inklusive Public Viewing am Trafalgar Square. Ein kräftiges Lebenszeichen des jungen Formates „Oper im Kino“. Man will neue, insbesondere junge Schichten für die Oper begeistern, die Exklusivität, das Elitäre, das der klassischen Musik anhaftet, aufweichen. Trotz der Breite des Angebotes, ergänzt durch ein gesteigertes Aufkommen von Klassik- und Kulturprogrammen im Fernsehen, erfreut sich der Opernbesuch im Kino großer Beliebtheit und hat auch sein Stammpublikum gewonnen. Erfolgsfaktoren sind die Top-Besetzungen, die perfekte Technik, die Nähe zum Geschehen auf der Großleinwand, die Bequemlichkeit und der Preis. Der Mix findet auch an diesem Abend seine Zielgruppe, wie der fast ausverkaufte Kinosaal beweist.

Anna Netrebko, mittlerweile etwas korpulenter, ist die schwererkrankte, zarte Mimi, Joseph Calleja der mittellose, naive Poet. Die beiden Stimmen laufen wie geschmiert, ihr Sopran gewinnt immer mehr an dunkler, warmer Färbung, ohne in der Höhe Sicherheit zu verlieren, sein Tenor bringt viel Volumen, sitzt tief in der Bruststimme mit Schmelz und Treffsicherheit. Die Russin kann und liebt das Spiel auf der Bühne, der mächtige Malteke steht wie eine deutsche Eiche fest, aber er lernt immer mehr, geschmeidig seine Äste zu bewegen. Viel Temperament und stimmlich mit seidigem Glanz bringt Jennifer Rowley als Musetta, die sich kokett mit Lucas Meachem als etwas farblosem Maler Marcello zankt. Marco Vinco als Colline erweicht die Herzen mit seiner Mantel-Arie und stimmt so das Publikum auf das herzzerreißende Finale ein. Man hört die ersten gezückten Taschentücher und Seufzer.

Dan Ettinger bleibt am Pult sehr diszipliniert und schlägt kontinuierlich konsequent den Takt. Es kommt zu keiner melodramatischen Überflutung, und die gefühlsbetonten Entladungen bleiben kleine Eruptionen. Die Emotion entsteht aus der Partitur ohne Legati, Ritardandi und Crescendi. So wirkt es rein und stimmig.

Der Aufhänger des Abends aber ist die Inszenierung von John Copley. Sicherlich ist es eine sehr gelungene, realitätsnah an der Geschichte historisierte Interpretation. Mit großer Detailverliebtheit bringt John Copley Bewegung, berührende Gestiken und kluge sowie unterhaltsame Details auf die Bühne. Der Abend ist kurzweilig, die Patina ist greifbar und der Humor britisch geprägt.

Zuviel Platz nimmt die Moderation der Übertragung vom Royal Opera House Covent Garden ein. Drei Pausen müssen gefüllt werden. Die Sänger werden ausgiebig interviewt, man erfährt von deren Hundeallergien und Ränkespielen auf der Bühne. Der gealterte Regisseur erlebt noch einmal seine großen Momente und genießt die Achtung und die Ehrerbietung seiner Person gegenüber. Natürlich wird auch viel Werbung in eigener Sache seitens des Opernhauses gemacht. Diese Sendeblöcke unterbrechen die aufgebaute Spannung und stören den musikalischen Ablauf und Eindruck. Da hilft auch nicht, dass selbst im Kino die Temperatur passend zur Geschichte winterlich kalt wird.

Am Ende kommt leichter Applaus auch live in den Kinoreihen auf, die meisten bleiben aber bewegt und beseelt in den bequemen Sesseln halb liegen, beobachten noch die Huldigungen und vielen Vorhänge für die Stars. Die Stimmung überträgt sich in diesen Kinosaal. Dank der hervorragenden Technik, die an dem Abend nicht immer funktioniert, wird der Betrachter in das Geschehen miteingebunden und verliert die Distanz, ganz so, wie es die Veranstalter wünschen.

Helmut Pitsch

 



Fotos: Donald Southern, Bill Cooper