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Fakten zur Aufführung 

GUILLAUME TELL
(Gioachino Rossini)
28. Juni 2014
(Premiere)

Bayerische Staatsoper München


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Die Säulen der Freiheit

Luftballons fliegen in den Nachthimmel, Menschen kauern in Regencapes und lauschen andächtig dem Tell-Galopp, Prominenz läuft über den roten Teppich und ganz München ist von der Oper erfüllt. So beginnt die Festspielzeit. Auf drei Kanälen gleichzeitig wurde dieser Tell der Öffentlichkeit übergeben. Im Nationaltheater mit Minister Spaenle, Uschi Glas und Anna Netrebko im Publikum, draußen am Max-Joseph-Platz auf Großbildleinwand für die wetterfesten Klassikbegeisterten und via Stream auf die PCs in aller Welt. Solch eine Öffentlichkeitsarbeit und Begeisterungsförderung für die Oper kann sich sehen lassen.

Im letzten Jahr wurde der Godunow auf diese Weise für alle von allen gefeiert. Dieses Jahr nun also der Tell, der formal wie inhaltlich dem Boris doch sehr nahe steht. Auch Regisseur Antú Romero Nunes übernimmt die Formensprache von Calixto Bieito, der den Boris in München kongenial als mafiöse Machtmetapher umsetzte. Beim Tell verzettelt sich der junge Schauspielmann sichtlich. Er wollte Schiller inszenieren, arbeitet sich aber an Rossini ab. Dabei hat er ein großes Bühnenkonzept in seine Deutung integriert. Oder spielt vor diesem übermächtigen Hintergrund, der eher in Erinnerung bleibt, als seine teils albernen Interpretationen. 50 Säulen heben sich im Musiktakt über die Bühne, bilden Dom, Wald oder Pantheon, drehen sich und schweben viel über die Szene. Das Konzept von Florian Lösche erlaubt große Bilder, lässt Assoziationen entstehen, verschränkt sich mit der Musik, gestattet einen zeitlosen, ästhetischen Bühnenraum auf Met-Niveau in der Tradition des dortigen Lepage-Rings. Manchmal aber schwenken sie zu unruhig, könnten stiller stehen. In Michael Bauers klugem Licht hätte das gereicht. So scheint es, als habe man sich zu sehr in die Gestaltungschancen verliebt. Die Idee überformt den Nutzen.

Eine echte Idee ist in der Deutung von Nunes allerdings nicht erkennbar. Seine Personenführung grenzt ans Chargieren, und Bühnentiere wie Michael Volle hätten mehr an die Kandare genommen gehört. Dem Tellschen Pathos begegnet der Regisseur mit Albernheiten und Slapstick. Hedwige, Tells treue Gattin, verkommt zur nervigen Matrone, die die Knarre in der Handtasche verschwinden lässt. Tell selbst wird zum Schweizer Jack Nicholson in Pollunder, der zum Apfelschuss die Hornbrille zückt. Dazwischen gelingen, wie die heiß erwartete Armbrustszene, starke, wohl orchestrierte Momente, nur um dann im Galopp wieder ein SM-SS-Ballett mit wirren Anachronismen und verallgemeinernden, tausendmal erlebten Kriegsparallelsierungen zu präsentieren. Einziges schweizerisches Zugeständnis dieses, von Annabelle Witts Kostümen in Sechziger-Jahre-Kaufhaus-Schick gekleideten Einerleis ist ein kurzer, aber effektvoller Auftritt von eindrücklichen Perchten. Diese wiederum wirken, wie einiges der Ästhetik von Nunes, dem Film abgekupfert. Mit diesem Mittel und frontal ins Publikum gerichteten Wutchören arbeitete auch Bieito, nur eben mit einer moralisch dichten, klugen und schlüssigen Deutung, die dieser Tell durch zerfasernde Einzelideen nicht erkennen lässt. Kein großer Wurf, kein Skandal und durch die effektvolle Bühne ein gewisser Erinnerungswert somit.

Erinnern wird man sich aber an die Kräfte. Festspielbedingt wurde eine wahrlich große Besetzung geschaffen. Michael Volle gibt einen Tell aus Niebelheim. Hörbar glücklich, wieder Rossini zu singen, gibt er einen heldischen, doch wohl dosierten und emotional nuancierten Guillaume, spielerisch zu wenig gefasst, doch mit einem starken Finale des ruchbaren Befreiers. Stark neben ihm Bryan Hymel als Arnold mit dunkel timbriertem Tenor, keinem typischen Rossiniklang und deshalb erfrischender Interpretation mit allen notwendigen Spitzen. Im dynamischen Duett mit Tell brilliert er ebenso wie in der gefürchteten Vater-Arie. Den Rossinisopran verinnerlicht hat die Überraschung des Abends, die grandiose Marina Rebeka; im Piano bereits makellos und spielerisch zwischen Lautstärke und Höhe wechselnd, gelingt ihr eine Mathilde, an die man sich erinnern wird. Was wäre das für eine Micaela. Bald vielleicht auch die reizende Evgeniya Sotnikova, dem Opernstudio entwachsen, die als klarer Jemmy zurückkehrt. Szenisch zum enfant terrible überzeichnet und ebenfalls in der Darstellung an zu langer Leine, bietet sie trotz ihrer zierlichen Gestalt stimmlich eindrückliche Momente. Stark am Rande zudem Fischer Enea Scala und Gesler Günther Groissböck. Die Grand Opéra verlangt einen großen Chor. Sören Eckhoffs geforderte Mannen und Damen lösen diese Notwendigkeit ein und erfüllen die schwebenden Säulen und Hallen mit dem Klang der Freiheit. Geführt werden sie aus dem Graben von Belcanto-Fachmann Dan Ettinger, der am Haus schon einige Lorbeeren zwischen Donizetti und Mozart errungen hat. Beim Tell gelingt ihm Ähnliches. Egal, ob an den Hörnern oder an den Celli, Ettinger ist ebenso nah an seinem Orchester wie an den Sängern. Präzise und effektvoll bürstet er Rossini nach vorn, legt geschwinde Tempi vor und lässt den Zuhörer erst im intimen Duett wieder zu Atem kommen. So kann Rossini auch klingen und gelingt.

Deshalb kurze, aber begeisterte Applausstürme für Sänger und Dirigat und ein massives Buh-Konzert für die Regie. So schlecht war es nicht, aber geklungen hat dieser Tell draußen am Platz vielleicht schöner, als er im Haus ausgesehen hat.

Andreas M. Bräu

Fotos: Wilfried Hösl