Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

DIE FRAU OHNE SCHATTEN
(Richard Strauss)
29. Juni 2014
(Premiere am 21. November 2013)

Bayerische Staatsoper München


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Kinder im Hotel

Manchmal kann alles so leicht sein. Die edel ausgestattete Bühnenlounge öffnet sich, ein Film beginnt, die Musik setzt ein und man vertieft sich in ein Märchen, aus dem man erst vier Stunden später wieder herausfindet, ohne dass einem die Zeit lang wurde. Selten, doch zu manchen Sternstunden findet ein schlüssiges Konzept einen durchsetzungsstarken Regisseur, dieser ein offenes Haus und dort eine Besetzung, die all das möglich macht. Die Frau ohne Schatten aus dem vergangenen Jahr ist so ein Glücksfall.

Dabei nutzt der inszenierende Krzysztof Warlikowski zwei gängige, funktionierende Regiekniffe, die er klug zusammenbringt und durchhält. Er verlegt zum einen die Märchenhandlung in ein Nobelhotel vergangener Tage, wie oft schon mit mehr oder weniger Erfolg bei Lulu oder Orpheus gesehen. Trotzdem belässt er die Handlung magisch und märchenhaft, ohne mit kargem Realismus diese intendierten und auskomponierten Effekte niederzubügeln, wie etwa Kusej das mit seiner gescheiterten Rusalka als perversem Zeitkommentar zelebrierte. Zum anderen nutzt Warlikowski den Schauwert von Kindern, in diesem Falle vieler Kinder, singend und verfremdet mit schönen Falkenköpfen, die eine surreale, rührende Bildwelt bevölkern, die den Kern der Handlung auf metaphorische Weise doppeln. Zudem räumen die wohl angeleiteten und professionell bereichernden Kleinen traditionsgemäß beim Applaus so richtig ab. Umso klüger, wer der Soli sich eins oder zwei dazu schnappen kann.

Denn um die Kinder geht es ja. Warlikowski tappt nicht in die Falle, Hofmannsthals psychologisch dichte Parabel der Fruchtbarkeit und Rolle der Frau zu sexualisieren oder zu vereinfachen. Er belässt das Problem des Schattenwerfens, des Gebärens, nimmt es ernst und zeigt zwei starke Frauen, die ihren Platz in einer Männergeisterwelt finden müssen. Zwischen Suite und Arbeitsraum eines Kurhotels findet eine symbolisch starke Therapie, nein, eher eine Apotheose des Weiblichen statt, die sinnig mit dem Kind endet, ohne das komplexe Problem antiemanzipatorisch zu vereinfachen. Durch einen Filmprolog entrückt uns der Regisseur dank der – seit langem am besten integrierten – Videos von Denis Guéguin und Kamil Polak in eine Traum- und Halbwelt des Schlafs, der Jagd und des Wunsches. In dieser Unsicherheit belässt die Deutung den Zuschauer durch assoziationsstarke Räume in der vielseitigen Edelbühne von Ausstattungsleiterin Malgorzata Szczesniak, die sich auch für die Kostüme verantwortlich zeigt. Bevölkert wird dieser Symbolraum von Kindern in Tierkostümen, die die verheißungsvollen Falken doppeln, von Greisen und einer Kaiserin, die ganz dem Märchen verpflichtet von einer unendlich bösen Amme geprüft wird. Dieses freudsche Erlebnis lebt von präziser Personenregie, einer konsequenten, intelligenten Deutung und dem Respekt vor Musik und Libretto, dass hier deutlich und schlüssig inszeniert wird. Da wird die Färberin von drei verkommenen Brüdern umschwirrt, da lässt die finstre Amme Urgewalten über die Welt hereinbrechen, und ein Kaiser jagt durch verlorene Weiten eines Friedhofes. Schauwerte bieten die ätherischen Projektionen und das Mienenspiel der starken Besetzung.

Denn besser geht Strauss dieses Jahr nicht. Elena Pankratova hat mit ihrer Interpretation der Färberin nicht zu Unrecht einen Punkt in der internationalen Klassikgeschichte gesetzt. Mit präziser Diktion, mühelosen Extremspitzen und einem dramatischen Sopran, der nur bei Strauss so wirken kann. An ihrer Seite nicht minder stark, wenngleich anfangs gefasster, Adrianne Pieczonka als ambivalente Kaiserin. Klug dosiert sie, denn Ausdauer ist bei diesem Höhenmarathon gefragt. Der Zuhörer erlebt einen Wettkampf von Straussschem Gesang, der unentschieden im Olymp endet. Dort wartet bereits Johan Botha mit kantigem Tenor und einer Resonanzfülle, die die geringe Zahl von Szenen seiner Kaiserpartie bedauern lässt. Szenisch zwischen Gutmensch und verzweifeltem Menschen wohlbalancierend, überzeugt John Lundgren als Barak mit dem Timbre eines Liedsängers, der Strauss auf eine emotionale Klangfarbe herunterbricht, die staunen lässt. Dieses hohe und niedere Paar leistet Oper in Perfektion. Nicht nur spielerisch macht sich die großartige Deborah Polaski zum geheimen Zentrum dieser Inszenierung. Mit gewachsenem, doch noch ausdrucksstarkem Organ meistert sie die oft so schnelle Amme und liefert eine beunruhigende Charakterstudie der verblendeten Intrigantin, die hier angemessen im Wahnsinn enden darf. Unterstützt von einer Vielzahl von Hauskräften und Gästen als Geisterstimmen und Erscheinungen überzeugt neben den Soli der Kinderchor unter Stellario Fagone rührend und auf Punkt.

Das liegt am Neuen am Pult: Sebastian Weigle begeisterte in Frankfurt und einer Vorpremiere in Garmisch mit seiner Danae zum Jubiläumsjahr. Nun nimmt er Petrenko den Taktstock aus der Hand und führt ihn sicher. Er schwimmt in den klangmalenden Welten von Strauss, die uns durch Wälder, Ströme, Geisterschlösser und Hütten führt. Weigle überzeugt als guter Schwimmer, der mit jedem Zug diese Welten vorstellt, auseinanderhält und ineinander übergehen lässt. Eine allumfassende Märchenstimmung mit den starken, nicht überschnell gesetzten Akzenten dieser vielleicht komplexesten Oper Strauss‘ steigt aus den tiefen Wassern empor. Auf der Erde aber warten Abgründe. Auf den Zuschauer eine Oper in Reinform.

Auf den letzten Vorhang folgen Begeisterungsstürme über die Maßen für den vorbeischauenden Regisseur und das starke Ensemble. Chapeau.

Andreas M. Bräu

Fotos: Wilfried Hösl