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Fakten zur Aufführung 

DR. FAUST JUN.
(Hervé)
16. Mai 2015
(Premiere)

Staatstheater am Gärtnerplatz München, Reithalle


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Ein wirklich kleiner Faust

Mit dem Erfolg kommt die Persiflage. Goethes Werk wurde breit von Nachahmern und Parodisten verlackmeiert, die Werthers späte Eheleiden und natürlich Fausts Teufelspakt auf die Schippe nehmen. Die bekannte Vorlage lädt zur Brechung ein, doch in diesem Fall sollen auch die ernsthaften Vertonungen, allen voran Gounod mit einer irren Vaudeville-Parade durch den Kakao gezogen werden.

Den Textdichtern war dabei der Fauststoff nahezu egal. Ein greiser Lehrer erinnert sich der Libido, durch den germanischen Backfisch Marguerite ausgelöst, diese aber wird international gefeierte Cancan-Lehrerin, heiratet doch ihren verjüngten Fäustling, gerät in die Ehehölle und muss den beiläufigen Mord am Bruder überwinden. Am Ende tanzt man in der Unterwelt. Diese ähnelt leider weder musikalisch noch humoristisch dem großen Gegenpol der französischen Revue-Operette und bleibt ein fader Abklatsch gegenüber Offenbach. Gefällige Walzer tröpfeln, der obligate Tanz gerät zu kurz und über lange Strecken schleppt sich die seltsam verquaste Handlung pointenlos durch zähe Goethe-Zitate und sinnlose Einlagen. Dieser Hervé hat weder mit dem Faust noch mit dem musikalisch wie ironisch viel hochwertigeren Orpheus etwas zu tun. Warum also dieses Stück aufführen?

Regisseur Rudolf Frey rettet, was zu retten ist, setzt auf knallige Effekte und viel Aktion, um das niedere Tempo dieser Operette zu retten. Die ausschweifenden Textpassagen ermüden, allein die lange Einleitung bremst extrem. An vielen Stellen aber kann auch Frey die bräsige Quasi-Parodie nicht retten. Daneben gelingen ihm starke Momente wie das „Große-Oper-Spiel“ zu Valentins Tod oder der Cancan-Gruppenkurs zum Pausenfinale. Treffsicher komisch ist allein die überzeichnet reine und hypergermanisch konnotierte Figur des „deutschen, blonden, keuschen“ Gretchens. Selbst Mephisto verwirrt mit eingestreutem Melodram. Frey setzt auf poppige Schauwerte samt Plastikpalme und Galatanzpersonal. Allein zum Ende hin überstürzt sich der verquaste Handlungsfaden zu einem vorschnellen Nichtschluss. Auch hier weiß Offenbach Finale auszukomponieren.

Optisch ansprechend kommen Bühne und Ausstattung von Rainer Sinell daher. Er nutzt dazu die schwer zu bespielende und technisch eingeschränkte Reithalle bislang am besten. In die Hallenarchitektur integriert nutzt er die von Benjamin Schmidt gut ausgeleuchtete Tiefe des Raums und setzt das Orchester schrag hinter der Spielfläche in einen witzigen Salonkäfig. Die überzeichneten Kostüme samt einer Armee von „Big-Eyes-Margueriten“ aller Herren Länder gefallen. Der Aufwand aus Chor, Ausstattung und Regieanstrengung stehen nur leider konsequent einem zu schwachen und gerade im Deutschen wenig griffigen Stoff entgegen. Aufgrund fehlender Übertitel und durchweg zu lauter Akustik gehen dabei noch Reste der wenigen Wortwitze verloren.

In der Besetzung dominieren zwei starke Damen. Mit nicht wenig anspruchsvollen Jodelkoloraturen, tänzerischem Potenzial und Mut zur Persiflage begeistert Alexandra Flood als Marguerite, die mit sicherem Sopran und Präsenz punktet. Ebenso die grande dame des Hauses, Elaine Ortiz Arandes, als Mephisto. Nach Violetta, Emilia Marti und vielen anderen großen Partien füllt sie die Hosenrolle mit Präzision, spätem, doch fokussiertem Sopran und einer dämonischen Spielfreude. Spielerisch unsicher, doch mit stabilem Spieltenor gibt David Sitka einen Bubi-Faust, dessen Rolle ebenso wenig greifbar ist wie seine Position im Stück. Jugendlich dramatisch und sehr steif gibt Maximilian Meyer den Offizier. Euphorisch und den gut aufgelegten Chor unter Felix Meybier ergänzend, tanzen und singen die Akademiemitglieder als Schulmädchen und Studenten. Die neuerdings mehr und mehr solistisch agierenden Chorherren Stefan Thomas und Thomas Hohenberger stehen ihnen allerdings vom Cancan bis zur Spitzbübigkeit in nichts nach.

Michael Brandstätter lenkt das Orchester durch die lauschig-gefälligen Nummern Hervés, kann aber in dieser Partitur ebenfalls keine pointierten Stellen finden. So plätschert die Salonmusik vor sich hin, kommt im Tanz kurz auf Tour, unterstützt die starken Momente von Flood und pausiert lange.

Das junge Publikum applaudiert kurz, aber begeistert. Bei Offenbach wäre eben Stoff, Musik und Finale besser gewesen. Auch ohne Goethe.

Andreas M. Bräu

Fotos: Christian Zach