Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

DIE SACHE MAKROPULOS
(Leoš Janáček)
19. Oktober 2014
(Premiere)

Bayerische Staatsoper München


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Was wichtig ist

Ein wenig scheint, als halte man sich finanziell und in Bezug auf den Aufwand noch zurück, beginnt intellektuell und langsam die neue Saison, bevor im November der Neuenfels-Kracher Manon mit Starbesetzung richtig einschlagen soll. Die Sache Makropulos in der Neuinszenierung von Arpad Schilling wird en passant gegeben und schlägt weder durch Regie noch durch Besetzung große Wellen.

Das Innere dieser geheimnisvollen Frau wollte Schilling aus Janáčeks Bühnenkrimi herausarbeiten. Die lange Emanzipation der ewig Lebenden sollte spürbar werden und dabei die Faszination und Tragödie der ewigen Jugend als zeitlose Metapher des Wertes von Leben und Erleben erzählt werden. „Was lohnt sich noch nach 300 Jahren Lebenserfahrung?“, fragt die Marty. Besser übersetzt stellt sich die Frage „Was ist dann noch wichtig?“ Marty gibt die traurige, ehrliche Antwort einer zu lange erlebenden Jungen: „Nichts, wirklich nichts.“ Schilling baut die Inszenierung um diesen Satz und seine Emilia Marty. Der Staatsoper gelingt dabei mit Nadja Michael in der Verkörperung der ewig jungen Sängerin ein ambivalenter Besetzungscoup.

Ein Bürostuhlturm, eingeklemmt von zwei einander zugewandten Marmorwänden bildet das minimale Szenario des ersten Aktes. Als Symbol des Weiblichen spielt sich der ganze Abend in dem drehbaren Schoß ab, mal rotiert die Bühne auf die leere, blumennasse Bühne nach Martys Vorstellung, dann dreht sich alles weiter in ein Hotelzimmer. Marton Aghs Szenenbild will die Protagonistin anhand der Bühne von allen Seiten ausleuchten, drehen, wenden und sich in sie hineinwenden. Bis auf das unklare Schlussbild zwischen Kitschgrab und Eiszeitlandschaft gelingt die Einrichtung auch der zurückgenommenen Garderobe, die Platz für das skandalöse, zeigefreudige Fetzenkleid der Sängerin im zweiten Akt lassen.

Die Geschichte der dank des Verjüngungstrunks 300-Jährigen erzählt Schilling dann doch recht konventionell, vertraut seiner Muttersprache des dialoglastigen Werkes, während die überforderten Übertitel der Staatsoper munter Zeile für Zeile flimmern. Allein ausgedeutet wird die ewige Unterwerfung der männermüden Diva, die am Ende als Opfer ihrer Exponiertheit vor dem männlichen Pranger für ihre Zeitlosigkeit bestraft und ausgepeitscht wird. Die Strafe für ihr Weltwissen gibt sie dann, nicht dem Libretto gemäß, der jungen Sängerin Krista weiter, die wohl die nächsten 300 Jahre in einer emotionalen Eiszeit verbringen wird. Die zurückgenommene Personenregie mit wenig Bewegung und oft erstarrten Männern konzentriert sich ebenfalls auf die Marty, die physisch und psychologisch ausgestellt wird.

Danach scheint Nadja Michael zu lechzen, die erneut polarisiert. Nach teils bitteren Erfahrungen der letzten Jahre sucht sie Rollen jenseits der bespiegelten Klassikerrollen. Die Marty nun passt zu der gewachsenen Außenseiterin, die sie körperlich exhibitionistisch anlegt und physisch eher überzeugt als stimmlich. Die Rolle beginnt als moderne Lara Croft in Lederjacke, die cool die altmodischen Jungs umschmeichelt. Der freizügigen Brigitte Nielsen im zweiten Akt, die verstörend und überdeutlich mit ihrem Körper und ihrem Kostüm spielt, wird schlussendlich die alternde Diva im Bademantel gegenübergestellt. Eitel, gerichtet und von Schönheit besessen. Michael frisst sich in diese Rolle hinein, zeigt viel und gibt stimmlich ihrer Mezzo-Vergangenheit gemäß in den tiefen Lagen der Emilia eine starke Vorstellung, während ihre schrille, teils kreischige Höhe stört. Der Zuschauer sieht eine Frau, die alles gibt, um trotz Lebensüberdruss Weiblichkeit zu spüren. Exaltiert bis zum Applaus; Grenzen verschwimmen. An ihrer Seite und zu Beginn als Tim ohne Struppi sehr knabenhaft Pavel Cernoch, dessen dünner Tenor, zu oft zugedeckt und glanzlos, nicht überzeugt, während seine lyrischen Töne schöne Momente sein könnten. John Lundgrens satter Bass erfreut als finsterer Prus ohne klare Rollenzeichnung. Weniger glänzen die Hauskräfte mit Vitek Kevin Connors, der um sein Leben krächzt und Tara Erraught als leise, farblose und chargierende Krista. Szenisch wie stimmlich mit bewussten Brüchen arbeitend, erfreut Reiner Goldberg als Narr Hauk, der die sinnlose Begeisterung für diese kühle femme fatale am klarsten verkörpert.

Janáčeks Landsmann und Kenner Tomas Hanus erarbeitet für die Eröffnungspremiere eigens eine neue kritische Ausgabe der sperrigen Komödienadaption. Trotzdem wirkt sein Dirigat wissenschaftlich, uninspiriert, eher sezierend als erfrischend. Während die wunderschöne Ouvertüre, die allein ein Lebensalter erzählt, noch süffig daherkommt, verlangsamt er, zu pointiert auf das expressionistische Pathos des Komponisten setzend, die Tempi, verwischt, verdeckt und stellt sich in Konkurrenz zu den oft verlierenden Sängern. Etwas mehr Leben und Kooperation wäre in diesem ausufernden Sammelsurium aus musikalischen Splittern schön gewesen, sie schimmern in den knappen romantischen Momenten durch, die Hanus begreift und herausstellt.

Nach der letzten Münchner Makropulos-Sache im Gärtnerplatztheater, die auf Designerausstattung, Realismus und Figurenregie setzte, überzeugt diese neue Fassung als Innenspiegel einer müden Frau wenig, bleibt aber als gespieltes Porträt der Michael an ihren Grenzen ambivalent in Erinnerung.

Am 1. November ist die Produktion um 18 Uhr als kostenloser Livestream zu erleben.

Andreas M. Bräu

Fotos: Wilfried Hösl