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Fakten zur Aufführung 

LA BOHÈME
(Giacomo Puccini)
19. Juni 2014
(Premiere am 18. Juni 2014)

Pasinger Fabrik, Münchens Kleinstes Opernhaus


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Mimi unter uns

Der Zuschauer betritt den Saal und wird sogleich von einer strahlenden Kellnerin in nostalgischem Livree begrüßt. Darauf nimmt er an einem der kleinen Bartische oder auf den Rängen Platz. Je nachdem, wo kein etwas ärmlich gekleideter Künstler bereits herumlümmelt. Neben einem kleinen Laufsteg baut sich ein Orchester hinter einem dicken, grummelnden Wirt auf. Man trinkt ein Glas Wein, die Musiker nehmen Platz und irgendwann betritt ein Erzähler die Bühne und beginnt mit einer süffisanten Werkseinführung. Doch in diesem Moment ist man schon mitten unter ihnen, Teil der Pariser Bohemiens und nicht nur Zeuge der Liebesminiatur zwischen Rodolfo und Mimi, sondern direkter Begleiter.

Die Nähe, die diese Bar-Oper erzeugt, rührt den Zuschauer. Mimi lacht, liebt und stirbt unter uns. Kein Graben, kein Vorhang und keine Gewaltbühne trennen sie von ihrem Publikum. Diese intime, familiäre Stimmung macht das Besondere dieses mittlerweile fest etablierten kleinsten Opernhauses von München aus. Hier wird Oper zum Anfassen gezeigt. Mit spielfreudigen jungen Kräften, mit wenig Inszenierungsschick und mit einem Salonorchester, dass den Puccini-Bombast auf Kaffeehausmusik herunterbricht.

Auf der Szene spielt sich dann aber doch etwas ab. Leider ist Regisseurin Doris Sophia Heinrichsen wenig zur Personenführung eingefallen. Der Steg bleibt lange unbenutzt, man singt die Krachernummern meist versteckt im hintersten Eck herunter. Beim eiskalten Händchen etwa pressen sich die Sänger geradezu in die Bühenecke. Das der Abend glückt, ist den enthusiastisch mitfühlenden und -leidenden Darstellern geschuldet. Die kommen aus dem Publikum in ihre Kaschemme, ziehen durch die Straßen und erleben ihre Jugend. Der Erzähler, sonor von Peter Trautwein gesprochen, ist eine nicht wirklich notwendige Novelle, die den doch ohnehin so klaren Stoff der Oper anscheinend noch erfahrbarer machen soll. Das ist bei dieser überzeitlichen Liebe junger Menschen nun wirklich nicht notwendig. Die Bühne nutzt den offenen Raum und versucht, zwischen dem Publikum zu spielen. Den Rest löst Thomas Bruner geschickt mit ökonomisch schiebbaren Wänden und einem schönen Konzept, den Saal zu integrieren. Katja Krannich zieht ihre Bohemiens knallig, trashig und überzeitlich verhaut an. Mimi in Baskenmütze und sanftrosafarbenem Cape rührt schon allein durch ihr Warten im Schnee.

Sie rührt aber vor allem durch ihren ordentlichen Sopran. Chifumi Matsunaga ist eine sehr junge, liebreizende Mimi, deren mimisches Talent voll ausgereizt wird. Zwar übersteuert sie in den Höhen noch zu sehr und presst arg an den Effekten, doch diese Stimme hat durchaus Entwicklungspotenzial. Schwächer daneben Andreas Stauber mit einem sehr baritonalen Rodolfo, der die Spitzen leider so gar nicht erreicht, aber in den Mittellagen eine passable Leistung abliefert und vor allem durch seine ehrlichen Tränen für Mimi überzeugen kann. Ebenso raumgreifend und einnehmend der strahlende Sidekick und Ehrensängerin Ikumu Mizushima, die das Publikum von Eggenberger erlöst. Von den Freunden am stärksten Florian Drexel als polternder Sunnyboy Schaunard, und ebenfalls mit viel Potenzial und teils schönen Klangfarben Nicola Ziccardi als Marcello. Zu operettenlastig, ohne Substanz und schrill leider Musetta Astghik Khanamiryan, die, ganz der Charakter, zu sehr dem Publikum gefallen möchte.

Das trifft leider auch auf das affektierte Dirigat von Andreas Pascal Heinzmann zu. Dieser ist zwar mit Maximilian Fraas für das gelungene Arrangement zuständig, doch am Pult quält er die motivierten Musiker mit unendlich sezierenden, lähmenden Tempi, verschleppt den Puccini-Schwung, um dann zu selbstbewusst und phönixhaft zum Applaus hinaufzusteigen. Während man durch die kluge musikalische Besetzung weder Chormasse noch breit besetzte Streicher vermisst, kann hier ein selbstbewusster Dirigent ein tolles Arrangement schleifen. Die Sänger kämpfen erfolgreich dagegen an.

Überhaupt füllen sie diesen ambitionierten Abend mit Leben durch die Lust am Spiel, am Gesang und den Drang des Ausdrucks. In diesem interessanten Rahmen gelang Münzings Tosca von 2012 besser, die zwar schwächer besetzt, doch im Pasinger Saal mehr nach einem Guss aussah. Dieser Jahr gelingt eine ideale Bohème-Kneipe, die aufgrund fehlender Personenregie und einschläferndem Dirigat zwar von Vollblutdarstellern bevölkert ist, trotzdem etwas blutleer bleibt wie die am Ende unter uns dahinscheidende Mimi.

Viel Applaus für Sänger und Team.

Andreas M. Bräu

Fotos: Hagen Schnauß