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Fakten zur Aufführung 

LES BALLETS RUSSES
(Bronislawa Nijinska, Mikhail Fokine,
Terence Kohler)
7. Juni 2015
(Premiere am 7. Mai 2009)

Bayerisches Staatsballett, Nationaltheater München


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Großer Abschied einer Primaballerina

Mit gefühlter Herzlichkeit und vielen anerkennenden Worten nimmt Ivan Liska, selbst scheidender Ballettdirektor des bayerischen Staatsballetts von seiner langjährigen Primaballerina Lisa Marie Cullum auf der Bühne des Münchner Nationaltheaters Abschied. Die gesamte Compagnie ist versammelt, und das Publikum dankt mit langanhaltenden standing ovations der zierlichen, sympathischen Tänzerin, die mit Grazie und Anmut, perfektem Können und schier unendlicher Leichtigkeit in der Bewegung auf der Bühne immer wieder begeistert. Nahezu gleichzeitig landeten die beiden in der bayerischen Stadt mit Herz und haben dem Publikum in ihrer langen Zusammenarbeit viele unvergessliche Ballettaufführungen geschenkt. Zahlreiche neue Produktionen wurden einstudiert und das Repertoire mit klassischen Meisterwerken und zeitgenössischen Werken angereichert. In der Rolle der „Dame des Hauses“ in Les Biches nach der Musik von Francis Poulenc und der Choreographie von Bronislawa Nijinska tanzt sie letztmalig in diesem Haus.

Das bayerische Staatsballett gehört heute zweifellos zur Spitzenklasse weltweit. Seine Klasse dokumentiert das Ensemble an diesem besonderen Abend mit spürbarer Freude und Engagement. Les Ballets Russes ist eine Produktion aus 2009, anlässlich der 100-Jahrfeier des bahnbrechenden glanzvollen Auftritts der besten russischen Tänzer in den damals innovativsten, bahnbrechenden Choreographien in Paris. Auch auf die Bühnengestaltung und Kostüme wurde viel Wert gelegt und bedeutende zeitgenössische Künstler engagiert. Ganz Europa war auf den Kopf gestellt, und die gesamte Kunstwelt wurde inspiriert. Noch heute bezaubern diese Werke durch ihren subtilen, realistischen Anspruch und der tänzerisch anmutigen und ideenreich abwechslungsvollen Choreographie.

Zu Beginn des Abends erlebt das auch für den Tanz begeisterte Münchner Publikum im ausverkauften Haus den Klassiker Scheherazade, ein Märchen aus 1001 Nacht. Märchenhaft kreiert der Maler Leon Bakst das luxuriöse Ambiente eines persischen Harem, inklusive prachtvoller Kostüme. Einfühlsam und ausdruckstark schuf Mikhail Fokine die Choreographie. Farbenfroh und gesittet erleben wir das höfische Leben. Die Haremsdamen unterhalten in orientalischen geziemenden Bewegungen den Herrscher. Das ändert sich, als dieser den Hof für die Jagd verlässt. Die Hofdamen bestechen den Eunuchen und verfallen in einen Liebestaumel mit den freigelassenen Sklaven. Die Lieblingsdame des Herrschers, Zobeide, veranstaltet einen ekstatischen Liebesreigen mit dem stürmischen, im wahrsten Sinne des Wortes sprunghaften Goldenen Sklaven. Lucia Lacarra und Marlon Dino gestalten diese beiden Rollen mit ergreifender Inbrunst und überzeugender Gestik. Jede Bewegung sitzt, und dennoch wirkt es emotional spontan echt. Man kann sich gut vorstellen, dass das die traditionelle bürgerliche Pariser Gesellschaft von 1909 aufgewühlt hat. Kokett fröhlich und modisch schick geht es im Ballett Les Biches weiter. Zu deutsch die jungen Hirschkühe oder die Backfische, ist der Titel irritierend. Das Publikum wird in eine sonnendurchflutete Villa an der Côte d'Azur entführt. Das weibliche Personal ist bestens gekleidet und recht munter. Als drei sportliche Herren der Schöpfung in engen Strandtrikots erscheinen, entsteht ein frivoles Spiel, ein dekadentes Flirten voll von Komik und Naivität. Vieles wird angedeutet, und beim Abgang der Tänzer bleibt Spielraum für die Phantasie. Diese erweckt Lisa Marie Cullum als Dame des Hauses meisterhaft. Quirlig schleudert sie ihre Beine cabarethaft im Midi-Paillettenkleid, die langen Perlenketten schwingt sie dabei animierend. Davon motiviert, tänzeln posenhaft komisch und akrobatisch die jungen Herren in Badehosen. Maxim Chashchegorov, Erik Murzagaliyev und Adam Zvornar gelingt ein harmonsiches, im Ablauf sicheres und synchrones Trio.

Zum Abschluss bringt ein modernes, aber klassisch und traditionell ausgelegtes Ballett aus 2008 Once upon an ever after oder „Es war einmal in alle Ewigkeit“ Bekanntes neu gemixt. Zur Musik von Peter Iljitsch Tschaikowskis 6. Symphonie Pathetique kreiert der junge Choreograph Terence Kohler eine Neuauflage im Mix von Schwanensee, Giselle und anderer klassischer Anlehnungen. Schöne Bilder von Rosalie gestalten den Hintergrund, perfekte Harmonie im Tanz dominiert im Vordergrund. In großer Besetzung begeistert die Ballett-Compagnie nochmals das Publikum.

Aber auch das Orchester leistet an diesem Abend Großes und meistert ein sehr anspruchsvolles symphonisches Programm. Präzise und klangschön mit sicherem Solisteneinsatz zaubern sie im Orchestergraben die notwendige rhythmische, melodische und harmonische Untermalung, die den bewegten Bildern auf der Bühne die vierte Dimension im Klang geben. Valery Ovsianikov führt bedacht und klar den Taktstock, ohne zu viel Pathos oder russische Seele in die Interpretation zu stecken. Es verschmilzt Ohr und Auge des Zuhörers und Zuschauers, so wie es sein soll.

Helmut Pitsch

 

Fotos: Wilfried Hösl