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Fakten zur Aufführung 

ARABELLA
(Richard Strauss)
14. Juli 2015
(Premiere am 6. Juli 2015)

Bayerische Staatsoper München


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„Eine Gewalt ist da in Ihren Zügen“

Die letzte Zusammenarbeit von Strauss und Hofmannsthal beweist noch einmal in jedem Winkelzug die Größe dieses künstlerischen Treffens. Auf der Folie einer walzerträchtigen Boulevardkomödie verhandelt das lyrische Werk grundsätzliche Fragen der Emanzipation und der Liebeskonzeption. Ganz leicht präsentiert das Duo dabei paarphilosophische Gedanken in klugen Einzeilern und Strauss‘ gewachsener Musik, der man die lange gemeinsame Wegstrecke vom Rosenkavalier, von der Frau ohne Schatten hin zur tragikomischen Arabella anhört. Die weibliche Perspektive ist dabei die gewinnende Eigenart von Libretto und Besetzung. Die Männer, meist polternde Spätochsen, eifernde Schmachter und gescheiterte Altvordere zügeln kaum mehr die selbstbewussten, beseelten Protagonistinnen. Selbst der Leidens-Elektra konnte dieses Duo und Hofmannsthal im Besonderen noch neue Charakterzüge abtrotzen. Denn Gewalt und Kraft liegt auch in Arabellas Zügen.

München verpflichtete dazu erstmals den Kinomann Andreas Dresen, der bekannt für sensible Gefühlsstudien und unkonventionelle Liebeserzählungen ist. Im großen Haus geht sein Ansatz verloren. Nach dem Regietheaterbuch wird die Szenerie in den Entstehungszeitraum Ende der dreißiger Jahre verlagert. Der Fiaker-Ball mutiert zur zeigefreudigen Swinger-Feier, die Milli ist eine vorausdeutende Offiziersschlampe in leidendem Latex; die Ausstattung wirkt glamourös, die Inszenierung leblos.

Optisch sinnig und hübsch anzusehen ist Mathias Fischer-Dieskaus Treppenskulptur, die sich expressionistisch in den Bühnenhimmel erhebt. Mit Erinnerungen an Fritz-Lang-Filme oder Dix-Gemälde bietet die mit schrägen Ebenen und verzogenen Perspektiven spielende Rauminstallation eine ansprechende Metaebene der nirgends angekommenen Akteure. Ebenso edel die Kostüme von Sabine Greunig, die teils in schwarz-roter Optik, teils in präzisem Zeitkolorit überzeugen.
Doch von Zusammenspiel ist in der schicken Szenerie nichts zu sehen. Die Zeitverlagerung gelingt rein dekorativ. Erst zum Ende hin entstehen durch die Sänger Bilder in der übergroßen Ausstattung, eine Deutung oder gar eine Durchdringung von Hofmannsthals komplexem Libretto geschieht leider nicht. Oft wirken auch die Sänger verloren, auf ihr übliches Spiel reduziert und alleingelassen in dem selbsttragenden Klangraum von Strauss.

Gerade bei der Arbeit mit den Sängern wirkt Dresen zu introvertiert. Die ohnehin rampenaffine Anja Harteros ist vom Souffleurkasten praktisch nicht wegzubekommen, lächelt ins Publikum und mauerschaut auch noch ausführlich in den Rängen nach ihren Geliebten. Andere Bühnentiere outrieren, poltern und spielen ihren Stiefel jenseits von sinniger und reduzierter Personenführung. Das scheint auch Dresen zum Ende hin aufgefallen zu sein. Die schwierige Versöhnung von Arabella und Mandryka wird im Rahmen des Librettos psychologisiert und gerät zum Austesten eines früh entfremdeten Paars, das eine große Bürgschaft in die junge Liebe mitnimmt.

Als Marschallin seit längerem etabliert gewinnt Anja Harteros auch der Arabella neue Farben ihres gleichbleibend brillanten Soprans ab. Kein Mäderl, keine getriebene Jungspundin tanzt hier durch den Ball, sondern eine gestandene Frau, eine berechnende und skeptische Dame, deren ironische Distanz den verliebten Jungs gegenüber deutlich wird. Harteros hält und spielt die Partie. Präzise gestaltet sie Strauss‘ Pianoverzierungen, findet sich im Duett mit Zdenka und Mandryka ein und versprüht auch im anspruchsvollen Kraftvollen mühelosen, warmen Klang, der im Rosenkavalier wie in der Arabella so leicht wirken muss und so schwer zu erzeugen ist. Mehr Risiko geht deswegen Hanna-Elisabeth Müller als Zdenka ein. An die Grenzen ihrer gewachsenen, wenngleich jungen Stimme geht die euphorische und hosenrollenerfahrene Sängerin und präsentiert einen verzweifelnden, emotionalen und klanggewaltigen Backfisch. Mehr und mehr tagesformabhängig wirkt Thomas J. Mayer. Der Rheingold-Wotan erntete noch Buhs, in der Walküre überzeugte der erfahrene Bariton. Als Mandryka erscheint er im ersten Akt verhalten und belegt, später vollmundig und erleichtert, seine Stimme teils dosiert und zum Finale hin ähnlich einer Brünnhilden-Verabschiedung optimal platziert. Gerade von Mozart zu Strauss weiterwandernd überzeugt Dean Power als kühl schmachtender Elemer mehr als der geifernde, sehr auf Kraft bedachte Joseph Kaiser als Matteo. Spielerisch clownesk, doch stimmlich satt gibt Kurt Rydl einen Spätochs als Vater.

Geschmeidige, wohl sortierte Klänge findet Philippe Jordan für das Staatsorchester. Mit Wagner und Strauss dirigiert er die deutschen Kanoniker und verbleibt romantisch dem Tristan verhaftet, was der Arabella eine leisere, vielfarbige Farbe gibt, als der rauschende Fiakersound oft angepackt wird. Wenn auch nicht immer bei den Sängern, überzeugt er mit seiner Lesart und dem gut geleiteten Orchester, das Strauss immer wieder neu entdecken lässt.

Auch Hofmannsthals vielschichtig modernes Werk, mit der überbordenden Romantik des Komponisten unterlegt, hätte an diesem Abend szenisch fernab von zeitlosem Schick und Rampenpräsenz eine komplexere und durchdringendere Interpretation verdient. Diese liefern Darsteller und Graben.

Dafür gibt es anhaltenden und euphorischen Applaus vom Festspielpublikum.

Andreas M. Bräu

Fotos: Wilfried Hösl